mit Update am nächsten Morgen
Im Stil des in der Regel hochklassigen harten britischen TV-Realismus bietet das ZDF derzeit “Mood” an, ein Jahr verfügbar.. Aber nur zwischen 22 und 6 Uhr, oder gegen Authentifizierung = Ablieferung persönlicher Daten. Die Story geht um die Changierung zwischen Popbusiness und Sexarbeit, der sich fast alle darin arbeitenden Frauen auf die eine oder andere Weise stellen müssen.
Bemerkenswert ist die Rolle der Creative Producerin. So wie ich in dieser Rolle bereits Phoebe Waller-Bridge (“Fleabag”, “Killing Eve” und demnächst “James Bond”) bewundere, oder hierzulande Orkun Ertener, spielt in diesem Fall Nicole Lecky eine vergleichbare Rolle, hier in einem informativen Guardian-Porträt von Coco Khan.
Irritierend, aber auch funktionierend ist die bildstarke Erzählweise, die immer wieder erst spät zu bemerkende fliessende Übergänge zwischen Realität und Traum einsetzt. Geschuldet u.a. dem vielfältigen Drogenge- und -missbrauch. Es ist ein perverses London der dort herrschenden, koksenden, saufenden und fickenden Klasse. Den grössten Missbrauch, den sie betreiben, erleiden die, die für sie arbeiten (müssen), weil sie sonst in dieser Stadt gar nicht existieren könnten.
Mrs. Lecky weiss davon. Und zeigt es uns. Wir sollten das kennen, was wir bekämpfen.
Update nach einmal Schlafen
Grosses Kompliment für eine Filmproduktion ist, wenn sie den Zuschauer auch am nächsten Morgen noch gedanklich beschäftigt. Mrs. Lecky umging dramaturgisch kunstvoll die Kitschfalle “von der Tellerwäscherin zur Millionärin durch Sexarbeit”. Die von ihr selbst gespielte Protagonistin versucht ihre Emanzipation gegen Familie, Rassismus und soziale Verelendung in der reichsten Stadt der Welt in der Tat durch Modelling, Popkarriere und Sexarbeit. Aber sie zeigt dabei vor allem, dass das Märchen “jede kann es schaffen, wenn sie nur will” eine verdammte Lüge ist. It’s the economy, stupid!
Ich bin selbst mit einer anerkannten und respektierten Wissenschaftlerin befreundet, die mit Sexarbeit ihr Studium finanziert hat. Es hat ihr – nach meinem oberflächlichen Eindruck – nicht geschadet, sondern sie als gesellschaftliche Praxiserfahrung klüger gemacht. Es gibt solche Einzelfälle, wie sie Hanna Lakomy publizistisch propagiert. Aber es ist wie im Profifussball: weniger als 5% der jungen Talente schaffen “es”. Über 95% der Jugendlichen, die sklavenähnlich von Beratungskonzernen aus Südamerika und Afrika nach Europa importiert werden, verenden unbeachtet im hiesigen Ausbeutungssystem.
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