Gedanken zu Falkensee, fehlendem Verstand im Hirn und der “richtigen Seite” der Geschichte – Der Bundeskanzler, “Schreihälse” und auch die Welt drumherum
Dabei hätte alles so schön laufen können in Falkensee. Der Bundeskanzler, im SPD-Kontext „unser Olaf“, betritt die Bühne (tosender Applaus und ein Menschenchor skandiert minutenlang „Olaf, Olaf“….). Dann redet er. Die Marktplatzbesucher hören mucksmäuschenstill zu, jedes Wort ist so wichtig. Bei jeder kunstvollen Redepause klatschen sie. Am Ende nicken alle, in einer Mischung aus Nachdenklichkeit und Begeisterung (langanhaltender Beifall). Da alle schon stehen, kann sich leider keiner erheben, um große Ehrerbietung sichtbar zu machen. Hilfsweise skandiert deshalb die Menge erneut „Olaf, Olaf“ (für mehrere Minuten).
Und immer mehr zornige Fäuste erheben sich, weisen in Richtung Osten, genau dorthin, wo der Teufel wohnt. Im Anschluss gibts Kaffee und Kuchen. Olaf ist mittendrin, geht mal zu einem Grüppchen, dann zum anderen, hört zu, schüttelt Hände, lächelt. Ihm fliegen Worte der Ermunterung entgegen und alle sind so dankbar, dass „unser Olaf“, ein Wahlbrandenburger, sich die Zeit nahm, vorbeizukommen, wo er es doch so schwer hat, in diesen Zeiten. Es wäre alles so heil und heimelig gewesen in Falkensee. Fast wie früher, in einem anderen Leben, einem anderen Traum.
So aber wurde Falkensee heimgesucht von „Schreihälsen, „Pöbel-Mob“ und „Störern“, einer Gruppe, die auf dem dortigen Marktplatz auftauchte und den Falschen bebrüllte. Das waren logischerweise keine Aktivisten, keine Dissidenten, keine aufrechten Oppositionellen oder gar mündige Bürger im eigentlichen Wortsinn, also niemand, dem man noch ein Mindestmaß an Respekt zu zollen hätte. Für solche Leute entfällt das lästige „Sie“. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass es eine SPD-Veranstaltung war, die Genossen und Freunde also unter sich waren. Da duzt man sich prinzipiell. Das gepflegte Hamburger „Sie“ verbietet sich erst recht, wenn man so falsch bebrüllt wird.
Also zeigte der Bundeskanzler – oder an dem Tag unser Olaf – „klare Kante“. „Wenn Ihr irgendeinen Verstand in Eurem Hirn hättet“, ließ er die Schreihälse wissen, müsste Putin, der Kriegstreiber, ausgebuht werden. Nicht er. Merke: Wer so brüllt, hat kein Fitzelchen Verstand im Hirn. Nichts. Was in Falkensee aus dem Kreis einer bestimmten „Wut-Mob“-Gruppe entwich (Kriegstreiber, Frieden schaffen ohne Waffen, Wir sind das Volk…), war nur verstandesleeres, animalisches Gekläff. Zudem waren sie auch nicht vorm Kreml aufmarschiert, wo sie nach Ansicht des brandenburgischen Ministerpräsidenten besser aufgehoben gewesen wären. Aber Dietmar (Woidke) hatte auch Versöhnliches zu sagen über die brandenburgische Freiheit, einschließlich der „zu krakelen.“
Es wird das Geheimnis von Olaf Scholz bleiben, warum er angesichts der versammelten Hirnleere der „lieben Schreihälse“ beschloss, auf einige der gebrüllten Losungen nun ebenfalls gezwungenermaßen brüllend einzugehen. Denn wo kein Verstand wohnt, fällt alles ins bodenlos Leere. Da könnte man sich den Atem sparen.
Aber vielleicht ändert die Position den Blickwinkel. Da wird Falkensee plötzlich zur internationalen Bühne und der Kanzler zum Herold der alliierten Front, die solange es eben dauert, ihre Einheit verteidigen wird, in unverbrüchlicher Solidarität mit der Ukraine, jetzt und morgen und solange es eben dauert. Prompt flatterte die Nachricht vom aufrechten und tapferen Olaf um die Welt. Der Telegraph notierte das Kämpferische im Umgang mit dem „mörderischen Putin“ umgehend. Klitschko dankte dem Kanzler für die klaren Worte an die Adresse der „Putin-Freunde“. Die internationale Twitter-Gemeinde war etwas gespaltener, aber immerhin wurde dort bemerkt, dass einer der „Schreihälse“ ein Impfgegner-Shirt trug (was den deutschen Medien leider entging) und wusste gleich, was für ein Typ Mensch da herumpöbelte.
