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Gewerkschafterin gegen Atomwirtschaft

Filmrezension – Eine mutige Gewerkschafterin legt sich mit der französischen Atomwirtschaft an

Der Angriff auf die Gewerkschaftsvorsitzende hatte die Schlagzeilen der Medien beherrscht. Der Film „Die Gewerkschafterin“ beruht auf einer wahren Geschichte, einer Staatsaffäre. Ein Politthriller über Industriegeheimnisse, Nuklearspionage, einen Kampf auf Leben und Tod zwischen Vorstandsvorsitzenden, Verrat und Manipulation.

Natürlich sind Energie, Rohstoffe und Lieferketten-Abhängigkeiten sicherheitspolitisch relevant, auch wenn die Gewerkschafterin vorrangig die Arbeitsplätze im Fokus hat. Wenn ein demokratiefeindlicher Staat wie China, der sich mit Industriespionage bereits einen zweifelhaften Ruf erworben hat, mit Geld lockt, um in das Herz der französischen Atomindustrie vorzudringen, sind Abhängigkeiten, geopolitische Verwundbarkeiten, sicherheitstechnische und militärische Probleme vorprogrammiert. Wohin das führt, sieht man aktuell am Beispiel Russland, dessen Staatskonzern Rosatom sich ein nukleares Imperium aufgebaut hat, das viele Länder in seine Abhängigkeit gebracht hat und die Kriegskassen füllt, ohne dass sich die Weltgemeinschaft auf Atomsanktionen einigen könnte. Im harmloseren Fall kann das an Schurken verscherbelte Know-how dazu führen, dass über Software-Manipulationen Blackouts herbeigeführt werden, um Regierungen unter Druck zu setzen. Im schlimmsten Fall macht diese Hochrisikotechnologie Atomkraftwerke zu vorinstallierten Atombomben im eigenen Land, zu Geschenken für Terroristen. Das ukrainische AKW Zaporischschja ist der gruselige Beleg. Russland und China sind die einzigen Staaten, die nennenswert AKW bauen: Russland im Ausland; China im eigenen Land, Reaktoren die auf französischem Know-How basieren.

Es ist also genau das eingetreten, wovor die Gewerkschafterin Maureen Kearney vor mehr als einem Jahrzehnt gewarnt hatte. Wofür sie mundtot gemacht und systematisch in die Verschwörungstheoretiker-Ecke gestellt wurde. Ihr damaliger Chef beim französischen Reaktorbauer Areva, Luc Oursel, wurde nicht müde zu betonen, dass sie nur ein kleines Licht sei und ihr die Fantasie durchginge. Die höchste Vertreterin des Europäischen Konzernbetriebsrats von Areva, die seinerzeit 75.000 Beschäftigte in 7 Ländern – auch in Deutschland – vertrat, wird von keiner geringeren verkörpert, als der französischen Schauspielikone Isabelle Huppert. Charismatisch und respektiert, auch von Ex-Chefin Anne Lauvergeon, der Vorgängerin Oursels.

Ein Wistleblower des staatlichen AKW-Betreibers EDF (Electricité de France) hat ihr geheime Dokumente zugesteckt, die belegen, wie EDF hinter dem Rücken des Reaktorbauers Areva, mit diesem in Konkurrenz treten will und dazu mit dem chinesischen Staatskonzern China General Nuclear Power Group, CGNPC, ins Geschäft kommen will. Ein Abkommen, so brisant, dass Politiker:innen und Funktionär:innen sich wegducken – aus lauter Angst, sich die Finger zu verbrennen. Maureen Kearney bringt das heikle Dokument an die Öffentlichkeit. Zeigt es zunächst der kurz zuvor geschassten Areva-Chefin Anne Lauvergeon, der fast die Augen aus dem Kopf fallen, angesichts der dreisten Forderungen, mit denen die Chinesen französisches Know-How abgreifen wollen: für die franco-chinesische Kooperation soll EDF das geistige Eigentum am Reaktorkern aufgeben, dem chinesischen Partner seine gesamte Dokumentation der Erfahrungs-Auswertungen seiner laufenden Atomkraftwerken überlassen und seine Forschung im Bereich “geheime Software” mit ihm teilen. ‚Atomic Anne’, in ihrer Undurchsichtigkeit brillant verkörpert von der Schauspielerin Marina Foïs, rät ihr: „Sie müssen damit ganz nach oben“. Auch Anne, die Maureen eigentlich als ihre Komplizin in der männerdominierten Nuklearwelt ansah, wird sie später im Stich lassen.

