Mit internationaler Unterstützung bietet die kleine Logistik-Gewerkschaft SNTT in Kolumbien Großkonzernen wie MAERSK oder DHL die Stirn
Nicht erst mit der neuen progressiven Regierung ist ein Ruck durch Kolumbiens Gewerkschaftsbewegung gegangen. Neue Strukturen tragen dazu genauso bei wie erfolgreiche Proteste. Dafür ist die SNTT, die Gewerkschaft im Logistik- und Transportbereich, ein gutes Beispiel. Sie wächst – wenn auch langsam.
“Sin Lucha no Hay Victoria“ steht auf dem Transparent, das neben der Tür zur Zentrale der SNTT in Bogotá steht. „Ohne Kampf keinen Sieg“ heißt die Parole, die sich auch auf dem Briefkopf der Gewerkschaft findet, auf dem die wichtigsten Ziele für das Jahr 2023 aufgeführt sind. Ganz oben steht: „Wachstum und Organisation“, ganz unten findet sich die Unterschrift von Juan Carlos Estrada, dem Präsidenten der SNTT. „Unser übergeordnetes Ziel ist es, neue Mitglieder zu gewinnen, weibliche wie männliche, und uns besser zu organisieren. Wir wachsen zwar, aber es gibt etliche Bereiche, wo es uns zu langsam geht. Besonders schwierig ist es im privaten Nahverkehrsbereich, wo allein in Bogotá, Hunderte, nein, Tausende von kleinen, mittleren und großen Bussen im Einsatz sind. Dort an die Fahrer, Beifahrer und Hilfskräfte heranzukommen, ist extrem schwer“ so Estrada.
Organisationsgrad 5%
Denn Gewerkschaften in Kolumbien sind alles andere als en Vogue: Von einem Organisationsgrad von knapp zwanzig Prozent zu Beginn der 1980er-Jahre ist die Quote auf rund fünf Prozent im Jahr 2021 gesunken. Dies sei dramatisch, urteilt der Gewerkschafter aus Bucaramanga, der dort als Busfahrer im öffentlichen Nahverkehr tätig war. Hintergrund ist, dass die Gewerkschaften vor allem von konservativen Unternehmen gern in die Nähe der Guerilla gerückt wurden, wovon auch der lockere Spruch „In Kolumbien ist es einfacher eine Guerilla als eine Gewerkschaft zu gründen“, zeugt. Folgerichtig gerieten insbesondere die sich als links definierenden Gewerkschaften in den Fokus von paramilitärischen Verbänden, und die Zahl der Morde an Gewerkschaftsaktivist*innen liegt laut den Angaben der in Medellín ansässigen Gewerkschaftsschule ENS bei annähernd 4000. Die brutale Verfolgung von Gewerkschaftsaktivist*innen habe auch dafür gesorgt, dass die Angst sich zu organisieren unter den kolumbianischen Arbeitnehmer*innen umging, so Estrada weiter und sein Vorgänger Estebán Barboza pflichtet ihm bei.
Letzterer hat auch den Neuanfang der SNTT als Branchengewerkschaft für den Transportsektor mit eingeleitet. Da es schlicht keinen Sinn mehr machte in Betriebsgewerkschaften strukturiert zu sein, habe sich der größte kolumbianische Gewerkschaftsverband umstrukturiert und in Branchen reorganisiert. „Seit unserer Gründung im November 2008 hatten wir es bis 2018 geschafft 22 Tarifverträge zu schließen und die Zahl unserer Mitglieder langsam auszubauen – auch in Hafenstädten wie Cartagena, Barranquilla oder Santa Marta“, erklärt Barboza. Die Entscheidung weg von der klassischen Betriebsgewerkschaft hin zur Rahmengewerkschaft, die in einem Wirtschaftssektor verankert ist, fiel Ende 2006 auf einem Kongress des Gewerkschaftsdachverbands CUT. „Wir wollten nicht zusehen wie unsere Gewerkschaftsbewegung in immer kleinere Einheiten zerfällt. Da war das Konzept, sich auf 18 große Wirtschaftssektoren zu konzentrieren, die richtige Antwort“, meint Barboza weiter. Er ist am Umbauprozess direkt beteiligt, der die CUT und ihre Branchengewerkschaften wieder schlagkräftiger machen soll, und hat einen guten Ruf als Zugpferd in der kolumbianischen Gewerkschaftsbewegung.
Für den Transportsektor mit rund 1,46 Millionen Arbeitnehmer*innen in Kolumbien ist die SNTT zuständig und es gibt große Herausforderungen, aber auch kleine Erfolge. „Das Gros der Arbeiter*innen im Transportbereich arbeitet informell; an der Kaimauer im Hafen, beim Logistiker oder als Bus-, Taxi- oder Truckfahrer*innen. Unser Ziel ist es, aus informellen Jobs formale Arbeitsverhältnisse zu machen“, schildert Barboza das hochgesteckte Ziel. Einige Achtungserfolge haben er und sein in Bogotá ansässiges Team bereits vorzuweisen. So können die Arbeiter*innen des dänischen Branchenriesen „Maersk Line“ in Cartagena de Indias heute in die SNTT eintreten, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Keine Selbstverständlichkeit in Kolumbien, wie die Klage zeigt, die die SNTT ein paar hundert Kilometer entfernt, in Buenaventura, Kolumbiens größter Pazifikhafen, 2018 angestrengt hat. „Dort war der Dialog mit den Maersk-Verantwortlichen ein Desaster“, erinnert sich Barboza und reibt sich die Stirn. Als diskriminierend und ausbeuterisch bezeichnet er die lokal Verantwortlichen, die die Arbeiter*innen am Kai bis zu zwölf Stunden schuften ließen. Deshalb, und wegen der Entlassung von elf Gewerkschaftsaktivisten, habe er Ende November 2018 Klage eingereicht und das auch gleich über die guten Drähte nach Kopenhagen und London publik gemacht. In Kopenhagen hat die Reederei ihren Stammsitz, dort spielen die Gewerkschaften eine wichtige Rolle und in London befindet sich die Zentrale der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF), der Dachverband der Gewerkschaften im Verkehrs- und Logistikbereich. Die ITF greift der jungen Gewerkschaft in Kolumbien beim Ausbau ihrer Aktivitäten regelmäßig unter die Arme.
