Zwischen den Hobby-Spielerinnen Martina Keller und Paula Hatzel liegen 37 Jahre, zwei Generationen Frauenfußball und eine Frage: Wie hat sich ihr Sport verändert? Interview: Florian Haupt (BpB).
Diesen Sommer wird in Australien und Neuseeland die Frauenfußball-WM ausgetragen. Hinter dem Sport liegen historische Saisons: Immer mehr Klubs öffneten die großen Stadien für weibliche Teams. Zu manchen Spielen der Women’s Champions League kamen mehr als 90.000 Fans, das Finale der EM 2022 zwischen Deutschland und England (1:2 n.V.) sahen 18 Millionen.
Trotzdem ist es für viele eben immer noch Frauenfußball – und nicht einfach nur Fußball. Auch in den kleineren Dimensionen: Die Wissenschaftsjournalistin Martina Keller, 62, hat ein Buch über ihr Leben als Fußballerin geschrieben: „Ran ans Leder! Bekenntnisse einer Fußballverrückten.“ Sie kickt derzeit in der Hamburger Spielgemeinschaft Union 03/Bahrenfelder SV. Kapitänin dort ist Ärztin Paula Hatzel, 25. Zwischen ihnen liegen zwei Generationen. Was hat sich in denen getan im Frauenfußballbreitensport?*
fluter.de: Wie sind Sie zum Fußball gekommen, Paula?
Paula Hatzel: Es gab kein Schlüsselerlebnis, aber ich weiß, dass ich es als Kind immer super fand. Mein Vater hat die Bundesliga verfolgt, ich habe einen großen Bruder – und in den Pausen in der Schule habe ich immer mit den Jungs Fußball gespielt.
So wie auch Sie vor fünf Jahrzehnten, Martina. Das beschreiben Sie in Ihrem Buch. Die anderen Kinder waren da vorurteilsfrei?
Martina Keller: Wenn es Jungs gab, die sagten: „Die Keller soll nicht mitspielen“, dann habe ich das offenbar ignoriert. Was mir auch andere Fußballerinnen meiner Generation erzählt haben: Waren die Mädchen gleich gut, gab es kein Problem. Wenn ich jetzt viel langsamer, technisch schlechter, unbeweglicher gewesen wäre oder superempfindlich bei irgendwelchen Remplern – dann wäre es vielleicht anders gewesen.
Wie war das bei Ihnen, Paula?
Paula Hatzel: Ich habe auch nicht in Erinnerung, dass ich zurückgewiesen wurde. Aber: Ich war auf jeden Fall immer das einzige Mädchen, das mitgespielt hat.
Martina Keller: Das finde ich interessant. Da hätte ich mir damals gedacht: Mensch, in 40 Jahren könnte es doch sein, dass halbe-halbe auf dem Schulhof gekickt wird.
Paula Hatzel: Wahrscheinlich hat es sich seit meiner Schulzeit noch etwas gewandelt, aber ich weiß noch, dass ich im Grundschulalter bei einem Verein zum Probetraining war – da gab es außer mir nur ein Mädchen und Mädchenteams sowieso nicht. Ich bin dann nicht noch mal dort hin. Erst während des Studiums fing ich über den Hochschulsport an, in einem Verein zu spielen.
Frustriert es, dass sich die Dinge offenbar so langsam verändern?
Martina Keller: Ich finde es schade. Fußball ist so ein toller Sport, dass viel mehr Mädchen kicken sollten. Er hat so viel integrative Kraft – das sieht man sogar bei unseren kleinen, bescheidenen Teams: Man kann auf jedem Niveau irgendwie zusammenspielen. Es ist ein Mannschaftssport, die Fehler der einen müssen die anderen mittragen, das ist eine gute soziale Erfahrung. Und man lernt eine gute Körperlichkeit: den Körper einsetzen, nicht immer zurückziehen – das ist nicht unbedingt das, was Mädchen als Bewegungssozialisation sonst so mitbekommen. Aber man muss auch sagen: Es hat sich schon viel verändert.
Was zum Beispiel?
Martina Keller: Bei meinen Recherchen für das Buch bei der Nachwuchsabteilung des SC Freiburg und einer Jugendauswahl in Niedersachsen dachte ich mir: Wow! Wie technisch gut die spielen. Wie viel Verständnis die haben für Pässe und Positionen. Aber auch die Härte der Schüsse, die Energie, die sie auf den Platz bringen. Da habe ich mir fast gewünscht: Hätte es so eine Förderung doch gegeben, als ich in dem Alter war.
