Rede Arsch-Huh-Kundgebung, 3.12.2023, Köln
Ich rede heute hier, weil ich dieses Signal der Kundgebung gegen den wieder aufgeflammten Antisemitismus in unserem Lande nachdrücklich unterstützen möchte.
Ich habe viel erlebt, aber eine solche Woge von Hass erfüllten Angriffen auf unsere jüdischen Mitbürger, in einer solchen Dimension, das habe ich noch nie erlebt. Es sind die Worte, es ist die Aggression, es ist die Gewalt. Wir müssen unseren jüdischen Mitbürgern gerade jetzt unsere unverbrüchliche Solidarität zusichern. Sie müssen sicher leben können. Ein Polizeischutz vor jeder Synagoge, das ist eine Schande für unser Land. Der Aufruf wendet sich zu recht auch an die zugewanderten Mitbürger. Sie müssen wissen, was für uns die Erinnerung an die Barbarei und die Beziehung zu Israel bedeutet.
Wir haben allen Anlass, unserem Grundgesetz zu folgen, der besten Verfassung, die die Deutschen je hatten. Es ist die Menschenwürde, die wir verteidigen müssen. Wir müssen kämpfen gegen die wachsende gruppenbezogene Menschenverachtung. Sie sollen ausgegrenzt werden – die Schwachen, die Hilfsbedürftigen, die Minderheiten, diejenigen, die anderen Glaubens sind, die anders leben wollen als die Mehrheit, diejenigen, die Zuflucht vor politischer Verfolgung suchen. Es gibt viel Solidarität in unserer Gesellschaft, aber auch gefährliche Tendenzen der Ausgrenzung.
Die Juden bedürfen gerade jetzt unseres besonderen Schutzes. Ich lasse eines nicht gelten: die Berufung darauf, dass es auch in anderen Gesellschaften Antisemitismus und Rassismus gibt. Der Unterschied ist: in anderen Gesellschaften hat Rassismus nicht zu einem solch unvergleichbaren Menschheitsverbrechen geführt, wie dem Holocaust. Das jüdische Volk sollte vernichtet werden. Und 6 Mio. sind vernichtet worden.
Es gibt ein Volk, bei dem Antisemitismus nie wieder als eine Art Normalität akzeptiert werden darf – das ist unser Volk. Gerade wir hier in Köln: Wir sind eine Stadt mit langer jüdischer Tradition. Im 5. Jahrhundert wurde hier die erste jüdische Gemeinde in Deutschland gegründet. Was wir in unserer Stadt durch den Holocaust verloren haben und welches Schicksal die jüdischen Mitbürger erlitten haben, das zeigt allein der Blick auf die Stolpersteine überall in der Stadt. Und auch die Erinnerung an die prominenten jüdischen Mitbürger, die von den Nazis ermordet wurden oder vor ihnen fliehen mussten, müssen wir wach halten.
Wir sind hier versammelt, weil am 7.Oktober Israel überfallen wurde. Die Repräsentanten unserer jüdischen Mitbürger haben ihre Teilnahme abgesagt – an der Spitze der Vorsitzende der Synagogengemeinde, Abraham Lehrer, der hohe Achtung verdient. Er hat sich – weit über Köln hinaus – um unsere Demokratie und um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft verdient gemacht. Ich bedaure sehr, dass er in eine Lage gebracht wurde, heute und hier nicht teilzunehmen zu können. Und ich teile seine Argumente.
Ich möchte erklären, was ich meine. Abraham Lehrer und auch ich vermissen die überzeugende Solidarität mit Israel. Der Aufruf, den ich erst seit kurzem vollständig kenne, distanziert sich zwar von dem mörderischen Überfall, aber er setzt Angreifer und Opfer auf eine gleiche Stufe. Es ist nicht zu akzeptieren, wenn in ihm von den „beiden Kriegsparteien“ die Rede ist. Es geht nicht an, die Soldaten und Soldatinnen Israels, die ihr Land verteidigen, mit einer terroristischen Verbrecherbande gleichzusetzen. Die Hamas setzt sich in ihrer Charta zum Ziel, den Staat Israel und die Juden in aller Welt zu vernichten. Israel – das sollten wir nicht vergessen – ist eine Demokratie. Die einzige in dieser Region. Ich habe vor einigen Monaten dort tausende von Demonstranten erlebt, die immer wieder für die Verteidigung des Rechtsstaates in Israel auf die Straße gegangen sind. Israel ist auch keine Kolonialmacht. Nach dem Holocaust hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen den Juden einen eigenen Staat als geschützten Raum zugewiesen.
Ja, Israels Regierung hat politische Fehler gemacht – Netanjahu hat dem Land extrem geschadet. Er hat den Friedensprozess, der vor 30 Jahren mit Arafat und Rabin hoffnungsvoll begann, bekämpft. Er hat die ZWEI-Staaten Lösung bekämpft, auf die ich immer noch hoffe. Und das geschah unter anderem mit einer aggressiven Siedlungspolitik in der Westbank. Er hat sich mit extrem rechten Parteien verbündet – vor allem, um einer persönlichen Verurteilung wegen Korruption zu entgehen. Aber nichts rechtfertigt das zielbewusste Niedermetzeln von mehr als 1200 friedlichen israelischen Zivilisten und die andauernde ständige Bedrohung. Und es gibt auch ein „anderes Israel“. Hoffentlich setzt es sich politisch bald durch.
Den Palästinensern wird die demokratische Selbstbestimmung im eigenen Staat verweigert. So kann es nicht weitergehen. Aber es ist falsch, wenn der Aufruf vom „Krieg zweier Nationen“ spricht. Wer ist damit eigentlich gemeint? Die Palästinenser haben Konflikte mit Israel – aber sie führen keinen Krieg. Eine solche Gleichsetzung mit einer Terrororganisation haben sie nicht verdient.