Herr Melnyk, der noch nicht weiß, ob er nun nach Lateinamerika gehen soll oder nicht, hatte dagegen nichts Freundliches zu sagen, denn nun braucht Kiew Flugzeuge (und wahrscheinlich auch neue Luftabwehr und demnächst wahrscheinlich auch sehr viel mehr NATO-boots on the ground). Ein bisschen enttäuscht war ich vom alten Biden, der sonst so beredt in deutschen Angelegenheiten ist. Aber der hatte zu dem Zeitpunkt seinen jüngsten Hinfaller noch vor oder gerade hinter sich. Das Alter eben. Aber wo dessen Redegewandtheit versagt, ist ja Blinken zur Stelle.
“Sichere Zukunft”
Der verkündete kürzlich in Helsinki, Putin habe längst eine „strategische Niederlage“ erlitten, und die Ukraine stehe vor einer „sicheren Zukunft“. Leider hat das der Kreml immer noch nicht gemerkt, und die mit ihm verbündeten Kräfte des Donbass und der Krim auch nicht. Dabei hätten die USA laut Blinken 2021 alles unternommen, um Moskau vor die Wahl zu stellen: Diplomatische Konfliktlösung oder Aggression. Moskau entschied sich, so Blinken, zu einer von ihm selbst konstruierten Krise und zum Krieg.
Wer die Wahl hat, hat die Qual, weiß der vorwitzige Volksmund zu sagen. Da erging es der Ukraine wesentlich besser: Ihr verteidigt Euch und die NATO verteidigt sich, beschied das Weiße Haus der Ukraine im November 21. Aber macht Euch keine Sorgen, wir helfen Euch. Schließlich haben wir Euch militärisch ausgebildet und zwar erstklassig. Offenbar macht sich die Ukraine trotzdem Sorgen, aber das ist ein weites Feld, wie der alte Fontane einst notierte, und das führt mich zurück ins brandenburgische Falkensee und zu Olaf Scholz und seiner versprochenen Führung. Wenn gebrüllt wird, brüllt er zurück in heiligem Zorn, denn die hirnlosen Idioten auf dem Platz brüllten bekanntlich den Falschen an.
Das kleine feine lächelnde Schweigen
Plötzlich verstand ich so vieles sehr viel besser. Zum Beispiel, warum der Kanzler schwieg, als NordStream sabotiert wurde. Wer nicht weiß, ob man den Richtigen anbrüllt, hält besser die Klappe, sonst steht man international bloß da wie einer, der nicht ganz dicht im Oberstübchen ist, und das kann er sich und dem deutschen Volk nicht antun. Zum ersten Mal war ich dankbar für das kleine feine lächelnde Schweigen.
Ich fühlte plötzlich auch eine gewisse Dankbarkeit dafür, dass Olaf Scholz mit soviel Großmut und Schweigen den Petitionen, Reden oder Artikeln begegnet, die die Art und Weise der deutschen Politik in Sachen Ukraine kritisch beleuchten. Immerhin wurde all jenen nicht der letzte Rest Verstand abgesprochen. Die kommen nur einfach nicht vor in der deutschen Diskussion und wenn, dann allenfalls als absonderliche Randgestalten, die vom „Lumpenpazifismus“ infiziert wurden (im günstigsten Fall) oder von der Kremlpropaganda verseucht sind (im schlimmsten Fall). Da wir ja immerhin in einen quasi-Krieg verwickelt sind, in dem nicht ein „Unterwerfungsfrieden“ sondern ein „Siegfrieden“ die historische „Zeitenwende“ krönen soll, ist das schon ein gewisser Ausdruck strategischer Geduld mit dieser redenden und schreibenden Randgruppe. Schließlich steht die nicht rum auf Marktplätzen und brüllt. Die hat noch die Chance auf Einsicht, denn inzwischen ist die ukrainische Armee in die militärische „Gegenoffensive“ gegangen. Nur nebenbei: Wer diesen Begriff aufgebracht hat, sollte sich schämen. Wie kann man von einer „Gegenoffensive“ schwatzen, wo doch der Putin seit dem 24. Februar letzten Jahres mit dem Rücken zur Wand steht und „wie ein in die Ecke gedrängtes Tier“ um sein Leben zittert, um den ukrainischen Präsidenten im Gespräch mit dem WSJ zu zitieren.
