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Gefährlich und deutsch

Der Rechtsextremismus der Mitte (9.) – Antisemitismus

Die rassistische Kampagne der bürgerlichen Kräfte gegen das Grundrecht auf Asyl hat seit dem bestialischen Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel und den fehlgeleiteten Migranten, die sich in Deutschland militant und unbotmäßig und natürlich antisemitisch zum Konflikt mit Israel äußern, eine neue Qualität bekommen.  Nun sind es plötzlich die Eingewanderten – die das Hauptproblem des Antisemitismus in Deutschland darstellen. Merz, sein Büchsenspanner und sogar die FDP, immer ganz vorn der Generalsekretär mit iranischem Migrationshintergrund, versuchen den Eindruck zu erwecken, als ob der Antisemitismus in Deutschland vor allem ein Problem der Eingewanderten sei.

Das ist nicht nur falsch, weil es von den hunderttausenden antisemitischen Tweets und Postings der rechtsextremen Szene über die Scheinheiligkeit der AfD bis hin in die Mehrheitsgesellschaft abzulenken versucht. Seit Jahren nimmt der “ganz normale” Antisemitismus im Alltag zu. Jüdische Freunde in meinem Umfeld berichten, dass sie seit 2015, und verstärkt  seit  “Corona”,  etwas erleben,  das sich seit 40 Jahren niemand getraut hat. Da ist der Vermieter, der erstmalig als Jude bezeichnet wird, als er Mieterhöhungen im Zusammenhang mit Umweltmaßnahmen begründet. Da werden erfolgreiche Geschäftsleute plötzlich als “Juden – na klar” bezeichnet. Da schleichen sich antisemitische Allgemeinplätze ein, neben Verschwörungstheorien, wie die von der Steuerung durch Soros, Zuckerberg, Gates und das internationale Finanzjudentum. All dies mag es auch in Kreisen von Migranten geben, vor allem aber sind es die deutschen Rechtsextremisten, die auf den (a)sozialen Medien solchen Mist verbreiten, und der in der bürgerlichen Gesellschaft immer mehr Fuß fasst, weil auch die CDU nicht dagegen hält.

Die 1930er Jahre sind im Denken nah

Auch am vergangenen Wochenende hat Friedrich Merz wieder nicht nur gegen Flüchtlinge Stimmung gemacht, sondern auch und vor allem den Antisemitismus auf Schulhöfen, bei Demonstrationen von Migranten als das wichtigste “importierte Problem” hervorgehoben, das es zu bekämpfen gelte. Zweifellos gibt es hier ein gesellschaftliches Problem, weil die Kinder von Migrant*inn*en häufig entweder gar keine Geschichtskenntnisse haben oder ein von Internet, (a)sozialen Medien und entsprechend einseitigen politischen Gruppierungen beeinflusstes Weltbild. Die Versäumnisse in Schulen, die deutsche Vergangenheit und die Zusammenhänge mit der Entstehung des Staates Israel und die besondere Verantwortung für ein “Nie Wieder!” darzustellen, sind etwa so groß, wie die Lücken des Geschichtsunterrichts, die in deutschen Schulen bis in die 70er Jahre bei der Behandlung des Nationalsozialismus klafften. Deshalb ist es unredlich und eine Fortsetzung der rassistischen Anti-Asylrechtskampagne, wenn Merz & co. schon wieder von “importiertem Antisemitismus” spricht.  Was Antisemitismus angeht, gilt es zuallererst, vor biodeutschen Türen zu kehren.

Hemmschwelle gesunken

Seit Jahren sind die Hemmschwellen gesunken, antisemitische Parolen, Begriffe oder Stereotype zu gebrauchen. Auch hier gilt das, was für den Rechtsextremismus allgemein zutrifft: was früher einige Ewiggestrige oder Idioten am Stammtisch geäußert haben und anderntags verschwiegen wurde, verbreitet sich heute rasend im Internet und findet Konsumenten wie Anfeuernde, Beifall und “man wird doch wohl noch sagen dürfen.” Selbst bei Menschen, die bisher als moralische Orientierungspunkte galten, reden wie der ehemalige Bundespräsident Gauck kompletten Blödsinn. Man müsse sich “Lösungen überlegen, die auf den ersten Blick unmoralisch erscheinen” und schwurbelt sich um Grundrechte und Menschenrechtskonventionen sowie die Rechtsataatlichkeit klammheimlich herum. Wie weit sind manche Intellektuelle in diesem Land gesunken? Gauck mag ja ein Ossie sein und nicht mitbekommen haben, was die Väter und Mütter des Grundgesetzes zum Asylrecht im Parlamentarischen Rat 1948/49 diskutiert haben. Obwohl er es hätte nachlesen können. Es gibt ein INDIVIDUELLES Grundrecht auf Asyl vor allem deshalb, weil ganze Schiffe voller jüdischer Flüchtlinge vor dem Holocaust in USA, in Großbritannien und anderen Ländern abgewiesen wurden. Was für eine Geschichtsvergessenheit! Das bedeutet, die Abschaffung der individuellen Asylprüfung ist per se Verrat an den positiven Lehren aus der deutschen Geschichte. Da erweist sich etwa Torsten  Frei  (CDU) mit seinem Schwafeln von einer “institutionellen Garantie” statt Grundrecht als geschichts- und gewissenloser Geselle.  Er fordert damit genau das , was letztlich antisemitische Vergewaltigung des individuellen Grundrechts auf Asyl vor der Geschichte bedeutet.

