Der Rechtsextremismus der Mitte (8.) – Migrationspolitik als Vehikel des bürgerlichen Rassismus

Das Spiel geht nun schon seit der praktischen Abschaffung des Asylrechts 1993 in Deutschland und der Weigerung der rechtsextremistischen Regierungen in Polen, Ungarn und neuerdings auch in Italien, sich gleichbereichtigt an einem gerechten Verteilschlüssel für Geflüchtete zu beteiligen. Tausende verzweifelter Flüchtlinge versuchen immer wieder, in lebensgefährlichen Booten übers Mittelmeer Kreta, Lesbos, Lampedusa, Malta oder Spanien zu erreichen oder versuchen es über die Balkanroute.

Rechte Medien und Politiker spielen die durchaus moderaten Zahlen – bis Ende August kamen in Deutschland rund 170.000 Flüchtlinge an. Gleichzeitig waren in Deutschland seit 2022 etwa 1,2 Mio. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine angekommen, von denen auch viele wieder in die Ukraine zurückgekehrt sind oder gar pendeln. Weil wir KRIEG in Europa haben – das ist eine Sondersituation. Aber BILD-Zeitung, AfD und von denen verängstigte bürgerliche Parteiführer wie Merz und sein innenpolitischer Handlanger Frei bauschen dies zur “Flüchtlingsschwemme” auf oder lassen sich von populistischen Kampagnen der Rechtsextremisten einschüchtern. Was sind das für Maßstäbe?

Verblüffende Parallelen zur Asyldiskussion 1991-93

In die damalige Bundesrepublik Deutschland kamen 1989 121.000 Asylbewerber*innen und 751.000 Spätaussiedler*innen (insgesamt 872.000 Personen), 1991 477.000 Asylsuchende und 221.000 Aussiedler*innen (insgesamt 698.000 Personen). Gleichzeitig: 1989 verliessen 422.000 Menschen, 1991 580.000 Personen die Bundesrepublik Deutschland. In der Öffentlichkeit wurden im Zuge der damaligen Asylkampagne von Rechts – eingeschlossen die CDU und CSU – immer nur die Einwanderungs- nie die Auswanderungszahlen genannt.

Auch damals wurde regelmäßig “angeprangert”, dass etwa 200.000 Menschen “ausreisepflichtig” seien. Nicht dazu gesagt oder erklärt wurde – wie heute – dass diese gar nicht abgeschoben werden konnten, weil ihnen im Herkunftsland Tod, Verfolgung, Folter oder Menschenrechtsverletzung drohten. Und natürlich, dass die meisten von ihnen inzwischen feste Jobs haben und von ihren Arbeitgebern dringend gebraucht werden.  Auch damals wurden Asylzahlen aufgebauscht, Kommunen mit den Problemen der Unterbringung alleingelassen, Zahlen der Spätaussiedler*innen und Auswanderung unterschlagen.

Migrationsbilanz 2022/2023

Das Statistische Bundesamt weist für 2022 einen Saldo über rund 1,5 Mio. Zuzüge aus, wobei nicht klar ist, welchen Anteil daran wirklich die Flüchtlinge ausserhalb Europas haben. Sicher ist aber, dass ihr zahlenmässiger Anteil an der Zuwanderung ein Verschwindender ist. Bei den Flüchtlingen sind die Herkünfte aus menschenrechtsverletzenden und kriegerischen Ländern dominant: Syrien (2022: 68 000, 2021: 41 000) sowie aus Afghanistan (2022: 55 000, 2021: 31 000) und der Türkei (2022: 49 000, 2021: 19 000). Die Mehrzahl der Flüchtlinge aus diesen Herkunftsländern wird anerkannt, die Quote liegt bei Syrer*innen bei über 70%, bei Afghanen und Türken ebenfalls. (Quelle: Stat. Bundesamt).

Selbst wenn wir hypothetisch annähmen, dass die Flüchtlingszahlen sich 2023 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt hätten, 260.000 statt 130.000, wäre die Gesamtdiskussion über “illegale Migration” angesichts der Zahlen lächerlich. Denn zum einen sind die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und der Türkei fraglos von ihren Regimen verfolgt, zum anderen ist ihre Zahl angesichts von 1,2 Mio. Ukraineflüchtlingen im wahrsten Sinne des Wortes “Peanuts”.  Es handelt sich also objektiv quantitativ betrachtet wie 1991-93 um eine politische Kampagne, die die Asylzahlen für rechtsextremistische Ideologie instrumentalisiert und mißbraucht. Und die CDU kocht ihr Süppchen darauf.

