Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, mit größter Sorge verfolgen die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege die aktuellen Verhandlungen innerhalb der Koalition über die Kindergrundsicherung. Insbesondere besorgt uns das Szenario, dass die Politik in die Sommerpause geht, ohne dass eine Verständigung auf die Eckpunkte für diese Leistung stattgefunden hätte. Aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege ist die Einführung einer armutsfesten Kindergrundsicherung in dieser Legislaturperiode unverzichtbar. Über 20 Prozent, rund 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland, leben bereits in relativer Einkommensarmut. Die Tendenz ist seit Jahren steigend.

Die Regelsätze im SGB II decken das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum nicht ab und reichen deshalb bei weitem nicht aus, um ein Leben außerhalb der Einkommensarmut zu garantieren. Die Zuwendungswege zu den Kindern sind darüber hinaus für die bedürftigen Bürgerinnen und Bürger häufig verworren, zu bürokratisch und in der Antragsstellung zu aufwendig. Die Folge ist eine nach allen Schätzungen hohe Quote der Nicht-Inanspruchnahme.

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Spitzenverbände haben es daher außerordentlich begrüßt, dass erstmals eine Koalition in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung einer Kindergrundsicherung und die Neudefinition des kindlichen Existenzminimums ankündigt.

Wir wissen, dass dies ein anspruchsvolles Unterfangen ist, bei dem zahlreiche Detailfragen zu klären sind, zu denen wir unseren Sachverstand gern einbringen. Vor diesem Hintergrund haben wir die große Befürchtung, dass das Projekt in dieser Legislaturperiode nicht mehr zum Abschluss gelangen wird, wenn sich die Koalition nun nicht mehr sehr zeitnah auf verbindliche Eckpunkte verständigen sollte. Armuts- und familienpolitisch wäre dies ein beispielloser Rückschlag.

Wir bitten Sie daher, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, dafür Sorge zu tragen, dass die Bundesregierung noch vor der Sommerpause, die von allen erwarteten Eckpunkte verabschiedet und sich dabei auch auf ein mittelfristiges Finanztableau verständigt, das der Aufgabe, nämlich Kinderarmut zu verhindern, gerecht wird.

Wegen des allgemeinen Interesses erlauben ich mir, dieses Schreiben auch Bundesfamilienministerin Paus, Bundesfinanzminister Lindner sowie den Fraktionsspitzen der Koalition zukommen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen, Michael Groß, Präsident.

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