Und noch etwas ist klarzustellen: Die Hamas ist der Angreifer und der Staat Israel nimmt das in der UN-Charta verbriefte Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch – so wie die Ukraine. Davon ist im Aufruf nicht die Rede. Selbstverteidigung muss sich an humanitären Regeln orientieren. Selbstverteidigung in diesem Falle ist schwierig. Die Hamas hat zielbewusst zivile und militärische Einrichtungen miteinander verbunden. Die Bevölkerung Gazas wird von der Hamas als Schutzschild missbraucht. Die Opfer sind einkalkuliert. Es ist das legitime Recht Israels darauf hinzuwirken, dass das Land nicht weiter bedroht wird. Aber humanitäre Hilfeleistung für die geplagten Bevölkerung und Schonung so weit wie möglich – das gebietet das humanitäre Völkerrecht. Israel hat in den vergangenen Wochen dieser Regel nicht immer die notwendige Beachtung geschenkt, wohl gemerkt: in einer schwierigen militärischen Situation.
Auch die kampfstarke Terrororganisation Hisbollah muss weiter abgehalten werden, vom Libanon aus anzugreifen. Die Voraussetzung für jede Friedenslösung ist das Ende aller Bedrohungen- also mehr als ein Waffenstillstand. Der Nährboden von Hass muss ausgetrocknet werden.
Es ist ein Konflikt, der den ganzen Nahen Osten erfasst, vor allem von dem verbrecherischen Mullah-System im Iran genährt. Dahinter stehen weltweite Auseinandersetzungen. Die Weltordnung ist aus den Fugen geraten. Autoritäre Staaten – an der Spitze Putin-Russland und China bedrängen weltweit die offenen, freien Gesellschaften. Die Zeitenwende ist viel einschneidender als wir zunächst angenommen haben.
Wir können an dieser Stelle auch nicht schweigend die Gefahren übergehen, die unser eigenes Land betreffen. Unsere Demokratie ist Angriffen ausgesetzt – und zwar so massiv, wie ich es in meinem langen Leben nicht erlebt habe. Die größte Gefahr ist der Rechtsextremismus. Er zeigt sich im Anwachsen einer Partei, die inzwischen in den Umfragen bundesweit stärker ist als jeweils die SPD und die Grünen. Und ich lasse mich auch nicht beruhigen, dass dies nur ein Ausdruck des Protestes gegen die Ampel sei. Die AfD beginnt, unsere Gesellschaft zu durchwuchern. Darüber hinaus gibt es Systemverächter und eine „Radikalisierung der Mitte“. Lassen wir uns nichts vormachen: unsere in Jahrzehnten aufgebaute freiheitliche Gesellschaftsordnung soll zerstört werden – und das Vereinte Europa gleich dazu. Gefährliche anti-demokratische Tendenzen in Europa wachsen. Blicken wir nur auf die Niederlande und auf den unsäglichen Orban. Europa muss gestärkt werden. Europa ist unsere Zukunft – wir haben keine andere! Lassen wir nicht zu, dass diese Kräfte die Demokratie benutzen, um sie zu zerstören. Die Bindungskraft unserer Verfassung lässt aber auch dadurch nach, dass viele sie für ein Geschenk ansehen, das einfach bleibt. Nein, wenn wir die Demokratie nicht verteidigen, dann verliert sie an Kraft.
Jährlich gedenken wir hier in unserer Stadt der Edelweißpiraten, die gegen die Nazibarbarei Widerstand geleistet haben. Diese jungen Männer haben das mit ihrem Leben bezahlt. Wir leben nicht in einer Diktatur, sondern in einer im Großen und Ganzen geglückten Demokratie. Aber die Edelweißpiraten sind dennoch Vorbilder für uns. Sie mahnen uns, dass für die Freiheit immer wieder gekämpft werden muss.
In einer Woche begehen wir das 75 jährige Bestehen eines einzigartigen Dokuments der Völkergemeinschaft: der “Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“. In einem Moment der Besinnung haben sich alle Völker, alle Kulturen, alle Religionen nach dem Schock der Barbarei auf eine Freiheits- und Friedensordnung verpflichtet. Zum ersten mal ging es nicht mehr nur um Frieden, sondern um die Verknüpfung von Frieden mit dem Schutz der Menschenwürde. Eine Revolution im Völkerrecht – ein Maßstab, auch wenn er vielfach verletzt wurde. Eine Richtschnur auch für unser Handeln.
Es gibt viel Unsicherheit hierzulande und Ängste. Der hinterhältigste Dämon einer freien Gesellschaft, das ist die Angst. Lassen wir uns von Mut leiten. Dann sind wir stark genug für die Bewältigung der Krisen. Wir müssen die Zukunft neu denken, schon um der Klimakatastrophe zu entgehen.
Dieser Mann in Thüringen, Höcke, verkündet auf den Marktplätzen: „Wir wollen unser Deutschland Stück um Stück zurückerobern“. Nein, das wollen wir nicht. Welche Anmaßung! Dieses zurückeroberte freiheitsfeindliche Deutschland der Naziideologie- das wollen wir nicht. Wir werden unsere freiheitliche Ordnung nicht abbauen, sondern weiter festigen. Und dazu gehört der Kampf gegen den Antisemitismus. Jeder kann und muss dazu beitragen – dazu rufe ich heute auf!
Verteidigen wir unsere Demokratie mit Zähnen und Klauen!
Schreibe einen Kommentar