… hält weder Ochs noch Esel auf. Und schon gar nicht ein paar revolutionäre Zwerge. Best of 26. April 2023
1969 wollte eine Gruppe revolutionärer Spiegel-Mitarbeiter*innen den Besitzer der Produktionsmittel Rudolf Augstein in die Wüste schicken. Der wollte aber nicht in die Wüste. Einerseits Dickschädel, andererseits aber auch schlau, vereinbARTE er Besitzverhältnisse (“Mitarbeiter-KG”), mit denen er fortan weiter teilen und herrschen konnte. Die Mehrheit der Mitarbeiter*innen war glücklich damit, und konnte sich Immobilien, Segelboote und Pferde leisten. Die Minderheit zog weiter zur Konkret. Dort gelang 1974 das Verjagen des Besitzers. Ein neuer übernahm das Zepter, der beim Spiegel verloren hatte: Hermann L. Gremliza. Beide Dickköpfe haben ihre Erbengemeinschaften beglückt: mit einem Leben frei von materiellen Sorgen.
Augstein dabei besonders fies: mit 24,5% Spiegel-Anteil sind sie reich aber machtlos. Jakob Augstein kaufte sich dann zum Machtausüben den Freitag, dessen sechs Vorbesitzer*innen wg. Altschulden um ihre Altersversorgung fürchten mussten, und mauerte dort die Inhalte in eine grosse Bezahlwand ein.
Parallel zu Spiegel und Konkret gab es einen ähnlichen Vorgang bei Pardon. Der Verleger fing in den 70ern an esoterisch zu spinnen, glaubte ernsthaft er könne fliegen, und schrieb darüber (ich habs damals entgeistert gelesen, 1977). 1979 gründeten diejenigen, die noch bei Sinnen waren, dann die Titanic.
Gremliza versuchte sich immer wieder zaghaft als Tycoon (Die Neue, Konkret mit Chefredakteur Bissinger, Volkszeitung/Freitag, Pardon, Elefantenpress, Junge Welt), zuckte aber immer rechtzeitig zurück, bevor es ihn hätte ruinieren können. So vermied der Kapitalismus publizistisch relevante Gegenmacht.
Wie kommichdrauf? Weil sich jetzt in Frankreich sowas ganz Ähnliches ereignet hat: Stefan Brändle/FR: “Skandal beim ‘Canard enchaîné’: Die Ente quakt nicht mehr, aber sie schnattert – ‘Le Canard enchaîné’ ist eine Institution des französischen Enthüllungsjournalismus. Jetzt stolpert das Pariser Blatt über eine interne Affäre.” “Institution des Enthüllungsjournalismus”? In Deutschland ist das schon lange her.
It’s the Produktionsverhältnisse, stupid! Murdoch – Carlson, Döpfner – Reichelt dito. Es kommt nicht auf gute oder böse Leute an, auch nicht auf die gute oder böse politische Mission. Die Grünen waren in ihren idealistischsten, den 80er Jahren, berüchtigt für ihre skandalös schlechten Arbeitgeberqualitäten. Den landesweiten Rekord im Verbrauch von Mitarbeiter*inne*n hielt niemand anderes als Petra K. Kelly. Mein Mitautor Roland Appel war in jener Zeit Betriebsrat. Ich lehnte ein Jobangebot der späteren Bundestagsfraktionsvorsitzenden (1994 ff., neben Joseph “Das Tier” Fischer) Kerstin Müller ab, weil ich lieber mit ihr befreundet bleiben wollte. Der Kollege, den ich ihr damals statt meiner vermittelte, macht jetzt das hier. Der Wulf-Spruch vom Islam, der zu Deutschland gehört, war von ihm.
Veröstlichung der Ökonomie
Langsam aber gewaltig verschieben sich die Stärkeverhältnisse im Kampf um die Weltmacht. Wolfgang Pomrehn/telepolis: “Sanktionen gegen Russland: Yuan kratzt am US-Dollar – US-Finanzministerin Yellen macht sich Sorgen, dass Dollar-Hegemonie geschwächt wird. Moskau lässt sich Atomkraftwerk in chinesischer Währung bezahlen.” Zum gleichen Thema Tomasz Konicz/Jungle World: “Warum China die USA nicht als Hegemon ablösen wird: Chaos statt Hegemonie – Die USA sind als Hegemonialmacht in der Krise, doch das bedeutet nicht, dass China sie beerben wird. Trotzdem könnten die autoritären Diktaturen in China und Russland die Zukunft des Kapitalismus darstellen.”
