Die deutsche Politik hat keine Russlandstrategie. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dann haben die Reaktionen auf den missglückten Marsch auf Moskau ihn erbracht. Von „mit einem Kriegsverbrecher kann man nicht verhandeln“ bis zu der offen ausgesprochenen Angst vor einem Chaos nach Putin waren es nur wenige Schritte.

Konnte man vor dem Putschversuch den Eindruck gewinnen, das offizielle Berlin wünsche sich nichts sehnlicher als eine Ablösung Putins, schien man nach Prygoschins Asylantrag bei Lukaschenko erleichtert zu sein, dass der Spuk vorbei war. Diese Erleichterung hielt allerdings nicht lange an und wich der nicht ganz unrealistischen Befürchtung, Putin könne nun wie an angeschossenes wildes Tier wild um sich beißen.

Die Aktualität der Informationen westlicher Geheimdienste hat allerorts Verwunderung hervorgerufen und lässt die Frage nach dem Sinn und Zweck des BND mit einem jährlichen Haushaltsvolumen von 1 Mrd. Euro aufkommen. Wieviel Großbritannien, Frankreich und die USA in ihre Auslandsgeheimdienste alljährlich investieren ist nicht bekannt.

Die vor allem im Hinblick auf die künftige Entwicklung drängende Frage, wie sich die Bundesregierung die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen vorstellt, ist völlig im Nebel. Deutlich geworden ist allemal, dass es vielleicht doch ganz sinnvoll wäre, wenn es noch ein paar offene Gesprächskanäle gäbe. Diese zu pflegen ist eine klassische Aufgabe von Diplomatie.

Das gilt im Übrigen auch für lokale und kulturelle Kontakte. Die Suspendierung von Städtepartnerschaften und der Ausschluss russischer Künstlerinnen und Künstler scheinen mir nicht das richtige Signal zu sein.

Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Klare Kante gegen den Bruch des Völkerrechts und Putins Eroberungskrieg und Wahrung der Kontakte in das Land von Tolstoi, Dostojewski, Tschaikowski und Schostakowitsch. Cancel Culture gegen russische Kultur ist kein Beitrag zum Frieden.

Es wäre kein Zeichen von Schwäche, wenn wir gerade in dieser Zeit offensiv das Gespräch mit russischen Kulturschaffenden suchen würden.

Eine neue Russlandstrategie wird sich nicht nur militärischen, sondern gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Fragen stellen müssen. Deutschland kommt dabei innerhalb der westlichen Bündnisse aufgrund seiner Geschichte und seiner gewachsenen Kontakte eine besondere Bedeutung zu.

Über Dr. Hanspeter Knirsch (Gastautor):

Der Autor ist Rechtsanwalt in Emsdetten und ehemaliger Bundesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten. Er gehörte in seiner Funktion als Vorsitzender der Jungdemokraten dem Bundesvorstand der F.D.P. an und war gewähltes Mitglied des Landesvorstands der F.D.P. in NRW bis zu seinem Austritt anlässlich des Koalitionswechsels 1982. Mehr zum Autor lesen sie hier.

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