Selbst die FDP betreibt das Geschäft der Rechtsextremisten

Schon wieder gibt es Krach in der Ampelkoalition und es ist besonders peinlich, dass der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai den Ton angibt und schärfere Maßnahmen gegen angeblich “illegale Migration” fordert,  dessen Eltern ihn wegen der besseren Bildungschancen vom Iran nach Deutschland schickten – er wäre also, würden wir dieser Ideologie folgen,  in seiner eigenen, perversen  Logik ein “Wirtschaftsflüchtling”. Die Koalition aus FDP, Grünen und SPD hat beschlossen, die seit Jahrzehnten verfehlte Einwanderungspolitik auf einen völlig neuen Stand zu bringen.

Endlich soll die Einwanderung von Menschen nach Deutschland legalisiert und erleichtert werden. Sollen sich Menschen auf die Migration nach Deutschland bewerben, durch Spracherwerb und Bildung Punkte sammeln und legalen Zugang finden können. Ein gutes, längst überfälliges Vorhaben. Aber die Kehrseite dieser Politik ist immer noch eine Spielart der rechten Abschiebungs- und Abschreckungsideologie, wie sie die CDU propagiert. Diese und alles rechts davon hat keinen Bezug zur Realität von Migration.

Onkel Tom und die Wilden

Diese heute als fortschrittlich verkaufte Migrationspolitik – von einer Koalition, der die SPD, vor allem aber die FDP angehört, kann nicht mehr erwartet werden. Sie nimmt einen immanenten Rassismus in Kauf, der Menschen in legale und illegale, erwünschte und nicht erwünschte aufteilt. Nichts soll beschönigt werden. Klar gibt es ihn, den illegalen ghanaischen Drogenhändler oder den rumänischen Schlepper, dessen Bosse in den besten Hotels in Istanbul, Venedig oder Brüssel logieren und ihre Euros zählen. Aber warum funktioniert ihr Geschäftsmodell? Weil die Politik sich eine Realität backen möchte, die es nicht gibt.

Sie träumt von Abschiebungen in Länder, mit denen es keine Rücknahmeübereinkommen gibt, sie lügt der Öffentlichkeit in die Tasche mit der Behauptung, durch die Erklärung zum “sicheres Herkunftsland” würde auch nur eine einzige Person mehr abzuschieben möglich. Und sie nährt die Illusion einer so nicht stattfindenden “sauberen” Migration von nicht verelendeten, frisch geduschten, braven, anpassungsbereiten Migranten mit deutschem Sprachdiplom. Onkel Tom ist willkommen, die “Wilden” sind abzuschieben. Ein politischer Traumtanz aller bürgerlichen Parteien, aber auch der Ampelkoalition, in dem eine gehörige Portion Alltagsrassismus steckt.

Migration ist weltweiter Alltag

Seit über 40 Jahren weiss die Migrationsforschung, dass Sicherheit, Wohlstand und gesellschaftlicher Aufstieg die Triebfedern der Wanderungsbewegungen von Menschen auf unserem Planeten sind. In Südostasien sind Migrationsgeschichten schon viel länger erforscht und zeigen, dass viele Aufsteigerbiografien zum Teil mehrfache Migrationsstufen und -Biografien – z.B. von Indonesien nach Malaysia, nach Singapore, dann in die USA und nach Canada beinhalten können. Migration ist nicht aufzuhalten, solange es einigermaßen freiheitliche Gesellschaften, Marktwirtschaft und Rechtstaatlichkeit gibt.

Mit den Abschottungsforderungen in der EU stellt diese ihre eigene Rechtsstaatlichkeit in Frage. Mauern und Demokratie schließen sich gegenseitig aus. Sollte das Realität werden, was Meloni, Orban und Kaczyński fordern, ist die EU kein Staatenbund der Rechtsstaatlichekt mehr und schon gar keiner, der die Menschenrechte achtet. Europa befindet sich längst auf einer rechtsstaatlichen Rutschbahn – auch und gerade mit dem altuellen Flüchtlingspakt. Die Grünen als Partei versagen derzeit daran, diese Entwicklung aufzuhalten, indem sie nicht dagegen halten, weil sie vergessen haben, dass Regierungsbeteiligung, Fraktion im Parlament und Partei an der Basis unterschiedliche Rollen und Aufgaben haben.