Das ist auch weiterhin nötig, auch wenn die Richtung stimmt, in die sich die SNTT entwickelt. Von gut 3000 auf mittlerweile 5000 Mitglieder beiderlei Geschlechts ist die SNTT angewachsen – trotz schwieriger Rahmenbedingungen und des bisher nur partiell implementierten Friedensabkommens zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla, das im November 2016 unterzeichnet wurde. Mit der seit August 2022 im Amt befindlichen neuen Regierung von Gustavo Petro soll sich das ändern.
Mehrere Abkommen mit der neuen Regierung – besonders halsstarrig: DHL
Darauf setzt auch Juan Carlos Estrada alle seine Hoffnungen, und er stellt der Regierung in Bogotá eine gute Bilanz für die ersten acht Monate aus: „Wir haben mehrere Abkommen mit der Regierung und den Unternehmen unterzeichnen können – das hat es zuvor so nicht gegeben.“ Zudem seien Reformen des Arbeitsmarktes angedacht, die derzeit als Gesetzesvorhaben im Parlament verhandelt werden, berichtet er. Das ist kein Zufall, denn im Arbeitsministerium sind auch ehemalige Gewerkschafter präsent, die moderieren, die Situation an der Basis kennen und Kompromisse suchen.
Leicht sei das nicht und oft seien die lokalen Manager internationaler Unternehmen wie Maersk oder Deutsche Post DHL besonders halsstarrig. Der deutsche Logistiker habe in Kolumbien seit Jahren den Ruf eines strikt gewerkschaftsfeindlichen Umgangs, sind sich Estrada und Barboza einig. „Wir arbeiten deshalb mit Gewerkschaften in ganz Lateinamerika zusammen, um gemeinsam etwas zu bewirken, aber mehr als Zwischenhochs gibt es nicht zu vermelden. Danach drehen sie die Spirale wieder zurück“, schildert Estrada.
Mittlerweile seien auch die Friedrich-Ebert-Stiftung sowie die ITF hinter den Kulissen involviert: Zwei Spezialist*innen seien abgestellt, um sich für eine Lösung der strittigen Punkte mit DHL zu kümmern, die in mehreren Fällen organisierte Mitarbeiter*innen entlassen hätte, aber auch immer wieder Mitarbeiter*innen animiere, eine arbeitgeberfreundliche Gewerkschaft zu gründen, wie SNTT-Präsident Estrada weiß. Erst ein paar Tagen zuvor sei zehn Mitarbeiter*innen in Cartagena gekündigt worden – weil sie organisiert gewesen wären, klagt er.
Massive Vorwürfe, die sich seit fast zehn Jahren wiederholen. Besserung ist derzeit nicht in Sicht, auch wenn im Mai ein Treffen von DHL-Mitarbeiter*innen aus der gesamten Region in Bogotá ansteht. Das werden nicht nur die rund 185 Mitarbeiter*innen von DHL in Kolumbien verfolgen, die bei der SNTT organisiert sind, sondern DHL-Beschäftigte in der ganzen Region. Auch bei denen seien die DHL-Jobs, die laut der DHL-Eigenwerbung als die Besten der Branche gelten, alles andere als positiv bewertet – das bestätige ein Blick auf die Job-Vermittlungsagentur INDEED und das führe auch dazu, dass die Fluktuation bei DHL hoch sei.
Von 600.000 auf eine Million Organisierte seit 2019
Das ist längst nicht in allen Logistikunternehmen der Fall. Stabilität herrscht beispielsweise in den Häfen, wo die SNTT deutlich besser als früher aufgestellt ist. „Wir haben gute Tarifverträge ausgehandelt, sind in einem Austausch mit den Arbeitgebern, den großen Reedereien, und nicht mehr wie früher in einem mehr oder minder verkappten Konflikt“, so Estrada. Fortschritte, die mit steigenden Mitgliederzahlen, guter Beratung durch die ITF, deren Spezialist*innen regelmäßig in Kolumbien zugegen sind, aber auch mit dem Paro Nacionál 2021 und dem Regierungswechsel zu tun haben. Die landesweiten Streiks gegen die Steuernovelle zwischen April und Juli 2021, die massiv unterdrückt wurden, haben die Gewerkschaften, die die Proteste mitkoordiniert und mit durchgehalten hatten, wieder sichtbarer und attraktiver gemacht.
Laut dem Gewerkschaftsdachverband CUT stieg dessen Mitgliederzahl von 2019 mit rund 600 000 bis Mitte 2022 auf rund eine Million Organisierte. Das sei ein Zuwachs, den niemand hätte prognostizieren können, von dem auch die SNTT profitiert habe. Aber längst nicht genug, wie SNTT-Präsident Estrada sagt. Deshalb stünden Mitglieder-Akquise und die Verbesserung der Organisationsstruktur auch ganz oben auf der Hausaufgaben-Liste der SNTT. Es soll weiter nach vorn gehen.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 465 Mai 2023, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.
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