Die Gemengelage, die schließlich dazu führte, dass die Chinesen bekamen, was sie wollten, beschreibt die Investigativ-Journalistin Caroline Michel-Aguirre, deren Buch „La Syndicaliste“ dem Film als Vorlage dient, wie folgt: Lauvergeon war Königin Anne, die zwischen 2001 und 2011 als Präsidentin von Areva über diesem Nationalstolz thronte, dem „technologisch hochmodernen“ Unternehmen, bei dem die gesamte Prozesskette der Atomkraft vom Uranbergbau bis zum Atommüll integriert war. Ihre Strategie, um den Areva-Konzern an die Weltspitze zu bringen, bestand aus einem Wort: Nespresso. Wie der Kaffeemaschinenhersteller wollte sie ihre Kraftwerke zum Selbstkostenpreis und ihren Uran-Brennstoff sehr teuer verkaufen. Dass sie der sozialistischen Partei nahesteht, wird als ein möglicher Grund für ihren Rauswurf bei Areva 2011 durch Nicolas Sarkozy angesehen. Dass die Frau aus Sarkozys Männer-Bündnis, einer Clique einflussreicher Manager, die ihre Geschäfte lieber ohne sie machen wollen, rausgehalten werden soll, gilt ebenfalls als starkes Motiv.

Bei der EDF, einer gemütlichen und begehrten Verwaltungseinheit, deren Stellen der Staat mit seinen treuen Dienern besetzt, ernannte Sarkozy 2009 den ehrgeizigen Henri Proglio zum Chef. Seine Aufgabe bestand darin, die Krone von Königin Anne für EDF zurückzuholen. Mit schroffem Charakter und harter Hand gilt Proglio als der Strippenzieher des China-Deals und Luc Oursel als sein Vasall an der Spitze von Areva, der Maureen lauthals droht: “Ich habe Mittel, über die Sie nicht verfügen!“ Und ein zwielichtiger Kerl, der im kriminellen Milieu von Paris aufwuchs und als Geschäftsmann emporkam in die vornehmsten Kreise von Politik und Wirtschaft, galt als Proglios Mann fürs Grobe: Alexandre Djouhri. Beeindruckend, ja geradezu irritierend, wie offen in Buch und Film die Klarnamen der Beteiligten genannt werden und wie nah die Schauspieler:innen am Original sind.

Nun grätschte also die Gewerkschafterin dazwischen, will die Atomlobby daran hindern, ihre Geschäfte auf Kosten der Areva-Arbeitnehmer:innen zu machen. Sie bringt die brisanten Dokumente an die Öffentlichkeit und bekommt am 17. Dezember 2012 einen Termin bei Sarkozys Nachfolger, dem sozialistischen Präsidenten François Holland. Doch zu dem Treffen wird es nicht kommen, denn am selben Morgen, noch bevor Maureen das Haus verlassen kann, wird sie Opfer eines barbarischen Überfalls. Am Mittag findet sie die Haushälterin gefesselt, geknebelt und gefoltert. Sie tut, was die Gewerkschafterin nicht getan hätte: Sie ruft die Polizei. Daraufhin setzt sich eine unglaubliche Maschinerie von Entwürdigungen, Demütigungen und Einschüchterungen in Gang. Man sieht fassungslos, wie der gesamte Apparat aus Staatsanwälten, Richtern, Polizisten, Gerichtsmedizinern und Chefermittlern die Aufklärung konterkarieren, Maureen zermürben und so den Drahtziehern des atomaren China-Deals in die Karten spielen. Das Ganze gipfelt darin, dass aus dem Nichts ein aggressiver Polizeifunktionär in ein seit Stunden andauerndes Verhör platzt, ohne sich vorzustellen, Maureen anherrscht, dass er Leute wie sie nicht leiden könne und ihr schließlich droht: “Wenn sie nicht gestehen, wird eine mediale und juristische Dampfwalze auf Sie und Ihre Familie niedergehen. Davon werden Sie sich nicht mehr erholen!“ Um sie dann allein im Raum zu lassen. Dampfwalze, Familie, Gefahr. Das sind die Worte, die Maureen zum Einknicken bringen. Sie legt ein falsches Geständnis ab, damit der Spuk endlich aufhört. Doch anstatt Ruhe zu geben, dreht die Zermürbungsmaschine weiter. Nun beginnt die Täter-Opfer-Umkehr, die Gewerkschafterin findet sich auf der Anklagebank wieder, nicht, weil sie Industriespionage vereiteln wollte, sondern weil sie ihren Fall fingiert habe.

