Wundersame Bahn CLVIII – Entspannt im ICE

Das erste Ferienwochenende in NRW – da ist im Verkehr immer das Schlimmste zu befürchten. So entschloss ich mich zum Verzicht auf das 49-€-Ticket und kaufte mir mit meiner Bahncard 50 am Bahnhof Beuel – bei einem richtigen Menschen, dieses Mal allerdings eine Urlaubsvertretung – ein ICE-Ticket. Wie weise von mir!

Sonntagmorgen am Hauptbahnhof ein überfüllter Bahnsteig 1. Der RE5 hatte Verspätung. Und nahm netterweise 95% der Menschenmasse in sich auf. Mein ICE war mit “hoher Auslastung” angekündigt. Da ich sowieso auf mein traditionelles Sonntagslunch im “l’Olivo” verzichten musste, steuerte ich geradewegs den Speisewagen an. Der war geöffnet, die Klimaanlage funktionierte, er war nicht überfüllt und was ich bestellte, war auch vorrätig.

Hier beginnt meine erste Kritik. Die sog. “Wok-Nudeln” hatten nie im Leben einen Wok auch nur von Weitem gesehen. Die wanderten aus der Tüte geradewegs in die Mikrowelle – und das zu kurz. Oben hatten sie eher die Temperatur von Nudelsalat. Da aber draussen Temperaturen von ca. 35 Grad herrschten, empfand ich das in diesem Einzelfall nicht so dramatisch, wie ich es unter anderen Umständen empfunden hätte. Der dazu servierte Roséwein eines rheinhessischen Winzers war sogar erfreulich schmackhaft.

Während der Fahrt merkte ich, dass die deutschen Gäste am Tisch hinter mir den Kellner ausgesucht herablassend behandelten. Der Mann hatte eine Schicht bis Dortmund, und dort einen Umstieg zu einer weiteren Speisewagenschicht bis Stuttgart vor sich. Als sich in Düsseldorf zwei charmante Griechinnen (Mutter & Tochter) aus Verzweiflung über den überfüllten Zug an meinen Tisch gesellten, erklärte ich ihnen als Erstes meine Dankbarkeit, dass überhaupt noch Menschen diese Servicearbeit machen, die Bahn oft genug gar keine Leute mehr dafür finde.

Hatte der Kellner mich belauscht? Meinen Nachtisch-Espresso berechnete er mir jedenfalls nicht. Ich revanchierte mich dafür beim Trinkgeld. So gleicht sich alles wieder aus.

Und diese Hinfahrt zum 91. Geburtstag meine Vaters war eine erholsame entspannte Angelegenheit. Es ist nicht alles schlecht an der wundersamen Bahn.

Rückfahrt

Am Essener Hbf. erreichte ich einen geringfügig verspäteten doppelbespannten ICE-1, also schon etwas betagt, aber grosszügiger möbliert als die Folgemodelle, der sonntags bis Koblenz verkehren sollte. Ich bestieg seine hintere Hälfte. Dort zeigte das Display im Grossraumabteil jedoch nur eine Fahrt bis Köln an. Möglicherweise, dachte ich, wird ja der hintere Teil in Köln abgekoppelt, denn der Zug war nur extrem aufgelockert besetzt – und das könnte ja Energie und Personal sparen. Naja, Personal war sowieso keines zu sehen.

Sicherheitshalber wechselte ich in Köln in den Vorderteil, was sich dann aber als unnötig herausstellte. Dafür gab es für andere Fahrgäste ein anderes Malheur. Die Kölner Bahnsteiganzeige war falsch. Sie zeigte einen Zug nach Nürnberg an. Einige Fahrgäste bestiegen also den falschen Zug, und erfuhren das erst durch eine Durchsage nach der Abfahrt aus Köln. Ihnen wurde darin vorgeschlagen, in Bonn den Zug wieder zu verlassen – der Zug nach Nürnberg werde als nächster hinter uns folgen.

Doch da hatte das Zugbegleitpersonal seine Rechnung ohne die Transportleitung in Duisburg gemacht. Wir verliessen den Kölner Hbf. mit unserer aus Essen mitgebrachten Verspätung von knapp 10 Minuten. Kalscheuren durchfuhren wir nicht im (tariflich schon bezahlten) ICE-Tempo, sondern wie ein Fahrrad. Bauarbeiten waren nicht zu entdecken – aber hier war vor einigen Wochen ein tödlicher Unfall passiert. In Brühl erreichten wir vorübergehend normales Reisetempo, um kurz vor Sechtem, mit Blick auf eine verkehrsberuhigte Reihenhaussiedlung, wie sie in diesem Durchfahrtsland typisch ist, komplett ausgebremst zu werden.

Eine informierende Durchsage erfolgte nicht. Der Halt dauerte gut 15 Minuten an, ohne erkennbaren Grund. Auf dem Gegengleis passierten uns zwei Güterzüge. Infrastrukturell war Bonn also theoretisch erreichbar – wie beruhigend. Und dann wurden “wir als ICE” – das hatte ich so noch nicht – überholt. Das passiert auf dieser Strecke eigentlich immer – aber in der Regionalbahn. Nein, was uns da überholte, war der ICE nach Nürnberg! Der war also, als wir Bonn mit 30 Minuten Verspätung erreichten, schon weg. Dumm gelaufen.

Den irrtümlich mitfahrenden Fahrgästen wurde nun ein ICE über Frankfurt-Stuttgart-München vorgeschlagen. Ohne Entschuldigung oder Begründung. Als wenn es Franken gar nicht gibt.

Kleiner Trost

Ich sah am Sonntagnachmittag in Leverkusen bis Langenfeld bei 40 Grad Temperatur in glühender Sonne Bauarbeiten für die RRX-Strecke. Die wurde politisch beschlossen, als ich noch im NRW-Landtag arbeitete, und Peer Steinbrück die irren “Metrorapid”-Fantasien seines Vorgängers Clement abräumte. Das war vor 20 Jahren. Ich (66) könnte es also noch knapp erleben.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net