Die “Realismus-Schule” ist nicht links. Sie ist nur cool, bisweilen für heutige sensible Öffentlichkeiten “brutal”, weniger fanatisch, was meinem eigenen Naturell sehr entgegen kommt. Die – noch – meinungsführenden deutschen Medien blenden sie weitgehend aus, und wiederholen damit etwas, was Anatol Lieven/Responsible Statecraft/telepolis mit der Propagandalage im Ersten Weltkrieg vergleicht: “Sarkozy verunglimpft, weil er unbequeme Wahrheit über die Ukraine ausspricht – Der französische Ex-Präsident bietet einen diplomatischen Ausweg an. Die Kommentatoren reagieren mit ‘Pro-Putin’-Beschimpfungen. Was hinter der Hexenjagd steckt.”
Nicolas Sarkozy ist ein klassischer Fall. Diesem Kerl habe ich noch nie Sympathien entgegengebracht. Er spricht Tatsachen aus, die von den heute aktiven Mitgliedern der politischen und Medien-Klasse als Putin-Versteherei (= Feindpropaganda) diffamiert werden. “Feindpropaganda” nennen sie es aber (noch) nicht, weil “wir” ja angeblich an diesem Krieg nicht teilnehmen (wollen).
Ähnlich wie Sarkozy ergeht es Günter Verheugen, dem ich freilich grössere Sympathien entgegengebracht habe und bringe. Harald Neuber/telepolis versucht die Aufmerksamkeit auf sein Weserkurier-Interview zu erhöhen: “Disput um Ukraine-Thesen von Günter Verheugen: Die ‘Zeitenwende’ zerreißt die SPD – Ehemaliger EU-Kommissar hatte Umdenken in der Ukraine-Politik gefordert. SPD-Genossen und Transatlantiker sahen Aussagen ‘im Sinne Putins’. Was es mit dem Streit auf sich hat.”
Seine Dramatisierung ist für einen desillusionierten Ex-Mitarbeiter der Linkspartei-Fraktion zwar verständlich, aber abwegig. Das asoziale Netzwerk X ist gesellschaftlich betrachtet nicht mehr als ein Wasserglas. Und der von ihm zitierte Anführer der Verheugen-Diffamierer Michael Roth ist ausserhalb seiner Partei und der kleinen Gemeinde der nächtlichen Lanz-Glotzer eine absolut unbekannte Nase, die bei der Bildung der jetzigen Bundesregierung (mit Recht) nichts abbekommen hat.
Ernster nehme ich Lievens Parallele zum Ersten Weltkrieg. Was sind heute die Unterschiede? Erstens gibt es keine ernstzunehmende kommunistische Bewegung, wie damals in Europa und vor allem in Russland. Zweitens existierten die Kolonialreiche noch, und zwar dort, wo sich heute die “BRICS” formieren. Und drittens gab es damals kein Internet, in dem sich heute Alternativen zu den monopolistischen Konzernmedien artikulieren können. Dass sich neue Konzernmonopole gebildet haben, um das Internet unter Kontrolle zu bringen, ist dazu sowohl Widerspruch als auch Bestätigung.
Realismus-TV-Kritik vs. Kreuzzug gegen öffentliche Medien
Eine parallele Frontkonstruktion gibt es im selbstreferentiellen Mediendiskurs. Die FAZ kämpft um ihre Rolle als Organ des deutschen Grosskapitals. Eingeordnet in diese Konstellation lässt sie ein nur scheinbar “liberales” Feuilleton zu, dessen beste Zeiten lange vorbei sind. Ein Unterressort dieses Feuilletons ist nicht die Bohne “liberal”, sondern besetzt publizistisch die erste Reihe des Kreuzzugs der weniger als ein Dutzend milliardenreichen Zeitungsverlagsfamilien gegen die von ihnen als Satan bekämpften öffentlich-rechtlichen Medien. Die ähnlich dem o.g. Michael Roth gesellschaftlich weitgehend unbekannte FAZ-Nase heisst Michael Hanfeld.
Und ähnlich der real existierenden deutschen politischen Klasse in Berlin-Mitte halten die super bezahlten aber im Kopf von Deklassierungs-Angst besetzten Intendant*inn*en den Kerl für wichtig, liefern ihm auf seine Anforderung, und brav seinem Agendasetting folgend (faul ist der nicht) “Gastbeiträge”, die dessen Verlagsherren digital einmauern, damit der billige Plebs seine Nase nicht in Sachen reinstecken kann, die ihn nichts angehen.
Lustig anzuschauen ist, wie Hanfeld seinen “freien” (= abhängigen) und zweifellos qualifizierten TV-Kritiker Oliver Jungen eine ZDF-Produktion zerreissen lässt: “‘Hotel Barcelona’ im ZDF : Die infantile Infantin – L‘auberge espagnole alla tedesca: Mit dem Zweiteiler ‘Hotel Barcelona’ dreht das Herzkino endgültig durch. Großer Dank ans ZDF.”
Die berechtigte Frage Jungens “Doch warum um Himmels willen geben sich einige der besten deutschen Schauspieler für einen solchen Schmonz her?” würde ich so beantworten: weil sie meinen, das Geld zu brauchen, es könnte ja der letzte Job sein. Und weil der Drehort attraktiv ist.
Noch berechtigter wäre die Forderung der*des unterforderten Zuschauer*in, dass die Sender in ihren Mediatheken die Produktionsetats der Ware, die sie uns dort vorsetzen, offenlegen. Das ZDF sei gewarnt: so, wie der WDR4 im demografischen Wandel jetzt die Musik spielen muss, die einst auf WDR2 lief, so fällt dem Ü60-TV-Publikum die Fernbedienung vor Wut aus der Hand, wenn es solchen Trash vorgesetzt bekommt. Und das wird den FAZ-Hanfeld besonders freuen – Ziel erreicht.
Hätte er ein anderes Ziel, hätte er seinen Mitarbeiter Jungen ja auch “Kommissar Beck – die neuen Fälle” rezensieren lassen können. Linear laufen die sonntags unmittelbar nach dem Barcelona-Trash, und sind das Erbe der literarischen Krimiklassiker von Sjöwall/Wahlöö, die ich in den 70ern komplett im Griechenland-Urlaub gefressen habe (auf Empfehlung der seligen Marianne Lienau/WDR3). Dieses Autorinnen-Ehepaar begründete damals die bis heute fortlebende Tradition der weltweit respektierten skandinavischen Krimis, die mit einer so klaren politischen Agenda starteten, heute leider sehr weitgehend verflüchtigt (“Der Adler” 2004-06 enthielt noch entsprechende Substanzen), die die FAZ bis heute nur mit spitzen Fingern anfasst (und selbstverständlich höchstens im Feuilleton).
Das weiss der Hanfeld sehr wohl, und lässt darum auch gar nicht erst Rezensions-Werbung machen.
Letzte Kommentare