Seit eineinhalb Jahren ist der SPD-Politiker Scholz als Bundeskanzler tätig. Gut ein Drittel seiner Amtszeit hat er verbraucht. Die Mehrheit der Wähler ist mit seiner Arbeit unzufrieden. Sie hat ihm, seiner Partei und der Koalition geschadet. Scholz steht im Wasser. Es steigt. Er bemüht sich, einen höheren Grund für seine Füße zu finden, und arbeitet krampfhaft daran, sein Image zu verbessern. In weiser Voraussicht hat die SPD für den Fall der Fälle längst vorgesorgt.
Keine Bäume ausgerissen
Viele Menschen werden mit Scholz nicht warm. Er wirkt hölzern, unschlüssig und ängstlich. Um sein Zaudern zu kaschieren, führt er sich als Besserwisser auf. Er sah alles kommen, brachte es aber nicht über sich, das, was er kommen sah, zu befördern oder abzuwenden. Er behauptet zu führen, doch die Mehrheit sieht es nicht. Sie kehrt ihm den Rücken zu.
Noch schwerer als die Wähler tut sich seine Partei mit ihm. Die Mitglieder versagten ihm, die SPD zu führen. Sie bevorzugten mit Esken und Walter-Borjans zwei Unerfahrene aus der dritten Reihe. Zuvor hatte der SPD-Nachwuchs Scholz madig gemacht. Kanzlerkandidat wurde er überfallartig mithilfe des rechten SPD-Flügels. Dort war man es leid, sich von den Jusos und ihrem damaligen Anführer Kühnert vorführen zu lassen.
Als Kanzlerkandidat bestätigte Scholz das Bild, das von ihm im Umlauf ist. Der Minimalist zeigte aller Welt, dass er keine Bäume ausreißen kann. Bei der Wahl 2021 erreichte er 25,7 Prozent. Unter den 13 SPD-Politikern, die seit Gründung der Republik Kanzlerkandidaten waren, fuhr er das drittschlechteste Resultat ein. Noch schwächer als er schnitten nur Steinmeier 2009 mit 23,0 Prozent und dessen Nachnachfolger Schulz 2017 mit 20,5 Prozent ab.
Von Union und Grünen unterstützt
Das magere Ergebnis, das Scholz der SPD bescherte, genügte der Partei, um nach zwei Jahrzehnten wieder stärkste Kraft zu werden. Sie feierte dieses Ergebnis als großen Erfolg. Im Überschwang verdrängte sie, dass sie jahrelang als Kleinpartei bei 15 Prozent herumgekrebst war. Ein halbes Jahr vor der Wahl stand sie sogar bei nur 13 Prozent. Damals drohte ihr der Absturz unter die 10-Prozent-Marke.
Dass sie sich bis zum Wahltag erholte, schrieb sie siegestrunken sich und Scholz zu. Dabei hatte er für den Erfolg im Wahlkampf so gut wie nichts getan. Er blieb im Schatten, vermied es aufzufallen und überließ die Bühne klug den Konkurrenten der anderen Parteien. Union und Grüne legten sich mächtig ins Zeug, um der ausgelaugten SPD auf die Beine zu helfen.
Die Unionsspitzen Söder, Merz und Laschet lieferten sich vor den Augen der Wähler einen heftigen Machtkampf. Ohne Rücksicht auf Verluste setzten sie alles daran, um sich und der Union zu schaden. Die Wähler zahlten es ihnen heim. Ein halbes Jahr vor der Wahl hatte die Union noch bei 36 Prozent gelegen. Am Wahlabend war sie um ein Drittel auf 24,1 Prozent geschrumpft.
Als Opfer inszeniert
Auch die Grünen gaben ihr Bestes zugunsten der SPD. Die grünen Vorsitzenden Baerbock und Habeck rangen einige Zeit lang um die Kanzlerkandidatur. Dann schob Baerbock Habeck beiseite, entschied den Konkurrenzkampf für sich und machte sich zur Kanzlerkandidatin. Die Grünen lagen bei 28 Prozent und wähnten sich als Volkspartei auf dem Weg ins Kanzleramt.
Doch kurz vor der Wahl versank Baerbock in Skandalen. Plagiate hingen ihr nach und geschönte Angaben zu ihrem Lebenslauf, die ihr den Vorwurf der Hochstapelei einbrachten. Als ihre Partei die Kanzlerkandidatin als Opfer einer Kampagne feindlicher Medien inszenierte und Journalisten diffamierte, die über die Skandale berichteten, liefen den Grünen die Wähler davon. Bei der Wahl wurde ihr Gewicht auf 14,8 Prozent halbiert.
