Mit Update nachmittags: weitere Beispiele zur Dysfunktionalität der Medien

Die Konstruktion “des Anderen” ist eine ungute altdeutsche Tradition, die aus ökonomischen Gründen vom real existierenden deutschen Medienkapitalismus bis heute liebevoll gepflegt wird. Daraus lassen sich beständig so viele feuerwerkähnliche Funken schlagen, dass das wahre Leben von Kapitalismus und mannigfaltigen Formen der Diskriminierung dahinter verschwindet. Nun hat in einem Landkreis in Thüringen die Minderheit der an der Wahl Teilnehmenden einen Faschisten als Landrat gewählt. Und zielsicher platzierte das “Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung” in Leipzig seine Veröffentlichung Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie – Die rechtsextreme Einstellung in den ostdeutschen Bundesländern”. Worauf der deutsche “Medienmarkt” mit begeisterter Aufmerksamkeit reagierte – exzellente PR-Arbeit.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: ich stimme dem alten WAZ-Kämpen Lutz Heuken/Blog der Republik vollständig zu: AfD-Triumph: Kein Alibi für die Wähler – Für den AfD-Sieg bei der Landratswahl im thüringischen Sonneberg wurden viele Ursachen gesucht und benannt. Kaum im Fokus dabei: Die Wählerinnen und Wähler der Rechtsextremisten. Indes: Genau sie tragen die Verantwortung – und nun auch die Konsequenzen.”

Was mich ermüdet und zunehmend langweilt, ist die nach über 30 Jahren immer noch fortgesetzte Unterscheidung zwischen “uns” und “denen”. Warum hat das Leipziger Institut keine bundesweite Untersuchung gemacht? Schon in den 70er Jahren wurde vom Sinus-Institut ein “geschlossenes rechtsradikales Weltbild” bei weit über 10% der West-BRD-Bevölkerung diagnostiziert. Eine pegida-artige “Aktion Widerstand” mobilisierte gegen die Ost- und Entspannungspolitik der sozialliberalen Bundesregierung, die NPD sass mit zweistelligen Wahlergebnissen in süddeutschen Landtagen. Von Schwarzen Deutschen wusste niemand (unter den Weissen natürlich), und die Ruhrgebietssiedlung, in der ich meine ersten fünf Lebensjahre aufwuchs, nannte der sog. “Volksmund” “Mau-Mau-Siedlung”.

Mein Vorschlag: statt sich am konstruierten Fremden erschauernd zu entsetzen, zur Abwechslung mal um das Eigene kümmern. Oder warum wird so engagiert versucht, das zu vermeiden? Warum die Angst vor dem Blick in den Spiegel? (womit ich nicht das abkackende Medium dieses Titels meine). Das gespielte Entsetzen über die AfD ist eine Ersatzhandlung für das eigene Unterlassen. Wo sind denn die Mobilisierungen der demokratischen Parteien für ihre Zukunftsvisionen?

Ukrainekrieg? Aufrüstung? Flüchtlinge ersaufen oder von Erdogan einsperren lassen? Für Klimaschutz keine Zeit? Und zu doof zur Gesetzgebung (Verfassungsgerichtsurteile standhaft ignorierend)? Was davon soll der AfD entgegen gesetzt werden und zum Wählen motivieren?

Update nachmittags

Regierung, Geheimdienste, Medien – gemeinsam gegen Martin Luther King

Die Junge Welt hat einen erhellenden Text (vorübergehend) aus ihrer Paywall freigelassen. Jürgen Heiser bespricht ein Buch von Jonathan Eig: King: A Life, London 2023 in einer ausführlichen und politisch aufschlussreichen Besprechung: »Der gefährlichste Schwarze« – Eine neue Biographie über Martin Luther King stellt dessen Verhältnis zu Malcolm X richtig und zeigt, wie die US-Regierung die schwarze Bürgerrechtsbewegung bekämpfte”.

Wenn Sie nun meinen, das sei aber lange her – ich selbst war Grundschüler – dann sage ich Ihnen: falsch. Das Zusammenspiel von Regierungs-PR, Geheimdiensten und führenden Medien funktioniert in der gegenwärtigen Aufmerksamkeitsökonomie immer noch allzu ähnlich. Zu unterschiedliche Kräfte wie die Clans der Kennedys, der Hoovers und der Medien machten gemeinsame Sache gegen den Emanzipationskampf der Schwarzen. Und King war klug genug, ihre Spaltungsmanöver und Verfälschungen gar nicht erst zu ignorieren, sondern auf die eigene Stärke der Bewegung und seiner selbst zu vertrauen. Das war vorbildlich starke, und ausserdem historisch erfolgreiche Politik. Sie ist heute noch längst nicht am Ziel. Aber ein weiter Weg ist absolviert, der Kraft für die Fortsetzung des Kampfes gibt. Wo lernt frau*mann das? Genau hier!

Landespolitiker*innen machen den Job der AfD gegen öffentliche Medien

Noch nicht aus der Paywall befreit ist ein Text von Stefan Niggemeier/uebermedien, aber die substanzielle Information steht vor der Bezahlwand: “Wie ein Verfahren torpediert wird – Politiker und Medien ignorieren, wer die Höhe des Rundfunkbeitrags festlegt”. Das heisst im Klartext: weder die interessengeleiteten kapitalistisch verfassten und dilettierenden Konzernmedien, noch eine grosse Zahl politisch zuständiger Landespolitiker*innen interessiert auch nur die Bohne für verfassungsrechtliche Spielregeln, wenn sie nur darüber ein PR-Ei aufschlagen können. Und erledigen so nebenbei genau das, was die faschistische AfD will. Welchen Grund gäbe es also noch, für solche Figuren zur Wahl zu gehen? Sagen Sies mir.

“Europa”, wie es sich selbst zerstört

Ein sehr guter Freund des Extradienstes sandte mir dieses Interview des österreichischen Schriftstellers Robert Menasse mit der weitgehend reaktionär infiltrierten – und gerade deswegen leider relevanten – Neuen Zürcher Zeitung: «Man könnte sagen, die Wähler sind verdummt und kennen die europäische Idee nicht mehr.» – «Ist das nicht etwas überheblich, Herr Menasse?» Machen Sie sich Ihren eigenen Reim darauf. Meiner ist: ein Grundfehler der Eltern der europäischen Idee war, dass sie keinen Gedanken auf die Entwicklung europäischer Medien verschwendet haben. 2005 habe ich zusammen mit zwei fachkundigen Freundinnen so einen Vorschlag einem deutschen TV-Sender gemacht, der französischen Investoren gehörte. Als Sarkozy Präsident wurde, haben sie ihn lieber geschlossen. Schade eigentlich.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net