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Giga ist nicht mega

Es ist das höchste innereuropäische Hochgebirge, 1.200 Kilometer lang und zwischen 150 und 250 Kilometer breit – die Alpen. Dieser einzigartige Lebensraum für 14 Millionen Menschen, 30.000 Tier- und 13.000 Pflanzenarten ist aktuell nicht allein durch steigende Temperaturen und schmelzende Gletscher gefährdet, sondern zunehmend auch durch den Güterverkehr auf der Straße. Geht es nach der Europäischen Union (EU), sollen schon bald auch Lang-Lkw, überlange und überschwere Lastkraftwagen, sogenannte Gigaliner, durch und über die Alpen rollen. Allein die Schweizer Alpen passierten im vergangenen Jahr laut der “Alpeninitiative.ch” 863.000 Lkw, und das, obwohl die jährlich zugelassene Höchstzahl lediglich bei 650.000 liegt.

Mehr Schadstoffe, mehr Lärm, mehr Unfälle

Und jetzt kommt die EU mit ihrem neuerlichen Vorstoß, den sie als Beitrag zum Klimaschutz und zur Lösung für bestehende Verkehrsprobleme verstanden wissen will. “Doch das Gegenteil ist der Fall”, heißt es in einem Brandbrief europäischer Gewerkschaften, einschließlich ver.di, dem BUND und der Allianz pro Schiene, an den Transportausschuss des EU-Parlaments. Der berät derzeit über die Zulassung der Riesen-Lkw. Die EU-Abgeordneten im Ausschuss werden aufgefordert, gegen die Zulassung zu stimmen: “Überlange und überschwere Lkw sind klimaschädlich, gefährlich und teuer”, so die Mahnung.

Die Argumente der Gigaliner-Gegner liegen auf der Straße. Statt vieler kleinerer Lkw wären am Ende nicht weniger Mammut-Lkw unterwegs. Durch die größere erlaubte Lademenge von derzeit maximal 40 bis 44 Tonnen auf 60 Tonnen würden nämlich die Transportkosten sinken, was zur Folge hätte, dass der vermeintlich teurere Gütertransport von der Schiene zurück auf die Straße geholt würde. Mit dem Ergebnis: Der CO₂-Ausstoß steigt weiter. Tausende Arbeitsplätze beim Transport auf der Schiene wären so zudem gefährdet, und die Lkw-Fahrer hätten noch mehr Stress mit einem nur schwer zu beherrschenden riesigen Lkw, für den es bisher nicht einmal entsprechende Parkplätze gibt.

Derzeit rollen internationale Waren allein in den Schweizer Alpen über und durch 14 Pässe und Tunnel. Der massenhafte Transport von Nord- nach Südeuropa schadet schon heute Menschen und Umwelt. Schadstoffe konzentrieren sich in den Bergtälern entlang der Verkehrsachsen bis zu sechsmal mehr, hat die Alpeninitiative feststellen lassen. Der Lärm von den Straßen halle dreimal lauter als im Flachland. Tonnenweise Mikroplastik aus dem Reifenabrieb werde selbst in entlegenste Täler geweht. Und das alles abgesehen vom anhaltend steigenden CO₂-Ausstoß des Verkehrs, der das Klima weiter aufheizt.

Auch die Verkehrssicherheit ist durch die Gigaliner bedroht, beim Abbiegen, auf Kreuzungen, im Kreisverkehr und beim Überholen auf der Autobahn. “Je schwerer der Lkw, desto gravierender die Unfallfolgen”, heißt es im Appell an den Transportausschuss.

Überlastetes Straßennetz

Allerdings werden in Europa schon längst Riesen-Lkw eingesetzt. In Polen, Tschechien, Portugal, Spanien, Schweden, Dänemark, Finnland und Holland sind längere Züge bis zu 18,75 Meter Länge zugelassen. Hierzulande sind solche Gigaliner seit 2017 unter der Voraussetzung erlaubt, dass ihr Gesamtgewicht 44 Tonnen nicht überschreitet. Und auch in der Schweiz gilt für Lkw mit oder ohne Anhänger bereits eine maximale Zulassung von 18,75 Meter Länge und 44 Tonnen Gesamtgewicht.

Zukünftig sollen nun aber 60-Tonner bei einer maximalen Länge von 25 Metern erlaubt sein, nicht nur in der Schweiz, sondern EU-weit. Und das, obwohl in der Schweiz Stand jetzt eine Zulassung der Monster-Trucks auf keiner Straße möglich ist. Auch in den anderen sieben Alpen-Ländern Österreich, Frankreich, Italien, Deutschland, Slowenien, Liechtenstein und Monaco sieht das nicht viel anders aus. Dass in Schweden und Finnland bereits Transporter mit 25 Meter Länge und einem Gesamtgewicht bis 60 Tonnen fahren, liegt allein daran, dass sich die Straßenverhältnisse dort nicht mit den sonstigen europäischen Verhältnissen vergleichen lassen.

Hierzulande sind laut Angaben der deutschen Bauindustrie ein Sechstel der Fahrbahnflächen der Bundesautobahnen und ein Drittel der Fläche der Bundesstraßen nur noch “eingeschränkt gebrauchsfähig”. Zwischen 2000 und 2020 habe zudem der Anteil der Brücken mit einem guten bzw. sehr guten Zustand von 30 auf 13 Prozent abgenommen, während der Anteil, der als gerade noch ausreichend und schlechter eingestuften Brücken weiter gestiegen ist. Sperrungen von Autobahnbrücken über den Rhein für den Schwerlastverkehr seien nur die Spitze des Eisberges.