Die Skandale und das Bemühen, Baerbock als Opfer einer Kampagne hinzustellen, hatte auch ihr Wahlkampfleiter Kellner zu verantworten. Zur Belohnung für den schlechten Wahlkampf und das schwache Wahlergebnis der Partei brachte ihn Habeck als parlamentarischen Staatssekretär und Beauftragten der Bundesregierung für den Mittelstand im Wirtschaftsministerium unter. Dort wirkte als beamteter Staatssekretär auch Kellners Schwager Graichen. Er war für den gescheiterten Gesetzentwurf zum umstrittenen Heizungsgesetz verantwortlich. Er musste das Haus jüngst wegen Vetternwirtschaft verlassen.
Das Wahlergebnis verspielt
Ohne Hilfe von Union und Grünen wäre die SPD 2021 nicht stärkte Kraft und Scholz nicht Kanzler geworden. Selbst nach der Wahl noch wollten FDP und Grüne mit der Union über ein Bündnis zu reden. Doch auch dann zeigte sie sich von ihrer schlechten Seite und schreckte die beiden potenziellen Partner ab. Im Wahlkampf hatten FDP und Grüne Scholz wegen seiner Rolle im Cum-Ex-Steuerbetrug heftig attackiert und ihm für die Zeit nach der Wahl mit einem Untersuchungsausschuss im Bundestag gedroht. Nun machten sie ihn zum Kanzler.
Er war für sie wie für seine Partei eine Verlegenheitslösung. Als Kanzlerkandidat tat er, was ihm am nächsten liegt: Er wartete ab. Obwohl die SPD acht Monate vor der Wahl bei 15 Prozent stagnierte und 20 Punkte hinter der Union lag, sagte er damals: „Ich werde der nächste Kanzler sein.“ Alle schüttelten den Kopf. Sie übersahen die Konflikte in der Union und bei den Grünen. Scholz hatte sie offenbar im Blick.
Heute ist das Wahlergebnis von 2021 verspielt. SPD und FDP sind in Umfragen um ein Drittel geschrumpft. Die Grünen fielen nach einer kurzen Erholung 2022 auf ihr enttäuschendes Wahlergebnis zurück. Die Ampel-Parteien, die bei der Wahl auf 52 Prozent kamen, haben diese Mehrheit in Umfragen verloren. Sie fielen auf rund 40 Prozent zurück. Die SPD liegt heute auf dem Niveau der rechtsextremen AfD. Sie übertrifft ihr Wahlergebnis um 80 Prozent und lässt die Grünen deutlich hinter sich.
Keine Orientierung geboten
Den Zuwachs verdankt die AfD größtenteils der Ampel-Koalition und Bundeskanzler Scholz. Nur ein Drittel der derzeitigen AfD-Anhänger unterstützen die Partei aus Überzeugung. Zwei Drittel wollen sie aus Enttäuschung über die anderen Parteien wählen. Anstoß nehmen diese frustrierten Wähler vor allem an der Asyl- und der Energie-, Umwelt- und Klimapolitik der Koalition.
Die Ampel steht seit Beginn ihrer Arbeit unter starken Spannungen. Sie leidet unter den Kontroversen innerhalb der Koalitionsparteien und denen zwischen den Koalitionspartnern. Scholz kann die Konflikte nicht unterbinden. Sie können sich breit entfalten. Der Zusammenhalt der Partner ist geschrumpft. Die Gräben zu den Grünen werden tiefer. Die Differenzen betreffen ein breites Themenspektrum von der Außen- über die Asyl-, Finanz- und Verkehrspolitik bis zur Energie- und Klimapolitik.
Scholz bietet den irritierten Bürgern keine Orientierung. So entstand und festigte sich der Eindruck, die Koalition und er selbst seien orientierungslos. Mit Putins Ukraine-Krieg begann das Ansehen des Kanzlers zu schmelzen. Scholz proklamierte zwar die Zeitenwende. Doch bis heute tut er sich schwer damit, ihr Richtung und Sinn zu geben, die Bürger auf Veränderungen vorzubereiten und das Notwendige mit deren Leistungskraft zu verbinden.
