GroKo in Hessen

Volker Bouffier war ein sehr besonderer Ministerpräsident. Aus einer ziemlich konservativen Landes-CDU kommend, erarbeitete er sich den Ruf eines „Avantgardisten“ (sic!). Er gewann das Vertrauen der hessischen Grünen, regierte zuverlässig mit seinem Stellvertreter Tarek al Wazir, in einer Art und Weise, die man sich angesichts eines überschwappenden Populismus nur wünschen konnte: ruhig, einvernehmlich, sachorientiert.

Viele sahen Hessen schon als eine Art Modell an: Wenn wir die Bundesrepublik zusammenhalten wollen, dann doch wohl so, wie in Wiesbaden – reformorientiert, einbeziehend und Vertrauen schaffend. Das wäre nicht schlecht auch für den Rest der Republik.

Bouffiers Zuverlässigkeit ließ bei den Grünen die Idee aufkeimen, dass man zwar einiges gegen die Konservativen einwenden könne, aber dass sie doch zu ihrem Wort stünden und das rare Gut Vertrauen pflegten. Für diesen Eindruck war Bouffier und seine Koalition entscheidend wichtig.

Respekt bei seinem grünen Koalitionspartner erwarb Bouffier sich nicht zuletzt durch seine Ruhe in komplizierten Lagen: Sich erst mal einen Rillo anzünden! Da konnte man auch als Nichtraucher was lernen.

Die Grünen stützten Bouffier dann auch und blieben der Koalition treu, als sie es nicht hätten tun müssen. Das war wesentlich das Verdienst dieses sehr besonderen Konservativen.

Sein Nachfolger Boris Rhein hat heute nun die schwarz-grüne Koalition in Wiesbaden in die Luft gesprengt – und damit auch das Erbe von Volker Bouffier. Und gleichzeitig alle positiven Erwartungen, die man an diese hessische Konstellation knüpfte.

Wow, der Rhein traut sich was – das war mein erster Gedanke. Und die Frage, ob er auch genau weiß, was er da tut, der zweite.

Rhein ist ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Dass er Hessen nun mit einer GroKo beglücken will, also mit dem, was weithin als Notregierung gilt – ich weiß nicht, welche Art von Fußnote ihm das in den Landesgeschichtsbüchern einbringen soll. Aber dass es besonders zukunftshaltig ist, das ist erst einmal nicht abzusehen.

Vor einigen Monaten hat Franziska Giffey die Koalition mit Grünen und Linken in Berlin gebrochen und ohne Not der Berlin-CDU einen Regierenden Bürgermeister beschert – ausgerechnet in dem SPD-Landesverband, der kurz zuvor noch wie kein zweiter gegen die GroKo kämpfte. Ok, habe ich mir gedacht, ist nicht gut, aber bei Giffey kann man nicht allzu viel auf Vertrauen setzen.

Wenige Monate später lässt Rhein nun die hessische 15%-SPD umgekehrt an die GroKo-Fressnäpfe in Hessen – und die SPD jubiliert. Mit dem schlechtesten Ergebnis, das sie jemals im einstigen Stammland erzielte zurück an der Macht! Das ist schon außergewöhmlich – und auch ziemlich mutig von den Sozialdemokraten. Krass abgemeiert – und trotzdem hurtig in die Regierungsämter!

Boris Rhein hat heute viel kaputt gemacht in der Beziehung zwischen CDU und Grünen.

Die SPD macht gerade viel kaputt, was ihr eigenes standing in Deutschland angeht.

Ich würde mal sagen:

– Projekt 10 Prozent in Hessen und Berlin.

– Der letzte Sozialdemokrat macht dann das Licht aus!

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Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.