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Wie Michael Meyen seine Uni verlor

Eine „Politisierung der Forschung“? – In seinem neu erschienenen Buch bilanziert Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen das System der Wissenschaft. Unser Autor hat eine ganz eigene Meinung zu dem Buch.

„Das Land steht still. Innovation findet andernorts statt. Fortschritt auch. Dafür gibt es viele Gründe. Einer davon: die Wissenschaft. Das ist ein Apparat, eine Behörde, eine Anstalt. Unterworfen der Politik, beherrscht von den Unternehmen, Stiftungen, Parteien. Nur eine hat dort nichts zu suchen: die Freiheit der Forschung“ – konstatiert der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen in seinem neuen Buch.

Dabei räumt er mit einen Wissenschaftsbetrieb auf, der sich willig zum nützlichen Idioten eines moralinsauren, von Großkonzernen gekauften Zeitgeist hat machen lassen – und schildert eindrucksvoll seine persönlichen und oftmals schmerzlichen Erfahrungen. „Wissenschaft ist die Religion der Gegenwart. Um etwas durchzusetzen, brauche ich Priester mit Professorentitel, Studien, Akademien, Ethikräte. Ohne die Weihen von Gelehrten keine Absolution“ – bemerkt der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen gleich zu Beginn seines neuen Buches: „Wie ich meine Uni verlor. Dreißig Jahre Bildungskrieg. Bilanz eines Ostdeutschen“.

Das galt allerdings auch schon vor zehn, 20 Jahren auf dem Höhepunkt des Neoliberalismus, doch im Zeitalter des „indoktrinierten Gehirns“ (Michael Nehls), in dem man zu vernagelten Themenkomplexen wie Migration, Corona, dem Ukraine- oder wiederentflammten Nahost-Krieg, zum Gendern oder zum vermeintlich 100 Prozent menschengemachten Klimawandel nur „eine legitime Einstellung“ (Rezo) haben darf, ist das fataler denn je.

Erst recht, wenn man wie Meyen immer wieder auf die eigene DDR-Biografie und besonders die Jahre 1989/90 rekurriert: „Hier spricht ein Ostdeutscher, der gegen jede Wahrscheinlichkeit an der Universität aufsteigen konnte, bis er anfing, die Narrative der Macht öffentlich in Frage zu stellen und seine akademische Reputation für die Ideen und Werte des 89er Herbstes einzusetzen.“

Freiheit und Herrschaftskritik

Was waren das für Werte? Freiheit und Herrschaftskritik waren sicher ganz vorne mit dabei, doch hat sich gerade die Wissenschaft davon in den letzten Jahren immer stärker verabschiedet. Der Wissensdurst hat sich auch gelegt: Heute wird an deutschen Universitäten das wiedergekäut, was im Silicon Valley, in der EZB, Washington oder Brüssel gerade en vogue ist, nach dem Drittmittelmotto: Hier ist mein Geld, bring mir die Ergebnisse, die ich will, Forschender! Womit wir wieder beim Eingangszitat wären – oder anders ausgedrückt: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Für Intellektuelle ist das irgendwann nicht mehr befriedigend, daher haben sie kaum noch Interessen an Universitäten und werden durch blutarme Bürokraten ersetzt. Meistens gibt es davon zwei Sorten: zum einen die Fachidioten, die immerhin auf ihrem Gebiet Spitze sind – sich sonst allerdings für nichts interessieren –, und zum anderen die, die nichts auf dem Kasten haben, aber auf jeder Welle mitreiten und immerhin gelernt haben, wie wichtig es ist, gut vernetzt zu sein. Oder anders ausgedrückt: Nach unten treten, nach oben buckeln – Neofeudalismus der übelsten Sorte.

Meyens oft zitierter Liebling, der US-amerikanische Politikwissenschaftler Sheldon Wolin, würde das „invertierter Totalitarismus“ nennen. Dabei ist die Herrschaftsfassade „demokratisch“ oder „wertegeleitet“, der Kern aber totalitär, doch im Kontrast zum Nationalsozialismus oder dem Stalinismus entpolitisiert man die Massen, schafft mit Unsummen an Steuergeldern neue Spielplätze und Ersatzreligionen, um sich bloß nicht den echten Problemen wie beispielweise dem Scheitern der Modern Money Theory und damit des aktuellen Finanzsystems oder einer nie da gewesenen Welle psychischer Erkrankungen widmen zu müssen beziehungsweise diese unter den Teppich zu kehren. Die westlichen Universitäten des 21. Jahrhunderts sind und waren dabei – vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften – ganz vorne.

Meyens Buch trägt deutlich biografische Züge, seine Verbitterung ist an vielen Stellen spürbar. Doch wer kann es ihm verdenken? Ende 2019 war er „ganz oben“ auf der akademischen Laufbahn. Als Leiter des Forschungsverbunds „Das mediale Erbe der DDR“, als „Speerspitze der Forschung“ durfte er beispielsweise auf dem Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig oder im Maximilianeum, „im Wohnzimmer des bayerischen Landtags München“, prominent besetzte Veranstaltungen moderieren – und dann?! Dann kam Corona und die Anfeindungen gegen den gebürtigen Rügener begannen.