Die Trägheit umgedeutet
Der Kanzler fordert Tempo in der Politik, bewegt sich selbst aber nur in Trippelschritten. Auch aus dem Regierungslager wird ihm vorgeworfen, er habe sich zu spät von Putins Pipelines getrennt, sich von Putin einschüchtern lassen, zu lange am Dialog mit dem Diktator festgehalten, der Ukraine zu spät mit Waffen und Munition geholfen, das Bündnis gegen ihn zeitweise ausgebremst und Verbündete in Ost und West verärgert und gegen Deutschland aufgebracht.
Die SPD-Spitzen versuchen, die Trägheit ihres Kanzlers als Umsicht zu verklären. Bisher gelang es der SPD-Propaganda nicht, die Realität zu beschönigen und den Prestigeverlust der Partei und ihres Kanzlers zu bremsen. Sie verloren Ansehen nicht nur, weil er Entscheidungen unterließ und verschleppte, sondern auch, weil sich manche seiner Entscheidungen als krasse Fehler entpuppten.
An die Spitze des Verteidigungsministeriums berief er eine Frau, die das Amt gar nicht wollte und es nur als Sprungbrett für einen anderen Posten übernahm. Schnell stellte sich heraus, dass sie überfordert war. Ein Jahr lang sah Scholz zu, wie der Schaden, den sie anrichtete, unablässig wuchs und Deutschland immer mehr in Verruf brachte. Als er sie dann ablöste, klebten ihre Defizite längst an seiner Jacke.
Fehlentscheidungen getroffen
Er ließ sich von den Grünen in sein Kabinett eine Familienministerin setzen, die schon vor ihrer Berufung als Landesministerin in Rheinland-Pfalz angeschlagen war, weil es ihr nicht gelang, Beruf und Familie zu vereinbaren. Nach fünf Monaten sah sie sich gezwungen zurückzutreten. Ersetzt wurde sie von ihrer Parteifreundin Paus, einer Finanzpolitikerin, die Scholz im Wahlkampf wegen seiner Rolle im Cum-Ex-Skandal scharf kritisiert und damit seine Eignung als Kanzler infrage gestellt hatte.
Zum Gesundheitsminister berief Scholz seinen Parteifreund Lauterbach, der sich wie Scholz vergeblich um den SPD-Vorsitz beworben hatte. Lauterbach befasst sich seit vielen Jahren mit Gesundheitspolitik. Viele Fehlentwicklungen, die heute korrigiert werden müssen, gehen auf sein früheres Wirken zurück. Scholz wollte ihn nicht im Kabinett haben, gab aber schließlich dem öffentlichen Druck nach. Auch bei dieser Personalentscheidung ließ der Bundeskanzler Führungsstärke vermissen.
Außerhalb der Koalitions- und Regierungsarbeit laviert Scholz ebenfalls herum. Er muss jene Kräfte bei Laune halten, die vor der Zeitenwende Deutschlands Energiepolitik prägten, Putin als akzeptablen Partner behandelten und sich gerne auf seine Leimrute setzten, weil sie großen Profit verhieß und großen Einfluss sicherte. Zu jenen, die Putin lange in die Hände spielten, gehört neben anderen Sozialdemokraten wie Schröder, Gabriel, Steinmeier und Schwesig auch Scholz.
Empörung hervorgerufen
Er erspARTE den deutschen Putin-Profiteuren und sich selbst eine Abrechnung über die Kooperation mit dem Diktator. Viele Politiker und viele Bosse vor allem in der Chemie-, Energie- und Metallindustrie, in deren Verbänden und Gewerkschaften dürften Scholz dankbar sein, dass er die Rolle, die sie bei der fatalen Bindung an Putin spielten, bisher nicht zur Sprache kommen ließ. Diese Bindung kam und kommt vielen Menschen in der Ukraine, in Russland und in Europa teuer zu stehen.
Mit der Teilnahme der Grünen an der Bundesregierung und mit Putins Ukraine-Krieg geriet die Balance, die sich über viele Jahre zwischen den verschiedenen Gestaltungskräften der deutschen Politik herausgebildet hatte und lange stabil schien, plötzlich in Bewegung. Nun wollen neben der Wirtschaft und den Gewerkschaften auch die Grünen und ihr Umfeld die Energiepolitik prägen.
Die Grünen entwickelten ihre Klimapolitik in der Opposition. Sie wollen den Verbrauch fossiler Energieträger beenden und den CO2-Ausstoß der Endkunden senken. Die Kosten spielten kaum eine Rolle. Unstimmigkeiten in Habecks Heizungskonzept und dessen hohen Kosten rufen in der Bevölkerung Empörung hervor. Sie wuchs, weil der Plan, die Energieinfrastruktur und die Nutzung bei den Endkunden parallel umzubauen, die Nutzer noch mehr verunsicherte.
