Die italienische Regierung macht die strategischen Pläne von Europas Faschisten sichtbar. Thomas Pany/telepolis erläutert das Geschehen: Meloni fordert Marineeinsatz: Lampedusa und die Migrationskrise in Italien – Chaos und Überforderung: 9.000 Migranten aus Nordafrika in einer Woche landen auf der italienischen Insel. Bürgermeister ruft nach einer strukturellen Lösung. Wer hat sie?” Der Lampedusa-Zustand wird absichtlich herbeigeführt. Die Bilder, auf die Europas Medien ausrechenbar fliegen, wie die Wespen auf den Pflaumenkuchen, sind erwünscht. Die Aufregung verzweifelter Bürgermeister ebenso.

So schafft Meloni die Voraussetzungen für eine Militarisierung der Migrationspolitik. Wenn, wie im Fall Tunesien misslungen, die geografisch an die EU angrenzenden Staaten Migrant*innen nicht selbst aufhalten und einsperren, wie es von Recep T. Erdogan bis zur sog. “libyschen Küstenwache” vorbildhaft praktiziert wurde, dann besetzt EU-Militär zunächst das Mittelmeer mit Schiffen und Überwachungstechnologie – und von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt auf nordafrikanische Strände und Hafenkais. Das Böse, das damit bekämpft werden soll, lässt sich beliebig konstruieren, und ist im Zweifelsfall immer Schwarz.

Die Herren Cohn-Bendit und Leggewie/taz, die sich gewöhnlich in Europa gut auskannten, haben schon den Überblick verloren. Über die EU schreiben sie u.a.: “In Ungarn und Polen haben sich dezidiert illiberale Regierungen festgesetzt, die statt Vertiefung eine nationalistisch-identitäre, homophobe, im Kern auch antisemitische Spaltung betreiben.” Da haben sie Italien wohl glatt vergessen. Und Skandinavien, wo alle Regierungen von AfD-ähnlichen Fraktionen abhängig sind. In Spanien ist ähnliches wie in Italien nur knapp verhindert worden. In den Niederlanden und Frankreich steht es kurz bevor. Haben sie mal die Rassismus- und Flüchtlingsdiskurse in Österreich studiert? Sollte ohne Sprachbarriere nicht so schwer sein, aber zugegeben: ein schöner Anblick ist das nicht.

Kurz: für die EU-Parlamentswahl am 9. Juni nächsten Jahres ist weit Schlimmeres zu erwarten, als was uns in Kürze in Bayern und Hessen erschrecken wird, und in Thüringen schon getan hat.

Die Antwort auf die Migrationskrise wäre pragmatisch einfach, doch nichts ist politisch weiter entfernt: EU-Europa müsste den Migrant*inn*en dieser Welt ein legales Einwanderungsangebot machen. Das ist objektiv die einzige Möglichkeit, um die Sache politisch steuern zu können. Das ist aber gar nicht erwünscht. Faschist*inn*en brauchen Chaos, um daraus Rassismus und Krieg zu legitimieren und herbeizuführen. Mit Kriegsparanoia gelingt es ihnen, ihre Herrschaft zu sichern. Die konservativen Rechten in Europa sind dumm genug, das Feld dafür zu bereiten, und in diese Richtung nicht nur mit-, sondern gerne auch voranzugehen.

Und was machen die Liberalen und Linken? Sie sehen diese Prozesse mit mehr oder minder Erschauern und Erstarren. Wenn sie nicht sogar in hilflose Panik übergehen. Geschichte wiederholt sich als Farce. Wann werden sie begreifen, politische Bündnisse organisieren, Alternativen entwickeln, propagieren und für sie (gegen-)mobilisieren? Ich weiss es doch auch nicht …

Bescheidene Alternativen

Katja Kullmann/taz: Frei von Smartphone:Mein Leben ohne Äppärät – Unsere Autorin surft das Web wie ein Profi. Aber eine Welle reitet sie nicht mit – die des Smartphones. Damit ist sie nicht allein.”

Die Autorin ist bedeutend jünger als ich, ich erkenne mich aber wieder. Mein Smartphone liegt in der Regel zuhause auf der Sofalehne, und wird dort ständig von mir vergessen. Zu meiner täglichen Mittagspause nehme ich es bewusst nicht mit. Das ist, wie auch die Autorin schreibt, wahrer “Luxus”, den ich gerne geniesse.

Es ist aber auch politisch relevant. So bescheuert es von meiner Altersgruppe war, die asozialen Medien kommunikativ und politisch zu ignorieren, wie es seit den 90ern geschah, so bescheuert ist das Umkippen, wie es insbesondere unter Politiker*inne*n und Journalist*inn*en heute zu beobachten ist. Es gibt keinen Ersatz für direkte Personen-Kommunikation. Körpersprache und unzählige nonverbale Signale werden ausgeklickt. Das macht dümmer, und zwar alle. Kullmann beschreibt richtig, dass das immerhin immer mehr kluge Leute erkennen. In einer fernen Zukunft wird das auch Politik und Medien erreichen.

Detox gegen digitale Gewalt

Dazu gibt Anne Roth/netzpolitik einen hochwertigen Überblick, ein Pflichttext für alle, die als Gesetzgeber*in, Lehrer*in, in Parteien, Verbänden, Initiativen – oder als schlichte Nutzer*in damit zu tun haben: Stand der Dinge: Ein Update zu digitaler Gewalt – Was ist digitale Gewalt? Was bringt das Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums zu einem neuen Gesetz? Und was braucht es wirklich, um Betroffenen zu helfen? Anne Roth hat das in einem Talk auf dem Chaos Communication Camp 2023 zusammengefasst.”

Gutes bei Lanz?

Ich habe das noch nie für möglich gehalten. Es gehört weiterhin zu meiner Mediendiät, meine Lebenszeit nicht mit solchem Trash zu verschwenden. Aber Rüdiger Suchsland/telepolis hat das für mich übernommen: Bei Luisa Neubauer wird Markus Lanz schwach – Gefährliche Autoindustrie und die Frage: Wem was nutzt? Wie die Aktivistin den Moderator entlarvt und überraschenderweise zur Realistin unter lauter Ideologen wird.”

Dass Frau Neubauer von gescheitem Verstand und damit dem Lanz überlegen ist, überrascht so wenig, wie ihre rhetorische Überlegenheit. Wenn es ein paar Leuten über Suchsland hinaus Freude bereitet hat, dann möge es so sein. “Alles, was die Welt besser macht, ist gut”, hat mich eine politisch geplagte US-Linke gelehrt, die mutmasslich weltweit betrachtet berühmteste Beuelerin.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net