Nicht jeder Rechtsextremismus ist Antisemitismus, sondern noch schlimmer

Wer die Diskussion um den Rechtsextremisten der sogenannten “Freien Wähler”, und des Herrn Aiwanger, genau analysiert, dem muss sich erschließen, dass das was – welcher Aiwanger auch immer – abgesondert hat, auch, aber nicht in erster Linie Antisemitismus beinhaltet. Der oder die Autoren des Aiwanger-Flugblatts schrieben von “Volksverrätern”. Dieses Flugblatt ist infam und Menschenverachtend, aber präzise. Es beinhaltet Detailwissen über die Ideologie der nationalsozialistischen Schlächter und ihre Mordmethoden, den Einsatz des Fallbeils und die Vernichtung in Dachau und verherrlicht sie. Von Juden ist nicht direkt die Rede. Der Inhalt des Flugblatts erschließt sich aber ganz anders  vor dem Hintergrund, dass hier um die Tatzeit der Aiwangers,  um 1987 herum, ein “Anti-Wettbewerb” gegen den Aufsatzwettbewerb des Bundespräsidenten Richard Weizsäcker “ausgeschrieben” wurde, der sich für die Ostverträge und die Entspannungspolitik einsetzte, und der 1985 als Präsident erstmals den 8.Mai als “Tag der Befreiung” bezeichnet hat. Gegen diese demokratische politische Haltung des Zeitgeistes wenden sich die Autoren des Aiwanger-Flugblatts. Gegen die Ostpolitik, die Erinnerungskultur, die Verantwortung gegenüber der NS-Diktatur der 70er und 80er Jahre. Vor diesem Hintergrund ergibt der Begriff des “Volksverräters”, des häufigst gebrauchten Begriffs des Volksgerichtshofs-Präsidenten Roland Freisler durch die Aiwanger-Brüder Ende der 80er Jahre auf einmal Sinn.

Aiwanger war – und ist – weniger Antisemit als vor allem Verfassungsfeind

Diesen Duktus verwandten auch die rechten Gegner der Ostpolitik Willy Brandts in den 70er Jahren. Es ging den Aiwangers oder dem Aiwanger nicht um die Juden, die Grausamkeit diesen gegenüber war nur Beiwerk. Es ging um den Hass gegen die Demokratie und nicht gegen Lehrer, sondern gegen den Bundespräsidenten und seinen Aufsatzwettbewerb. Diese damals offensichtlich tiefe Verfassungsfeindlichkeit aus dem Hause Aiwanger – und dass nicht der langhaarige “Luschi” Helmut Aiwanger, sondern der für beisweilen schneidig Hitlerreden imitierende Hubert derartiger Geisteshaltung wohl eher nahestehend verdächtig war – wurde in der ganzen Diskussion völlig übersehen, weil das Flugblatt auf seinen Antisemitismusgehalt reduziert wurde. Den enthält es zwar, impliziert ihn, aber der Kern, die Stoßrichtung  ist eine ganz andere: antidemokratisch, völkisch-unmenschlich,  nationalsozialistisch, menschenverachtend, gewaltverherrlichend. Eine “Jugendsünde”? Ja, die gibt es und hätte er sich bekannt, distanziert und Reue gezeigt, hätte man das anerkennen können. Aber er hat geleugnet und hat das verfolgte Opfer gegeben und das ist schändlich. Erschreckend ist, dass diese üble Gesinnung in bayrischen Bierzelten nicht nur Anklang fand, weil sich “gute Bürger” damit solidarisierten, sondern dass Hubert Aiwanger mit seiner geschauspielerten “Opferrolle” durchkam. Ihm fehlt jede charakterliche Eignung, ein demokratisches Amt auszuüben. Dass niemand ernsthaft daran Anstoß nimmt, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand unserer Demokratie. Und auf die politische Moral eines Markus Söder.


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Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    Der Aiwangerhubsi ein Antisemit? Der ist doch ganz doll für Israel (bzw. das, was deren Regierung tut):
    https://www.faz.net/aktuell/politik/anti-israel-demos-hubert-aiwanger-fordert-haerteres-durchgreifen-19280560.html
    Meine These: es gibt Menschenfeinde und Menschenfreunde, in allen Nationen und Religionen. Die einen finden Krieg, Vertreibung, Traumatisierung geil, die real existierende Medienökonomie z.B., die andern hassen und bekämpfen das, unbewaffnet und Kriegsdienst verweigernd.

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