Noch nicht so ganz in der EU „angekommen“
Deshalb feiert Herr Melnyk seine Silberhochzeit demnächst auf der Krim. Der hat den richtigen Glauben und die rechte Moral, so wie alle den richtigen Glauben und die rechte Moral haben, die „Slawa Ukrajini – Herojam Slawa“ brüllen. Das hat mir in Falkensee (im Nachhinein betrachtet) doch gefehlt. Nur Leute wie Putin oder auch ein gewisser kroatischer Präsident halten das für eine Art von faschistischem Gruß. Aber Kroatien ist gewiss noch nicht so ganz in der EU „angekommen“, so wie auch die Bulgaren noch nicht „ganz in der EU angekommen“ sind, weil sich dort nur 34% vor Russland fürchten (Globsec 2023).
„Bulgarien ist das russlandfreundlichste Land in der EU. Auch Politiker hatten immer wieder ein Ohr für russische Interessen. Die Gründe für die Treue Sofias zu Moskau liegen weit zurück.“ So begann der DLF jüngst sein Feature im Rahmen der Reihe „Gesichter Europas“. Wer also ein Ohr für russische Interessen hat, ist Moskau-treu. Das kann man Washington nun definitiv nicht nachsagen – und glücklicherweise Berlin auch nicht mehr. Wir sind nicht so kultisch dankbar wie die Bulgaren für Geschichtliches. Was haben wir da nur an den Busen Europas gelegt, fragte ich mich und ging auf die Suche, ob noch weitere trojanischen Pferde des Kremls womöglich an Europas Busen saugen, und siehe, ich wurde fündig.
Der DLF hatte die Slowaken übersehen und den falschen Esel geschlagen. Aber möglicherweise ging es dem DLF ja nur darum, seinen deutschen Zuhörerinnen und Zuhörern zu verklickern: Historische Dankbarkeit war gestern. Wie gesagt, ich mache mir große Sorgen um die Slowaken. Dort glauben 50 Prozent, die USA seien für sie ein Sicherheitsrisiko. Ist das zu fassen? Nur schlappe 40 Prozent sind der Auffassung, Russland trage die Hauptverantwortung für den Krieg in der Ukraine. Wer hat diese Slowaken so desinformiert? 69 Prozent der Slowaken fürchten, dass die Militärhilfe für die Ukraine Russland provoziert und ihr Land näher an den Rand eines Krieges bringt. In Rumänien und Bulgarien sind das „nur“ 59 Prozent.
Da lobe ich mir doch die tapferen Balten und die Polen. Aber zuverlässig sind die Polen auch nicht. 61 Prozent halten die Wirtschaftssanktionen für ineffektiv, weil sie Russland nicht schaden. Die werden Russland ruinieren, das weiß man doch. Aber leider wissen das die Bulgaren, Rumänen und Slowaken mehrheitlich ebenfalls noch nicht. Dann ist da noch die Frage, ob die Solidarität mit den Flüchtlingen aus der Ukraine auf die Knochen der Ärmsten des eigenen Landes ginge. Ich frage mich, ob der Kreml diese Frage bestellte, denn prompt sagten Mehrheiten in Bulgarien (man fasst es nicht: 71 Prozent!), aber auch in Litauen, Polen, Rumänien und der Slowakei dazu „Ja“.
Auf dem Weg auf die „richtige Seite“
Aber man soll das große Ganze sehen, und im Großen und Ganzen waren alle befragten Völker überwiegend gern Mitglieder in EU und NATO und also mindestens auf dem Weg auf die „richtige Seite“ der Geschichte. Die muss man also nicht anbrüllen, denn dort ist noch etwas Verstand zu Hause. Die kann man noch erziehen und besser vor russischer Desinformation schützen.
Wieder einigermaßen beruhigt, überlegte ich kurz, ob ich zum einzig verbliebenen russischen Konsulat in Deutschland fahren sollte, um ein Visum für Russland zu beantragen. Reiseort: Moskau. Anlass: Demonstration vor dem Kreml. Denn ich bin schon der Meinung, dass Putin das Völkerrecht gebrochen hat. Außerdem hat Olaf in Falkensee mitgeteilt, dass der Kremlherrscher nach der Ukraine „auch noch andere im Blick habe“ und da will ich schon mitreden: Nein, nicht „до Берлина“. Der Reichstag (heute Bundestag) ist schon voll mit kyrillischen Krakeln.
