Appell einer Pflegerin: Hört mir zu, statt mich für meinen harten Job zu bedauern! Unsere Autorin arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus und ist der Meinung: Es braucht mehr als ein gutes Image.

Ich stehe vor einem Zimmer, in einem Gang, der mir gerade jetzt viel zu schmal erscheint. Die Reinigung versucht sich an uns vorbeizuschieben. Der Wagen hat keinen Platz. Sie muss darum bitten, dass man ihr welchen macht. Man ist vermutlich zu beschäftigt, dies von selbst zu tun.
Ich sehe mich fünf verschiedenen Ärzten gegenüberstehen. Einer davon ist sicher Chefarzt. Sie starren in den Computer. Alle fünf. Es ist Visite. Das Gespräch ist bereits in Gang. Einen Standard dafür würde es geben. Ich versuche dem Inhalt zu folgen und mutmaße schließlich, um welchen Patienten es geht. Sie hatten ohne mich begonnen. Ich hätte mich teilen müssen, hätte ich zwei Visiten gleichzeitig „lauschen“ wollen.

Falsch. Ich will viel mehr als das. Ich will, dass man mir gleichermaßen „lauscht“. Schließlich habe ich den ganzen Morgen beim Patienten gestanden. Doch heute wird wieder einmal Lotto gespielt. Und ich habe Pech. Das Gespräch ist für den Arztdienst beendet. Auf Glück setzen. Besser nicht.

Kritik an Pflegekräften

Der Chefarzt haut eilig die Knöchel gegen die Tür. Und fast so eilig verlässt er keine drei Minuten später wieder das Zimmer. Samt Gefolge. Der Patient? Ich möchte nicht an seiner Stelle sein. Vermutlich hat er Fragezeichen in den Augen. Aber das hat nichts mit mir zu tun. Das ist Sache des Arztes. Es ist seine Visite. Schon wieder falsch. Warum? Mit so einer Aussage gebe ich mir selbst keine Bedeutung. Denn dann kann die Visite tatsächlich auch ohne die Pflege stattfinden.

Ich habe einmal gehört, dass der Arztdienst uns Pflegenden den Vorwurf macht, wir würden uns schlecht präsentieren. Aber ist das eigentlich auch wahr? Die Reinigung verschafft sich Gehör. Die Pflege nicht? Was würde passieren, wenn ich mich vor den Chefarzt stelle, der im Begriff ist, seine Knöchel gegen die Tür zu schlagen, und sage: „Ich werde gar nicht gefragt?“

Formal betrachtet ist meine Stelle im Visitenablauf schriftlich gesichert. Ich darf und soll und muss zu Wort kommen. Nirgends hingegen steht es, dass ich mich vor die Zimmertür werfen muss. Statt das Wort weitergereicht zu bekommen, muss ich es an mich reißen und riskieren, dass dies noch als rüde aufgefasst wird. Also ist es wahr, dass sich die Pflege schlecht präsentiert, wenn ich mich nicht vor die Tür schmeißen will? Mitleid.

Ich bekomme regelmäßig zu hören, was für einen harten Job ich habe. Nicht einer von diesen mir wohlgesonnenen Menschen wird damit meinen, dass man mir kein Gehör schenkt. Sondern: ach wie schlecht bezahlt ich bin, wie ich mich körperlich zu Tode schufte und keine Unterstützung habe, weil ich ja eigentlich einen Job habe, den eigentlich keiner machen will. Tja. Ich bin irgendwie schon sehr doof, scheint es.

Die Pflege krankt an mangelndem Selbstbewusstsein, an einem schlechten Image und an Menschen, die beides ausnutzen. Trotzdem. Mitleid braucht es nicht. Stattdessen eine selbstkritische Betrachtung. Die Schuld beim Arzt suchen? Auf den Boden knien und bitten, dass die Stellung der Pflege in Gesellschaft und Spital eine andere ist? Das ist nicht die Aufgabe des Arztes. Das ist meine Aufgabe.

Wie Arbeit am Fließband

Und deshalb braucht es mehr als resignieren, mehr als Zurückhaltung und deplatzierten Stolz. Mehr Mut, mehr Kampfgeist. Unterhalten wir uns über Personalmangel. Die Frage, die mich interessiert: Ist rar gleich wertvoll? Ja, es wird gesucht. Aber was wird eigentlich gebraucht? Nur weil man alles nimmt, heißt das nicht, dass alles taugt. Kopf und Beine. Möglichst flink. Wenige Fragen. Immer Antworten. Akkordarbeit. Das könnte man auch am Fließband verlangen.

Empathie. Ja. Wenn Zeit dafür ist, ja. Wissen. Begrenzt nötig. Danach gefragt wird selten und häufig ist der Erste, der erkennt, dass Unsicherheit besteht, der Patient. Den fragt keiner. Erfahrung. Das ist selbstverständlich. Schließlich kann man nicht länger an einem Ort bleiben, ohne einen Burnout zu riskieren. Es wird eingestellt. Zählt die Leistung dabei? Vielleicht quantitativ, aber nicht qualitativ. Nicht in erster Linie. Es ist praktisch unmöglich, nicht genommen zu werden.

Also wieder zurück zum Image: Ist dem förderlich? Ist das erstrebenswert für die Berufswahl? Eine Frage, die mit Personalzuwachs durchaus zu tun hat. Zu glauben, man wird gesucht, einfach nur, weil man gebraucht wird. Den Job kann offenbar jeder machen. Trägt das zur positiven Entscheidung für den Beruf bei? Wo ist der Anspruch. Der Reiz? Wo ist der Wert? Pflege, definiert von Pflege. Gelebt, verbreitet, schuldig gesprochen, eine der besten Professionen zu sein, die man auf dieser Welt ergreifen kann. Das wäre der Ansatz für Imagewechsel.

Und per dieser Definition wird von einer Profession gesprochen, die modern gelebt wird und auf Qualität gebaut ist. Es braucht aber noch mehr als ein Image. Es braucht eine Revolution. Und dafür benötigt es mehr Pflegefachmänner und -frauen, die sagen: „Ich mache das hier nicht mehr mit, aber ich werde meinen Beruf niemals deswegen aufgeben“. Es braucht Personen, die die Fenster weit öffnen. Um die Moderne hereinzulassen.

Man müsste provozieren und sagen: Ich mache die Dinge so, wie sie richtig sind, nicht so, wie sie schon immer waren. Nicht so, wie sie gewohnt sind. Man muss beginnen, unbequem zu sein. Mit viel Fantasie. Und dann das Bild von zukünftiger Pflege zeichnen.

Spitäler bekommen ihre Räume einfach nicht gelüftet. Pflege als Profession? Das kommt wohl auf den Betrachter an. Und die Welt außerhalb des Spitals betrachtet uns so, wie sie es immer schon tut. So, wie Pflege war. Nicht, wie sie ist. Nicht, wie sie sein könnte. Warum auch? Wo wäre ihr Antrieb, Pflege in Entwicklung zu bringen? Modern mit mehr Autonomie. Das Interesse des Einzelnen dafür beginnt dort, wo das Erleben als Patient beginnt. Aber nach Covid ist vor Covid. Das Interesse der Allgemeinheit besteht nur im Ausnahmefall.

Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

Über Nadine Möhler / Berliner Zeitung:

Dieses ist ein Beitrag aus der Open-Source-Initiative der Berliner Zeitung. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0) und darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.