Über die Grünen gespalten
Konflikte in der Energiepolitik zwischen SPD und Grünen haben eine lange Tradition. Kaum war 1995 die erste rot-grüne NRW-Regierung vereinbart, machten SPD-Abgeordnete, die der Bergbau-Gewerkschaft verbunden waren, klar, dass sie die Grünen schnell wieder klein machen und in die Opposition zurückdrängen wollten.
In der Opposition hatten sich die NRW-Grünen gegen den Bergbau profiliert. Ihre Mitglieder erwarteten, dass ihre Minister den Ausstieg vorantrieben, nicht nur, um die Umwelt zu schützen, sondern auch, um die SPD-Hochburgen in den Bergbauregionen zu schleifen. Zehn Jahre lang bekämpften sich die NRW-Koalitionspartner. Dann hatten sie sich erschöpft und wurden abgewählt.
Die SPD ist seit jeher über die Grünen gespalten, ähnlich wie die Grünen über die SPD. Der rechte SPD-Flügel meint, die SPD müsse sich von den Grünen abgrenzen. Sie seien ein politischer Gegner, der zulasten der SPD wirke. Die Partei müsse, um zu reüssieren, Wähler aus der Mitte der Gesellschaft gewinnen. Dagegen ist der linke SPD-Flügel den Grünen zugewandt. Sie dienen ihm im Ringen um die Dominanz in der SPD dazu, den rechten Flügel unter Druck zu setzen.
Rot-rot-grün gescheitert
Dieser Richtungsstreit blockiert die SPD seit Jahrzehnten. Je schwächer sie wurde, desto stärker spitzte er sich zu. Um die Partei mehrheits- und regierungsfähig zu machen, strebte der linke Flügel ein Bündnis mit den Grünen und der Linken an. Die Rechnung ging nicht auf. Der rechte SPD-Flügel setzte die Koalition mit der Union durch und war mit der Rolle des Juniorpartners zufrieden.
Auch die Grünen legten zur CDU aus. In Schleswig-Holstein, Hessen und in NRW kooperieren sie mit ihr als kleiner Partner, in Baden-Württemberg führen sie das Bündnis mit der CDU an. In beiden Lagern wird auch eine schwarz-grüne Koalition auf der Bundesebene für möglich gehalten.
Scholz startete als junger Mann auf dem linken SPD-Flügel. Im Laufe der Zeit rückte er nach rechts. Heute zwingt ihm der Dauerstreit zwischen FDP und Grünen ihm die Rolle des Vermittlers auf. Er hat Mühe, sich als ausgleichende Kraft zu profilieren. Er neigt in Konflikten eher der FDP zu. Er will den Wählern in der Mitte signalisieren, dass sie bei der SPD gut aufgehoben wären.
Pfusch produziert
Die Grünen machen es ihm schwer, in der Mitte Akzeptanz zu finden. Die Grünen lehnen es ab, mit FDP-Finanzminister Lindner über den Etat und über Sparmaßnahmen zu reden. Der Kanzler muss dem Minister helfen und seine Aufgaben übernehmen. Scholz kann nicht verbergen, dass seine Koalition marode ist, ein Zustand, der auf Wähler in der Mitte des politischen Spektrums abschreckend wirkt.
Viele von ihnen halten zum Kanzler und seinem Bündnis auch schon deshalb Distanz, weil sie gute Arbeit schätzen. Ihren Vorstellungen von Qualität entspricht die Arbeit der Koalition nicht. Habecks Heizungsgesetz verstärkt den Eindruck, die Ampel-Regierung produziere unverhältnismäßig viel Pfusch. Er schadet den Grünen und der SPD. Er beschert ihnen in Umfragen deutliche Verluste.
Viele Bürger wollen nichts mit Politik zu tun haben. Sie betrachten sie wie Zuschauer eine Seifenoper. Ab und an entgleiten Politikern die Geschäfte, die sie auf den Bühnen der Bundes- und Landespolitik inszenieren. Es geschieht oft dann, wenn sie die Bürger übermäßig belasten. Rasch wandeln sich die Wähler vom Zuschauer zum Gestalter. Sie holen die Politik von der Bühne in den Zuschauerraum und entwinden den Parteien und Parlamenten die Deutung der Politik. Aus Gestaltern werden Getriebene, die sich rechtfertigen und korrigieren müssen.