Aber dann dachte ich, wenn ich das ab sofort konsequent durchziehe, würde ich zum Reiseesel. Wer soll das bezahlen? Protest äußern bei den einen, Solidarität ausdrücken mit den anderen. Denn leider und auch mir völlig unverständlich hänge ich immer noch der Meinung an, dass dieser unsägliche Krieg eine Vorgeschichte hat und schleunigst beendet werden muss. Mit einer Sicherheitsarchitektur, die allen Interessen genügt. Das aber führt mich womöglich über Asien, Afrika und Lateinamerika sowie den Vatikan auch nach Ungarn, zu Victor Orban, der diesen Krieg für die Folge diplomatischen Versagens hält. Das ist keine gute Idee, bei dem Ansehen, dass die Ungarn aktuell in der EU haben.
Überdies käme ich vor lauter Reiserei gar nicht mehr dazu, über das Land zu sinnieren, das ich am besten kenne, am meisten liebe und dessen Wohl mir auch am intensivsten am Herzen liegt. Die “Kinderhymne“ hätte ich so gerne als Lied des geeinten Deutschlands gesungen. Von Anmut und Mühe, Leidenschaft und Verstand ist darin die Rede und auch davon, gleich unter gleichen Völkern zu sein, im Behüten wollen, in der Heimatliebe. (verlinkte Aufnahme entstand während einer Musikwerkstatt anlässlich des 30. Jahrestages der deutschen Einheit, ab Min 1:50)
Aber da dieser Wunsch müßig ist, denke ich aktuell darüber nach, wer in Falkensee wohl der berühmte Frosch auf dem Grund des Brunnens war, der nichts vom Himmel und nichts vom Meer weiß, weil alles, was er sieht, nur ein kleiner Ausschnitt ist. Allein, dieser Gedanke stammt originär aus China, also wieder so ein Pflaster, das immer heißer wird. Immerhin fuhr der Kanzler nach Peking, aller Schelte zum Trotz und später Macron und Baerbock auch. Macron machte in Peking Versprechungen, die er nicht zu halten gedachte. Frau Baerbock versprach nichts außer steter Kritik und fand alles im Nachhinein noch viel schlimmer als gedacht.
Diese unbelehrbaren Chinesen wiederum erfrechten sich, Baerbocks Auftritt mit dem eines NATO-Generals zu vergleichen, so als hätten sie gar nichts von den neuen deutschen Zeitenwende-Planungen gehört, zur größten konventionellen Militärmacht in Europa aufzusteigen. Da werden viele Generäle gebraucht, männliche, weibliche und aus Gerechtigkeitsgründen auch Repräsentanten der Regenbogengemeinde (LGBTQIA+).
Kriegswirtschaft – ein ressourcenschonender klimafreundlicher Entwicklungspfad?
Das mit dem Fußvolk wird sich schon klären, und wenn man die Türken und die Russen aus Europa wegdenkt, die Energiekrise und die schwächelnde Wirtschaft ignoriert, die Belastungen so vieler Bürger zur patriotischen Pflicht erklärt und Kriegswirtschaft sowieso für einen ressourcenschonenden und klimafreundlichen Entwicklungspfad hält, dann wird die Zukunft ganz wunderbar, regelrecht strahlend.
Denn endlich sind wir Deutschen, erstmals in unserer Geschichte, keine Kriegsverlierer. Wir stehen fest an der Seite der Ukraine, der Siegerin der Geschichte. Dass das so kommt, haben uns Biden und Blinken versprochen. Das verspricht uns auch der ukrainische Präsident und Herr Melnyk. So gelingt auch uns ein großer historischer Befreiungsschlag, ganz ohne deutsche Truppen, allein dank der siegreichen ukrainischen Armee. Und nebenbei werden die vielen europäischen Nationen von ihren geschichtlichen Traumata befreit, die seit Jahrhunderten unentwegt entweder von Russland oder der Roten Armee (umgangssprachlich: die Russen) besiegt wurden. Damit ist nun endlich mal Schluss.
Es gibt schon ein Imperium, ein gutes und großes Imperium, in dessen Herz die strahlende Stadt auf dem Hügel steht, und wo wir gerne im Gesindetrakt zu Hause sind. Das sollte doch allen genügen, auch diesen sturen sieben Milliarden Erdlingen, die die Russen immer noch mögen und von Mehrheiten schwafeln, als hätten sie eine Ahnung von Demokratie.
Deshalb fuchst es mich, dass der Kanzler (unser Olaf) in Falkensee diesen großen historischen Kontext und die in diesem heroischen Kampf fallenden ruhmreichen ukrainischen Soldaten (mit und ohne mögliche Insignien germanischer „Mythologie“) in den vorliegenden Redeausschnitten nicht erwähnte. Wer weiß, vielleicht hätte das den „Schreihälsen“ von Falkensee das Maul gestopft. Aber das kann ja noch kommen.
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