Verkehr vermeiden, verlagern, verträglicher gestalten – das gilt deshalb vor allem auch für den Güterverkehr. Lkw müssen nicht komplett aus dem Verkehr gezogen werden. Kleinere Fahrzeuge, zukünftig elektrobetrieben oder mit Wasserstoff, werden für die Anlieferung in den Städten gebraucht. Doch bis zum Güterbahnhof transportiert die Bahn schon lange umweltschonender und energieeffizienter.

Das wirkt am Ende auch dem zuletzt durch den Ukrainekrieg massiv verschärften Fahrermangel entgegen, den aktuell liberale Politiker in Polen anführen, um eine Zulassung der Gigaliner in der EU einzufordern. Immerhin warnt das polnische Infrastrukturministerium, dass das Straßennetz an solche Lang-Lkw noch nicht angepasst sei, etliche Brücken und Tunnel seien für sie bisher nicht passierbar. Zudem würden die schwereren Gigaliner den Verschleiß der Straßeninfrastruktur beschleunigen, was hohe Instandhaltungskosten nach sich ziehe.

Vernachlässigtes Schienennetz

Ob es am Ende zu einer EU-weiten Zulassung der Gigaliner kommt, wird auch von der Position Deutschlands abhängen. Die EU-Kommission wollte bereits vor rund zehn Jahren Gigaliner zulassen, in Deutschland lehnte die Mehrheit der Bevölkerung in Umfragen die Riesentrucks allerdings ab. Seit 2012 waren daher zunächst nur begrenzte Versuche mit Lang-Lkw bis 25,25 Metern Länge gestattet. Seit 2017 sind 7 Meter kürzere Lang-Lkws unterwegs auf deutschen Straßen von Flensburg und Rostock bis an die Schweizer Grenze.

Doch dort, an den Toren zu den Alpen, ist der Widerstand gegen die Gigaliner groß. Österreich hat angekündigt, sich im Transportausschuss und im Austausch mit den Abgeordneten im EU-Parlament gegen die Riesenfahrzeuge auszusprechen. Wie im oben erwähnten Brandbrief sagt auch das österreichische Verkehrsministerium, dass die Lang-Lkw keinen Beitrag zur CO₂-Reduktion leisten. Zudem ist auch Österreichs Straßennetz nicht auf die höhere Gewichtsbelastung ausgelegt.

Die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied hat mit der Alpeninitiative dem Güterverkehr auf der Straße bereits vor 30 Jahren den Kampf angesagt. Auch wenn das Ziel von maximal 650.000 Fahrten pro Jahr noch nicht erreicht wurde, queren heute schon 70 Prozent der Waren, die über die Schweiz transportiert werden, auf der Schiene die Alpen. Das ist deutlich mehr als in allen anderen EU-Ländern. In Deutschland ist das nicht verwunderlich. Hier nimmt die Länge der Autobahnen laut Bundesumweltamt zu, während sich das Schienennetz seit 15 Jahren kaum verändert hat. Warum das so ist, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts: Pro Kopf investierte Deutschland 2022 in das Schienennetz 114 Euro, in der Schweiz waren es 450 Euro, viermal so viel.

Die wichtigsten FAQ zu Gigalinern

Was ist ein Gigaliner?

Ein Gigaliner ist ein langer Lkw von bis zu 25,25 Metern, der in Deutschland derzeit ein Gewicht von 40 bis zu 44 Tonnen haben darf.

Ist der Einsatz von Gigalinern gesetzlich geregelt?

Die Richtlinie 96/53/EG der EU bestimmt, dass jeder EU-Staat selbst entscheidet, ob er Gigaliner auf der Straße erlaubt. In Deutschland regelt die Verordnung über Ausnahmen von straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften für Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen mit Überlänge (LKWÜberlStVAusnV) den Einsatz von Gigalinern.

Gibt es unterschiedliche Gigaliner?

Ein Gigaliner besteht meist nicht nur aus einer Zugmaschine und deren Auflieger, sondern aus weiteren Anhängern, die kombiniert die Überlänge ergeben. In Europa sind verschiedene Kombinationen aus Zugmaschine, Auflieger und Anhänger unterwegs.

Braucht es einen besonderen Führerschein für einen Gigaliner?

Kraftfahrer müssen mindestens fünf Jahre Erfahrung mit einem normalen Lkw und mindestens fünf Jahre lang Erfahrungen im Güter- oder Werksverkehr haben. Viele Unternehmen verlangen zudem Unfallfreiheit und keine Einträge im Fahreignungsregister.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von ver.di-publik, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Über Petra Welzel / ver.di-publik:

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Ein Kommentar

  1. Allesleserin

    Würden wir alle kraftahrzeuge konsequent nach Gewicht, statt nach Hubraum besteuern oder bei bei LKW eine entsprechend hohe Maut, hätten wir einen anderen Verkehr. SUV wären nicht konkurenzfähig und der business case für 60 Tonner wäre auch ganz anders.

    Im Grunde geht es hier doch um die sozialisierung der Transportkosten. Solange Strasse günstiger als Schiene ist, lohnt es sich die Strasseninfrastruktur kapput zu fahren. Und solange in die Schienen nicht investiert wird, bleibt es voll auf den Strassen. Also müssen Strassen so teuer werden, damit mit dem Geld die Schienen ausgebaut werden können.

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