Lieber Herr Kermani, wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass ich gerade jetzt Ihr Buch „Was jetzt möglich ist“ lese, das letztes Jahr im Beck Verlag erschienen ist. Ich beziehe mich speziell auf den Artikel „Sympathie für den Satan“ vom 18. September 2001, der in dem Buch abgedruckt ist. Die Parallelen zu den aktuellen Ereignissen drängen sich auf. Sie schreiben damals u. a., wie bemerkenswert die weltweite Solidarität auch aus Ländern wie dem Iran mit den Opfern des Terroranschlags des 11. Septembers 2001 gewesen ist. Die von Ihnen angesprochenen sich daraus ergebenden Chancen auf einen neuen Versuch des Ausgleichs der Interessen der Länder der islamischen Welt und denen des Westens sind ganz offensichtlich nicht wahrgenommen worden. Stattdessen hat der Kampf der Kulturen (Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Europa-Verlag, München, Wien 1996) an Fahrt gewonnen.

Auch jetzt hat es wieder weltweite Solidaritätsbekundungen mit den Opfern der Hamas Terroristen gegeben, auch und gerade von Menschen islamischen Glaubens. Auch daraus könnten sich wieder Chancen ergeben, wenn man es denn wollte. Die Möglichkeiten werden im Keim erstickt, wenn der Westen den Vernichtungsphantasien des Benjamin Netanjahu keine Alternativen entgegensetzt und ihn und seine orthodoxen Verbündeten noch weiter bedingungslos unterstützt.

Sie schreiben damals, wie wichtig ein kulturübergreifender Schulterschluss gegen politische Gewalt wäre, der aber zunichte gemacht werden würde von Bildern zerbombter Dörfer und Städte, klagender Frauen und ermordeten Babys. Sie meinten damals Afghanistan. Genau das droht jetzt im Falle einer israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen. 

Die Sicherheit Israels als deutsche Staatsraison darf nicht dazu beitragen, dass sich die Eskalationsspirale blind weiterdreht. Es steht so viel auf dem Spiel. Das Leben zigtausender Menschen, die eigentlich nichts anderes wollen, als in Ruhe und Frieden zu leben und nicht zuletzt die Möglichkeit einer dauernden Friedensordnung auf der Welt.

Ich habe Freunde in Israel und mein Mitgefühl für die Opfer des Terrors der Hamas ist tief. Alttestamentarischen Staatsterror gilt es jedoch zu verhindern, auch und gerade von deutschen Politiker/-innen in Verantwortung.

Lieber Herr Kermani, bitte betrachten Sie diesen Brief als sorgenvollen Gedankenanstoß an einen Publizisten, dessen Stimme gerade jetzt von besonderem Gewicht sein dürfte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Hanspeter Knirsch

Über Dr. Hanspeter Knirsch (Gastautor):

Der Autor ist Rechtsanwalt in Emsdetten und ehemaliger Bundesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten. Er gehörte in seiner Funktion als Vorsitzender der Jungdemokraten dem Bundesvorstand der F.D.P. an und war gewähltes Mitglied des Landesvorstands der F.D.P. in NRW bis zu seinem Austritt anlässlich des Koalitionswechsels 1982. Mehr zum Autor lesen sie hier.

Sie können dem Autor auch im Fediverse folgen unter: @hans.peter.knirsch@extradienst.net