In der Flüchtlingspolitik endlich ehrlich machen!

Flüchtlinge nehmen heute riesige Beschwernisse und Gefahren in Kauf, um ihre Herkunftsländer zu verlassen. Menschen aus der Sahel-Zone nach Tunesien oder Libyen zurückzuschicken ist Unsinn, unmenschlich und unmöglich. Ihnen droht dort Gefahr für Leib und Leben. Die “lieben Migranten”, die artig Deutschkurse im Kongo besuchen und einen Einwanderungsantrag stellen und vorher eine duale Ausbildung nach deutschem Muster absolviert haben, kann sich die Ampelkoalition abschminken. Sie wird es schon deshalb nicht geben, weil es in den Herkunftsländern so gut wie keine Infrastruktur gibt, um diese Kriterien zu erfüllen.

Die Goethe-Institute, an denen Deutsch gelernt werden könnte, werden weltweit abgebaut und geschlossen. Stattdessen sollte Deutschland sich ehrlich machen und lernen, mit denen gut umzugehen, die hierher kommen und schon lange da sind. Sprachkurse, Bildungs- und Ausbildungsangebote und Arbeitserlaubnisse mit Auflagen für erstere Bedingungen vom ersten Tag an. Familiennachzug, sobald eine feste Arbeitsstelle besteht. Das Paket könnte ein Erfolgspaket werden und den Mangel an Fach- und Arbeitskräften wirklich lösen.

Keine dramatische Flüchtlingkrise, sondern Wohnungsnot und Demokratiekrise

Die sachliche Analyse der Zahlen von Migration beweisen, dass es die derzeit herbei geredete Flüchtlingskrise so nicht gibt. Die Migration ist mit insgesamt 1,5 Mio. Flüchtlingen zweifellos vom Ukrainekrieg bestimmt, beherrscht und trifft auf einen existenziellen Wohnungsmangel.  Die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und der Türkei sind real verfolgt. Sie als Popanz aufzubauen, ist billiger Populismus. In der Folge  wird ideologisch von realen sozialen Konflikten abgelenkt, die von den Rechtsextremisten der AfD, aber gleichermassen von der aktuellen Führung der CDU unter Friedrich Merz und seinem Büchsenspanner und Agitator Linnemann den Flüchtlingen zugeschrieben werden.

Die in Wirklichkeit weder Verursacher, noch Beteiligte der Sozialprobleme und Wohnungsnot sind. Aber die seriöse Befassung mit den Problemen und ihre Trennung voneinander wird vom Populismus untergepflügt und die sachliche und objektive Komplexität des Migrationsproblems scheint die durchschnittliche Intelligenz von Parlamentarier*innen zu überfordern. 2023 ebenso wie 1993.

Die Ministerpräsidenten werden’s schon richten

Sie haben sich von der AfD in die Falle treiben lassen – alle demokratischen Parteien, voran die CDU/CSU aus Opportunismus und in derselben Haltung, in der sie schon 1993 dachten, durch das Schleifen des Asylrechts der rechten Pest in Deutschland Herr zu werden. Nun werden sie wieder dieselben unwirksamen und teuren Maßnahmen beschließen, die sie schon 1993 beschlossen haben: Gutscheine statt Bargeld, obwohl das BVerfG geurteilt hat, dass das nicht ausschließlich so geht und alle Kommunen wissen, dass es die Kosten nach oben treibt. Längere Abschiebehaft, neue angeblich sichere Herkunftsländer, z.B. den mörderischen Maghreb der Diktatoren in Libyen, Tunesien oder etwa die netten ehemaligen Sowjetrepubliken Tschetschenien, Armenien oder Aserbaidschan.

Und der Hit: gemeinnützige Arbeit, die so teuer ist, dass sie Personal erfordert, das sie erfindet und koordiniert. Personal, das sie anleitet und kontrolliert. Die Entlohnung der Flüchtlinge mit 1 € pro Tag, für Kommunen ungefähr so kostspielig, wie ein Elektroauto der Oberklasse. Alle anderen Grausamkeiten – Kasernierung und Gefängnisse an den EU-Außengrenzen bleiben Orban, Meloni, Katschinski, Mitsotakis und anderen “lupenreinen Demokraten” der Gemeinschaft vorbehalten. Lösen wird das die Probleme nicht. Aber das scheinen sie auch nicht zu wollen.


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Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net