Als Sie in dem Alter waren, begleitete Moderator Wim Thoelke im ZDF-Sportstudio einen Beitrag über den Frauenfußball mit Kommentaren wie: „Decken, decken, nicht Tisch decken – Mann decken“. Sie bringen in dem Buch allerdings auch Beispiele von 2011, als zur WM in Deutschland für Sammelbilder geworben wurde: „Frauentausch mal anders“.
Martina Keller: Oder es hieß in den Medien: „Scharfe Frauen schießen auch scharf“. Eklige, sexistische Bemerkungen. „Unsere Hübscheste“: Dass da immer noch solche Bewertungen abgegeben und gleichzeitig damit die anderen abgewertet werden. Wurde das jemals bei einem Männerspiel gesagt: „Oh, der ist aber süß“? „Der bestaussehende Stürmer auf dem Platz“? Vielleicht hat sich aber in den letzten Jahren etwas geändert, auch im Zuge von #MeToo.
Paula Hatzel: Ich denke schon, dass sich das Bewusstsein verbessert hat. Aber es ist erschreckend, wie neu das ist und wie lange der Weg noch. Die Reduktion von Frauen auf ihr Aussehen und ihre Körper ist total unangemessen. Ob die Frau jetzt ausreichend weiblich ist und welche Sexualität sie hat – da sollte es Toleranz geben. Das hat beim Fußballschauen nichts verloren.
Was erleben Sie noch an Diskriminierung im Fußballalltag?
Paula Hatzel: Das sind oft gar nicht so offensichtliche Dinge. Wenn wir trainieren, habe ich zum Beispiel das Gefühl, dass die Leute – egal ob Jugendliche oder Erwachsene – viel rücksichtsloser quer über das Spielfeld laufen, als wenn da eine Männermannschaft trainieren würde.
Martina Keller: Ja, stimmt, beim Training schießen kleine Jungs, vielleicht 12 oder 13 Jahre alt, ihre Bälle auf unseren Platz, die halten keinen Abstand, stören uns oder besetzen die Bank am Spielfeldrand, obwohl ihre Zeit längst vorbei ist. Ich empfinde das auch als extrem respektlos. Und klar, das hat schon damit zu tun, dass wir Frauen sind.
Ist der Umgang im Frauenfußball miteinander respektvoller?
Martina Keller: Bei uns kommt jede Spielerin auf ihre Spielzeit. Ein Altherrenspieler hat mir mal erzählt, dass das bei den Männern auch anders laufen kann – da sind die auf dem Platz so egoistisch, dass sie sich nicht auswechseln lassen. Es wird dort wohl auch mehr gepöbelt. Dagegen ist negative Kritik bei uns echt tabu. Ich muss mich manchmal zügeln, denn rein inhaltlich habe ich schon Kritik. Aber wir haben eben einen ganz anderen Umgangston als sonst üblich im Fußball.
Paula Hatzel: Bei uns kommt aus der Mannschaft selbst der Wunsch, dass alle ähnliche Anteile spielen sollen. Es ist vielleicht nicht so leistungsorientiert. Jede soll drankommen.
Wenn der Frauenfußball sich weiter professionalisieren soll – müssten dann vielleicht auch auf Amateurebene mehr Ellbogen zum Einsatz kommen?
Paula Hatzel: Wo es Hochleistungssport auf hohem Niveau gibt, kann es ja nebenher trotzdem noch den Breitensport geben. Da geht es für uns mehr darum, dass wir uns weiter für unsere Räume einsetzen – gerade im Jugendsport.
Martina Keller: Gegen mehr Leistung und besseren Fußball habe ich überhaupt nichts einzuwenden – es macht endlich Spaß, die Spiele der Frauen anzugucken. Mehr als 90.000 Fans in Barcelona, das ist grandios. In Deutschland wurde zuletzt von Klubs und dem DFB bei Strukturen und Förderung viel verpennt. Das wird sich hoffentlich ändern.
* Das Interview wurde eigentlich zur EM 2022 geführt und jetzt aktualisiert.
Dieser Text wurde auf fluter.de, dem Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung (Bonn) veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE.
Hinweis der Extradienst-Redaktion: Das Buch “Ran ans Leder” von Martina Keller erschien am 01.02.2022 bei Droemer HC und ist im Buchhandel erhältlich.
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