Zum Rohrkrepierer geworden
Gelingt es Politikern nicht, die Kluft zu den Bürgern zu schließen und das umstrittene Thema auf die Bühne zurückzuholen, bleiben ihnen nur zwei Möglichkeiten: ihre Pläne aufzugeben oder sie gegen den Willen der Wähler durchzusetzen. Im diesem Fall riskieren Politiker die Abwahl wie 2005 der damalige SPD-Kanzler Schröder mit seiner Agenda-Politik.
Viele Politiker achten sorgsam darauf, eine solche Lage zu vermeiden. Habeck schaffte es nicht. Sein Heizungsgesetz wurde zum Rohrkrepierer, weil es tief in den Besitzstand der Bürger eingreift und große Mängel aufweist. Die Kanzlerpartei SPD hätte frühzeitig korrigierend eingreifen können. Ihre Nähe zur Energiegewerkschaft IG BCE verschafft der Partei genügend Wissen über Energiefragen.
Doch der Kanzler und die SPD brachten es nicht über sich, Habeck zu helfen und seinen unfertigen Gesetzentwurf schnell zu entschärfen. Es war zu verlockend, den grünen Star, der zu Beginn der Koalition bei der Kommunikation seiner Politik zur Hochform auflief und alle anderen Politiker in den Schatten stellte, nun von der FDP und dem Bürgerzorn treiben zu lassen und dann abstürzen zu sehen.
Von der Bevölkerung entfernt
Habecks Pläne wirkten verheerend. Bürgerliche Kräfte, die kürzlich von der Union zu den Grünen gewechselt waren, um sie zur Volkspartei zu machen, nahmen wütend Reißaus, viele fest entschlossen, ihnen einen Denkzettel zu verpassen. Sie bliesen die rechtsextreme AfD kräftig auf.
Dass SPD und Grüne behaupten, sie wären beim Heizungskonzept Opfer einer Medienkampagne geworden, bestärkt die Denkzettel-Wähler noch. Es zeigt ihnen, wie hilflos Grüne und SPD sind und wie weit sie sich von der Bevölkerung entfernt haben. Ist doch der Volkszorn, der sich in den Medien niederschlägt, nur ein schwacher Abklatsch der Realität.
Der Zorn mischt sich mit dem Unmut über die chaotische Verkehrsinfrastruktur, den Mangel an Wohnungen, Lehrern, Kindergärten, Medikamenten und vielen anderen, politisch verursachten Missständen, die das Leben der Bürger unnötigerweise erschweren, zu einem brisanten Gemisch. Die Ampel-Partner können die Defizite nicht einmal glaubhaft auf Ex-Kanzlerin Merkel abladen. An drei Vierteln von deren Amtszeit war die heutige Kanzlerpartei SPD beteiligt, am vierten Viertel deren heutige Ampel-Partnerin FDP.
Die Gewichte verschoben
Jene Kräfte, die vor der Zeitenwende die Energiepolitik prägten, weisen auf Fehler in Habecks Konzept hin und verstärken den Unmut gegen ihn. Scholz schaute dem Treiben tatenlos zu, obwohl es nicht nur die Grünen in Mitleidenschaft zog, sondern auch den Kanzler und die gesamte Koalition.
Die Bürger füllten das Vakuum, das Scholz entstehen ließ. Sie verschieben die Gewichte zwischen den Parteien. Sie verschaffen der AfD bundesweit erheblich mehr Gewicht. Sie liegt in Umfragen gleichauf mit der SPD und deutlich vor den Grünen. In Teilen von Ostdeutschland ist sie stärkste Kraft.
Die SPD steht mit ihrem Kanzler nicht weit entfernt von den dürftigen Umfragewerten, auf die sie unter ihren Ex-Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans abgestürzt war. Scholz muss sich sorgen, dass in seiner Partei und in seiner Fraktion der Ärger über ihn wächst.
Um Volksnähe bemüht
Er versucht, sein Ansehen zu verbessern. Er kämpft gegen sein Bürokraten-Image. Er sucht Auftritte in der Öffentlichkeit wie in den Medien und bemüht sich, volksnah zu reden. Auf Auslandsreisen begleitet ihn seit kurzer Zeit seine Frau. Hinter dem Scholzomaten soll der Mensch Olaf Scholz sichtbar werden.