Eines der wichtigsten Beweisstücke wurde von der Buchautorin und Investigativ-Journalistin Caroline Michel-Aguirre selbst ausgegraben. Sie fand heraus, dass eine zweite Frau Opfer eines fast identischen Angriffs geworden war: “Eine Vorgehensweise, die so selten ist, dass sie nur das Werk ein und derselben Organisation sein kann“. Die beiden Fälle zeigen unglaubliche Ähnlichkeiten: Drohanrufe mit gleichen Ansagen, Eindringen in die Wohnung, Messerschnitte, die Symbole in die Haut ritzen, Fesseln, Folter, Vergewaltigung. Die andere Frau heißt Marie-Lorraine Boquet und berichtet, dass sie am 22. Juni 2006 in ihrem Haus überfallen wurde. Damals war Henri Proglio CEO von Véolia und sie mit einem Whistleblower aus dem Management der Firma verheiratet. Ihrem Mann wurde vorgeworfen, einem geschäftlichen Widersacher von Proglio nahe zu stehen. Aus dramaturgischen Gründen wurde für das Filmdrehbuch eine junge Polizistin kreiert, die den Fall aufstöberte und Maureen Kearney heimlich davon erzählte. In der Realität waren an den Untersuchungen ausschließlich Männer beteiligt und keiner hatte das Rückgrat, auf Ungereimtheiten zu reagieren. In beiden Fällen wurde von Nachbarn ein weißer Lieferwagen im Umfeld der Wohnungen gesehen, in beiden Fällen wurden Spuren nicht verfolgt, Proben nicht ausgewertet, Ermittlungen nie abgeschlossen oder vertieft, Akten zu schnell geschlossen, Verdächtige nie festgenommen – aber die Opfer wurden verdächtigt. Auch der Name von Proglios Brutalo-Freund und Geschäftsvermittlers, Alexandre Djouhri, tauchte im Umfeld beider Fälle auf. Beide Männer wollten sich zu den Fragen der Journalistin nicht äußern.

Der Film muss die komplizierte Geschichte auf ein breites Publikumsniveau eindampfen, doch so viel sei an dieser Stelle verraten: auch wenn die Zuschauer:innen kurz dazu gebracht werden, Zweifel an der Version der Gewerkschafterin zu hegen, am Ende reiht ihr neuer Anwalt eine Kette von erdrückenden Beweisen aneinander, die auf wundersame Weise den staatlichen Ermittlern abhandenkamen, so dass Maureen Kearney freigesprochen wird.

Eva Stegen engagiert sich als Überzeugungstäterin für die Ablösung des fossilnuklearen Energiesystems, privat und beruflich als Energiereferentin der Elektrizitätswerke Schönau (EWS). Sie schreibt über Energiewende-Themen, betreibt einen Blog, ist Co-Autorin der Informationsschrift „Das Desaster der europäischen Atomwirtschaft“ und Mitglied der Nuclear Consulting Group. Bei der vorgeblich unter Klimaschutzaspekten geführten Atomkraft-Debatte interessiert sie sich besonders für deren blinden Fleck: die militärischen Treiber im Hintergrund. Dank an Detlef zum Winkel für die Vermittlung des Textes.

Über Eva Stegen / Gastautorin:

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Ein Kommentar

  1. Juri Hertel

    Der Film ist deutlich franzoesisch, also fuer ein franz. Publikum gemacht.
    Die Rolle der USA wird im Film nicht beschrieben ist aber wohl wichtig: EdF/Areva hatten den EPR in den USA zur bauamtlichen Zulassung/Serienreife angemeldet.
    Das wurde durch die USA abgelehnt, nicht weil der EPR unsicher ist sondern “Auslaender” die Patente haben.

    Es fehlt (noch) ein zweiter Teil, der Sumpf ist dermassen tief … :

    Als Zuschauer im Kino hat man das Gefuehl das eine 3. oder auch 4. Macht nicht erwaehnt wird.Das die Strippenzieher personaliert sind – die Originalnamen der Firmen und Angestellten werden klar angegeben – aber die geopolitischen Interessen und Magnaten verschont werden.

    Sehr sehenswert!Eine Art neues Kino.

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