Warum? Er hat bis heute aus seinem Herzen keine Mördergrube zum Umgang und speziell den „Maßnahmen“ dazu (sowie anderen „globalen Agenden“) gemacht. In wenigen Monaten drehte sich der Wind: „Vor dem Virus hatten diese jungen Leute Angst. Allesamt. Eine Frau, promoviert in den USA und auch sonst mit allen Voraussetzungen für eine akademische Karriere, schickte mir einen Beitrag, der mich mehr oder weniger zum Idioten stempelte. Die gleiche Frau, die mir vier Wochen vorher das T-Shirt mit dem Slogan ‚Speerspitze‘ [der Wissenschaft] geschenkt hatte.“

Doch was wirft man Meyen konkret vor? Kontaktschuld. Ausgerechnet bei Wikipedia lernt man dazu: „Der Vorwurf der Kontaktschuld stellt die äußerliche Tatsache eines ‚Kontaktes‘ mit zu Recht oder zu Unrecht politisch verdächtigten Personen als solchen heraus, ohne dass es dabei eine Rolle spielt, von welcher Art die Beziehungen waren oder welchen Inhalt die bei Gelegenheit des ‚Kontaktes‘ geführten Gespräche gehabt haben. Statt den Diffamierten selbst zu zitieren, sein Handeln zu charakterisieren, seine Beweggründe zu nennen, werden Orte, an denen er sich aufgehalten hat, oder Personen, mit denen er gesprochen hat, Publikationsorgane, in denen er geschrieben, Veranstaltungen, auf denen er gesprochen hat, Organisationen, in denen er mitwirkt, politisch verdächtigt und sodann ein Rückschluss auf die politische Einstellung des Angegriffenen selbst gezogen.“

Zahlreiche Anfeindungen

Der Begriff stammt aus der McCarthy-Ära – geprägt von striktem Antikommunismus und Verfolgungswahn. Und Meyen, der sich mit den „falschen“ Leuten ausgetauscht oder getroffen hat, „lernt“: „Wir wollen zwar Demokratie, suchen uns aber aus, wer mitmachen darf. Und wir kennen zwar Plattformen wie KenFM nicht und schauen dort garantiert nichts an, wissen aber, was wir davon zu halten haben“ – eine Erfahrung, mit der er nicht alleine ist.

An seiner Uni wurde es jedoch nach den zahlreichen Anfeindungen sehr einsam: „Beim Sommerfest 2022 stand ich allein mit zwei von meinen Mitarbeitern und bin nach einem Bier gegangen.“ „Qualitätsmedien“ wie Die Zeit, die Süddeutsche Zeitung, der Spiegel, ein „Blatt, das sich einst selbst als ‚Sturmgeschütz der Demokratie‘ feierte und dann den Märchenerzähler Claas Relotius großwerden ließ“, und das an jedem deutschen Großstadtbahnhof penetrant nervende t-online hatten „ganze Arbeit“ verrichtet.

In zwei anschließenden Kapiteln zeigt Meyen auf, wie sich „Lehre und Betreuung“ im fatalen Umfeld des Bologna-Prozesses und des „Pisa-Gymnasiums“ verändert und eine massive „Politisierung der Forschung“ zur Folge haben, die in den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts eine neue „Qualität“ an bundesdeutschen Bildungseinrichtungen erreicht hat: Wer keine „klimaneutrale“ Hochschule anstrebt oder gar auf „Geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen“ verzichtet, sollte gar nicht erst auf das Gymnasium, geschweige denn auf eine deutsche Universität gehen.

Spätrömische Dekadenz, die gerade erbittert zurückschlägt. Doch zurück zu Meyen, der die ganze Bildungsmisere im letzten Drittel seines Buches auf den Punkt bringt: „Wer die Leitmedien beherrscht, kann den Universitäten diktieren, woran sie zu arbeiten haben“. In diesem Kontext und angelehnt an Birk Meinhardt („Wie ich meine Zeitung verlor“) steht daher nicht nur der Titel von Meyens Buch, sondern auch die Erkenntnis beider Ostdeutscher: „dass es egal ist, was [man] in der DDR erlebt und welche Lehren [man] daraus gezogen hat. Es interessiert einfach niemanden. Der Medienmensch West winkt ab, wenn der Medienmensch Ost ihm etwas zu sagen hätte“.

An dieser westdeutschen Überheblichkeit hat sich auch nach bald 35 Jahren Mauerfall nichts geändert und sie ist im Journalismus genauso wie an den Universitäten vorhanden – die Erfahrungen des Rezensenten in über zehn Jahren als Student und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden bestätigen das, nach dem Motto: „Wir Wessis nehmen euch an die Hand und zeigen euch, wie’s geht! Aber wehe, ihr spielt nicht mit!“ Dann spielt mal ohne uns. Doch wer nicht kämpft, hat schon verloren, und so gilt es Meyen beizupflichten: „Wir sollten weder unsere Zeitungen verlorengeben noch unsere Schulen und Universitäten.“ Das dürfte jedoch alles andere als einfach werden.

Sven Brajer ist promovierter Historiker, freier Journalist sowie gelernter Einzelhandelskaufmann. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

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Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    “Der Medienmensch West winkt ab, wenn der Medienmensch Ost ihm etwas zu sagen hätte.”
    Ich habe zwei sehr gute Kölner Freundinnen mit DDR-Sozialisation. Sie haben mir sehr viel zu sagen. Bei meinem 60. Geburtstag haben sie mir ein spektakuläres Ständchen gegeben – auf russisch. Ohne sie wäre ich ärmer. Das ist natürlich für nichts ein Beweis, aber ein lebenspraktischer Einwand. Ich sehe es anders als der Autor und Meyen. Ossis und Wessis haben ein Problem gemeinsam – sie sind sehr, sehr deutsch. Was beiden fehlt, und zwar krass, ist “Ambiguitätstoleranz”.
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/ambiguitaetstoleranz-lernen-mit-mehrdeutigkeit-zu-leben-100.html
    Und speziell zum Medienbereich hier:
    https://extradienst.net/2022/09/12/40-jahre-erstarrung/

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