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Mehr Bibeln verbrennen?

Wer Bücher verbrennt, verbrennt am Ende auch Menschen – das muss die wichtigste Lehre aus der Nazizeit sein, aus den Bücherverbrennungen der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts, die Werke der Weltliteratur, demokratische und eben auch religiöse Schriften betraf, die dem Ungeist der braunen Horden ebenso wie der Möchtegern-Intellektuellen Nazielite entgegenstanden. Aber es gehört eben auch zur Meinungs- und Pressefreiheit, dass insbesondere Religionen scharf kritisiert werden dürfen. Schließlich wirken sie nicht selten anti-aufklärerisch – und zunehmend auch in Europa reaktionär.

Das Schauspiel, das jetzt in Schweden ein Männer-Duo mit ihrem Herumtrampeln auf dem Koran geliefert hat, war so unnötig wie gleichwohl von der Meinungsfreiheit gedeckt. Ähnliches haben mehrfach christliche Fundamentalisten in den USA unternommen. Mutig war das nicht – das wäre es gewesen, wenn die Provokateure ihr zweifelhaftes Schauspiel in Teheran oder Bagdad auf dem Marktplatz versucht hätten. Im Prinzip handelt es sich in den meisten Fällen dieser Art um dumme Provokationen.

Was aber in der Tat Sorge machen muss, sind die Reaktionen in Schweden und die Wirkung, die letztendlich von der Reaktion auf die Provokationen ausgeht. Wenn solche Aktionen dazu führen sollten, dass die Meinungsfreiheit in Frage gestellt wird, nach einer zweifelhaften Umfrage angeblich eine Mehrheit der Schweden der Meinung ist, dass solche Aktionen verboten und damit die Meinungsfreiheit, die seit 1766 mit der “Tryckfrihetsvördning” geschaffen wurde, eingeschränkt werden sollen, dann muss das zu denken geben. Zu denken hinsichtlich der Akzeptanz demokratischer Werte und Freiheiten und hinsichtlich der Anerkennung des säkularen Staates von allen Bürger*innen jeder Religion.

Meinungsfreiheit und Toleranz als Grundpfeiler einer säkularen Gesellschaft

Die Reaktionen der Muslime im Irak sind so überzogen wie teilweise verständlich, aber sie müssen mit anderen Maßstäben gesehen werden als die hierzulande. Zuviel hat der Irak-Krieg George Bushs an politischem Porzellan zerschlagen und zu oberflächlich wurde über die wirkliche Motivation und Ziele der irakischen Provokateure hier berichtet. Der Irak ist kein säkularer Staat, das unterscheidet ihn von Schweden und der EU. Deshalb ist es richtig, die Vorgänge als diplomatische Entgleisung zu betrachten – nicht mehr und nicht weniger. Trotzdem sollte der Fall ein Anlass sein, die Erfahrungen mit Meinungsfreiheit und Toleranz gegenüber und durch Religionen in Deutschland zu überprüfen.

Wie steht es mit der Meinungsfreiheit gegenüber Religionen?

Wenn jemand  vor dem Kölner Dom auf einer Bibel herumtrampelt oder auch ein Woelki-Porträt zerschneidet, wird sich kaum jemand dafür interessieren. Er oder sie wird maximal eine Anzeige des Kardinals Woelki wegen “Beschimpfung religiöser Gemeinschaften” kassieren. Aber niemand muss Gewalt befürchten, eher in der aktuellen Lage der katholischen Kirche sogar noch Beifall erwarten.  Und dies, obwohl sich sicher nicht wenige fromme Katholiken in ihren religiösen Gefühlen beleidigt fühlen mögen – dann ist das Ausdruck einer liberalen, säkularen Zivilgesellschaft. Die Frage ist, ob dies in gleichem Maß gilt,  wenn ein Provokateur dasselbe mit dem Koran vor der Kölner Moschee versucht. Integration ist dann erfolgreich, wenn dieser Toleranztest dort mit dem gleichen Ergebnis verläuft. Wenn der kölsche Moslem so reagiert, wie der kölsche Katholik, ist Demokratie auf Augenhöhe erreicht. Eine Zumutung? Ja, und als Demokrat in säkularen Staat bestehe ich darauf. Ich ahne, bis das an immer mehr Orten gilt,  ist es noch ein langer Weg.  Mein Schwiegervater ist Muslim, jeden Freitag in der Moschee und wie ich mal behauptet habe – eher “evangelischer” Moslem – ein Mann der Tat und praktischen Solidarität mit Bedürftigen – worüber er grinsen musste. Wenn wir uns sehen, praktizieren wir seit vielen Jahren muslimisch-atheistischen Dialog. Das gelingt – obwohl er Düsseldorfer ist und ich geborener Kölner.

 

 

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Maria Heider

    Mal wieder sehr schön und eindringlich geschrieben, lieber Roland! Da stimme ich dir aus vollem Herzen in allen Punkten zu bis zum evangelischen Moslem 😂
    Aber täusche ich mich, oder höre ich neuerdings aus Deinen Texten einen Ton heraus, der immer mehr bedrängt bis verzweifelt klingt?
    Vielleicht ist es ja auch nur meine eigene Projektion, in allgemeines Unwohlsein, das nicht mehr schwinden will…. Und auch Müdigkeit. Liebe Grüsse aus der Sandwüste Brandenburg….

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