Dass die Koalition zerstritten ist, kann er nicht ändern. Dass sie kippt, muss er nicht befürchten. Keiner der drei Regierungsparteien steht der Sinn nach Neuwahlen. SPD und FDP liegen so weit hinter ihren Wahlergebnissen von 2021 zurück, dass sie bei Neuwahlen deutlich schwächer würden.
Abgeordnete sind risikoscheu, wenn es um ihren Status geht. Sie vermeiden es, ihr Mandat aufs Spiel zu setzen, wenn sie die Gefahr sehen, sie könnten es verlieren. Der Anreiz ist stark, es über mehrere Legislaturperioden auszuüben. Je länger es Bestand hat, desto lukrativer wird der Abschied von ihm.
Als Regierungspartner gebraucht
Die Grünen haben in den Umfragen seit Mitte 2022 mehr als 40 Prozent eingebüßt. Sie liegen nun auf der Höhe ihres schlechten Wahlresultats. Bleibt es dabei, müssen sie sich um den Bestand ihrer Mandate nicht sorgen. Unzufrieden können sie darüber sein, dass ihre Umfragen sehr weit unter ihren Ansprüchen als Kanzlerpartei liegen und sie absurd erscheinen lassen.
Obwohl die Grünen geschwächt sind, weil ein Teil ihrer Wähler zur AfD gewechselt sind, um ihnen einen Denkzettel zu verpassen, behaupten sie in der Ampel-Koalition und über den engen politischen Bereich hinaus ihr politisches Gewicht. Sie profitieren vom Aufschwung der AfD, zu dem sie kräftig beigetragen haben.
Da die AfD für alle anderen Parteien kein Bündnispartner ist und eine schwarz-rote Koalition wegen der Aversionen zwischen Union und SPD wohl nicht zustande käme, werden die Grünen im Bund gebraucht, um eine Regierung zu bilden, ganz gleich, ob sie von der SPD oder der Union geführt wird.
Die Wahlchancen mindern
Die SPD kann ihre Rolle als Regierungs- und Kanzlerpartei bei der nächsten Wahl nur behaupten, wenn sie es schafft, ihren Sinkflug rechtzeitig zu beenden und die große Lücke zu schließen, die sich zwischen ihr und der Union seit der Wahl 2021 aufgetan hat.
Bis zum Wahlkampfjahr 2025 ist es noch hin. Dem Bundeskanzler und seiner Partei bleibt noch einige Zeit, sich aufwärts zu bewegen und sich den Umfragewerten der Union zu nähern. Lange sollte der Umschwung aber nicht auf sich warten lassen.
Schon heute wissen die SPD-Bundestagsabgeordneten ziemlich genau, wer von ihnen auf der Strecke bliebe, wenn sich die derzeitigen schlechten Umfragewerte verfestigen sollten und der Aufschwung nicht rechtzeitig in Gang käme. Frust wächst in Fraktionen schnell. Er würde die Wahlchancen der SPD zusätzlich mindern.
Ersatz in Sicht
Die Strategen der Partei können diesen Ernstfall nicht ausschließen. Es käme der SPD sicher gelegen, wenn ihr die Grünen und die Union wie vor der Wahl 2021 noch einmal in die Karten spielten. Doch darauf setzen werden die Machtklempner in der SPD sicher nicht. Sie wissen, dass ihre Bundestagsfraktion nervös werden wird, wenn die Partei zu lange unter der 20-Prozent-Marke hängen bleibt.
Die Fraktion besteht zu drei Vierteln aus Jungsozialisten, die zum linken SPD-Flügel gehören und auf Scholz kritisch schauen. Viele wirkten daran mit, ihn als Parteichef zu verhindern. Die meisten stehen am Anfang ihrer Laufbahn. Sie würden 2025 wohl nur ungern in die Opposition gehen oder aus dem Bundestag fallen. Bliebe alles, wie es derzeit ist, werden sie vor der Wahl darauf dringen, dass sich einiges ändert.
Sollte Scholz die SPD nicht festigen, steht schon mit Verteidigungsminister Pistorius und Parteichef Klingbeil Ersatz bereit. Beide kommen aus dem Bundesland, in dem die IG BCE ihren Sitz hat. Sie half vor einem viertel Jahrhundert schon einmal, einen SPD-Mann zum Kanzler zu machen: Gerhard Schröder. Wahrscheinlich hat sie auch bei der Kandidatur von Scholz assistiert, der in der Hamburger SPD verankert ist. – Gut möglich, dass es bald aus Hannover wieder heißt: „Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein.“
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