Konicz prophezeit schon seit Jahrzehnten den Zusammenbruch des “kapitalistischen Weltsystems”. Das Dumme ist nur: keine*r weiss, wann es so weit ist. Er schliesst – unzulässig – von seinem gesunden Menschenverstand auf ein “Weltsystem”. Das funktioniert nicht. Das System wird so lange weiterleben, so lange es den Herrschenden und Mächtigen gelingt, das notwendige Minimum an Vertrauen untereinander abzusichern. Auf dieser Basis funktionieren Geld und Währungen. Hier sehen Sie z.B. die damals dafür delegierten deutschen Politiker*innen bei dieser Arbeit. Was für Konicz spricht, ist, dass es heute kaum noch gelingt, entsprechende Fachkräfte zu wählen. Das könnte der Grund sein, warum autoritäre Systeme so auf dem Vormarsch sind.
Krieg oder Klima -was bringt uns um?
Ist für Unsereinen egal, Tot ist tot, egal wie. 66 Jahre sind schon geschafft, Belafonte und Huberty schafften immerhin 96. Und hatten unterm Strich kein schlechtes Leben. Also doch nicht ganz egal.
Klar ist: wenn wir als Bürger*innen von bürgerlichen Demokratien die Autoritären durchkommen lassen, wiederholt sich die Rivalität der Imperialisten von 1914 und 1939 als allerletzte Farce. Florian Rötzer/overton hat schon eine Ahnung, bzw. im Original hat sie der US-Generalstabschef, wie sich das abspielen könnte: “Generalstabschef Milley: In 10-15 Jahren werden Armeen vor allem aus Robotern bestehen – Im Schatten des Kriegs in der Ukraine wird das Wettrüsten mit KI und autonomen Kampfsystemen vorangetrieben, die Entwicklung dürfte derzeit unaufhaltsam sein, die entmenschlichte Kriegsführung steht vor der Tür.” Wie oben schon im Ansatz ausgeführt, könnte es auch beim Anhäufen von Datenkapital für die Fütterung der KI zu sich beschleunigenden Vorteilen für China kommen, was wiederum den USA nicht entgehen, und dort zu anwachsender Panik führen dürfte. Und für die Jüngeren zur Erinnerung: das Internet war auch eine militärische Erfindung.
Wenn die Autoritären klug genug sind, das alles zu vermeiden (ich fürchte, das sind sie keineswegs), dann bleibt die Apokalypse, dass sie die Klimakatastrophe nicht bremsen oder eindämmen, sondern beschleunigen.
Wolfgang Pomrehn/telepolis: “Die Meere erwärmen sich immer schneller – Energie und Klima – kompakt: Die Erderhitzung verläuft ungleich, wie eine neue Studie aufzeigt. Große Anteile der Sonnenenergie werden von den Ozeanen aufgenommen. Warum das zunehmend zu einem Problem wird.” Wer nur die gesammelten Werke dieses fleissigen und fachkundigen Kollegen studiert, kann sich über auf Strassenkreuzungen rumsitzende Jugendliche nicht wirklich erregen. Warum wohl schreiben FAZ & Co. so hysterisch eine “Klima-RAF” herbei? Weil sie im Grunde ihres eigenen Hirns genau wissen, was sie selbst verbrochen haben.
Dabei scheuen die Klimaverbrecher vor keinem schmutzigen Mittel zurück. Das ist grundsätzlich Allgemeinwissen. Aber es ist für aktuelle Auseinandersetzungen wichtig, auch aktuelle Taktiken zu kennen und zu verstehen. Dazu ein aktuelles und widerliches Beispiel aus den Niederlanden, das für die klimapolitischen Klassengegner allzu verführerisch ist: Helmer Stoel/Jacobin: “Wie eine Marketingagentur die Bauernproteste nutzt, um Konzerninteressen zu stärken – Die Protestpartei Bauern-Bürger-Bewegung hat letzten Monat bei den niederländischen Provinzwahlen überraschend gewonnen. Sie inszeniert sich als Stimme der Abgehängten vom Land. Doch hinter der Partei steckt eine Marketingagentur mit engen Verbindungen zur Agrarlobby.”
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