Beueler-Extradienst

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Beueler Urgestein

Dieter Noth hat die Bühne der Politik und des Lebens verlassen. Als ich 1978 zum studieren und politisieren aus dem Schwabenland nach Bonn gewechselt bin, trat ich auch einen Nebenjob in der damals noch linksliberalen F.D.P. im Bundestag an. Viertel- oder Halbtagsassistent*inn*en waren damals beliebte Möglichkeiten, sich das Studium in Bonn zu finanzieren. Mein Vorgänger war ein gewisser Dieter Noth. Er wechselte damals von Helmut Schäfer zu Ingrid Matthäus-Maier und wurde deren langjähriger Assistent im Bundestagsbüro. Wir verstanden uns gut, waren auch privat in vielen Dingen auf einer Wellenlänge.

Im Gegensatz zu mir, der damals  bei den der F.D.P. nahestehenden Jungdemokraten schon eine gewisse “Karriere” als deren baden-württembergischer Landesvorsitzender gemacht hatte, war Dieter Sozialdemokrat, ein linker dazu – ja, die gab es damals noch. Für ihn war es also keine große kulturelle Überraschung, als seine Chefin Ingrid MM, wie sie schon damals von vielen genannt wurde, im November 1982 wie wir Jungdemokraten in großer Mehrheit auch aus der zu Helmut Kohl “gewendeten” FDP austrat und zur SPD wechselte. Sie trat im Wahlkreis des durch diverse Affären angeschlagenen Abgeodneten Karl Wienand an und rückte über die Landesliste der SPD NRW wieder in den Bundestag ein. Dieter war auch privat ein sehr politischer und kulturell aktiver Mensch.

Friedensbewegt und basisdemokratisch

Von Anfang an engagierte er sich in der Beueler Friedensinitiative, die nicht nur die großen Demonstrationen 1981, 82 und 1983 tatkräftig unterstützte und mit organisierte. Dieter war auch oft in Veranstaltungen der damaligen “Liberalen Zentren” in Bonn und Köln anzutreffen, den von Jungdemokraten und Linksliberalen als Freiräume des Denkens und der Kultur geründeten politischen Clubs, wo jenseits des Gezerres von SPD und FDP in der sozialliberalen Koalition über Zukunftsfragen, wie den Ausstieg aus der Atomenergie oder den Dialog mit der RAF und die Rechte von Minderheiten, Schwulen und Lesben gestritten und natürlich Lieder der liberalen und radikalen Revolution von 1848 gesungen wurden.

Bodenständig und realistisch

Dieter war im besten Sinne links, aber immer bodenständig und realistisch. Ich erinnere einen Schlüsselmoment, wo er das unter Beweis stellte. Wir waren auf Einladung meines Bruders in Hockenheim bei einem Rennen der “Interserie”, und im Rahmenprogramm führte eine Kunstflugstaffel vor, was man mit Kampfjets so alles machen kann. Wir liefen gerade über die Straße hinter der Boxengasse, als einer der Flieger im Sturzflug so heftig von oben herab senkrecht auf uns zusteuerte, dass ich instinktiv drei Schritte beiseite sprang. Was Dieter mit den Worten kommentierte: “Vergiss es. Wenn der wirklich runterkommt, nützt Dir das auch nix mehr!” Ebenso praktisch ging er die Politik vor Ort an, war Mitinitiator des Volkszählungsboykotts 1987 in Beuel und gehörte ganz früh zu denen, die sich ohne ideologische Scheuplappen für eine rot-grüne Zusammenarbeit aussprachen. Daher rührte auch seine Freundschaft mit dem grünen langjährigen Stadtrat Karl Uckermann, den es Ende der 80er von Köln-Pulheim nach Beuel verschlug.

Bewusst nie die große Karriere gesucht

Im Gegensatz zu manchen Freunden hat Dieter nie die “große politische Karriere” gesucht, obwohl Genossen in ähnlicher Stellung dies anstrebten. Vielleicht, weil er beruflich früh die Schattenseiten der Politik miterlebt hat. Manche Anfeindung gegen seine Chefin nach der “Wende” 1982 und als “Quereinsteigerin” in der SPD war da noch das harmloseste. Irgendwann wechselte er zur Kölner Stadtverwaltung ins Büro des damaligen Oberstadtdirektors Lothar Ruschmeier. Ja, der, der es schaffte, als Stadtdirektor den Bau des Deutzer “Technische Rathauses” zu genehmigen, um dann einen Monat später auf den Chefsessel des “Oppenheim-Esch-Fonds” zu wechseln, der den Bau nicht nur finanzierte, sondern dank Ruschmeier, der quasi mit sich selbst verhandelt hatte, jahrzehntelange Mietverträge seines neuen Chefs Josef Antonius Esch mit der Stadt Köln abgeschlossen hatte. Dieter wurde außen vor gelassen, soll aber, so sagt das Gerücht, nach dem Weggang Ruschmeiers unfreiwillig Zeuge mancher abendlichen Schredder-Aktion von Akten geworden sein. Die damalige “Kohabitation” des kölschen Klüngels ad personam Norbert Rüther (SPD) und Rolf Bietmann (CDU) hatte auf ihn genau die Abschreckungswirkung, die organisierte Kriminalität eben bei gesundem Menschenverstand hervorruft – davon konnte er beim Bier so manches zum besten geben.

Mutiger Sozialdemokrat

Mein Herausgeber Martin steuerte folgende Geschichte bei. Früher als anderswo, es mag 2006 oder 2007 gewesen sein, regierte eine “Ampel” Bonn und die damalige SPD-OB Bärbel Dieckmann düpierte sie mit ihrer Beendigung. Die Koalition hatte nämlich vereinbart, dass die Grünen das Vorschlagsrecht für das Verkehrs-, Planungs- und Baudezernat ausüben sollten. Heute übt das Amt der am Donnerstag im zweiten Versuch wiedergewählte Helmut Wiesner aus. Damals verhinderte Dieckmann das und koalierte lieber mit der CDU im Rat weiter. Es gab eine SPD-Konferenz, auf der ihr Alleingang im nachhinein legitimiert werden sollte. Es war Dieter Noth, der als einziger unter den bösen Blicken seiner Genossen den Koalitionsbruch durch Armheben im “falschen” Moment mißbilligte. Das war ähnlich verwerflich, wie das Tun seines Freundes Felix von Grünberg, der sich als frischgebackener Landtagsabgeordneter in der Düsseldorfer SPD-Fraktion einst zu Wort meldete, ohne vorher den Fraktionsvorsitzenden Klaus Matthiesen um Erlaubnis gefragt zu haben. Als Volkswirt in der SPD und sachkundiger Bürger im Wirtschaftsausschuss des Rats brachte Dieter Noth sich inhaltlich ein, aber er strebte nie nach “Pöstchen”.

Freundschaft und Familie

Waren für Dieter immer ein wichtiger Teil des Lebens und dies hat er auch immer von der Politik zu trennen verstanden. Er war seit den 80er Jahren glücklich verheiratet und hat seine Kinder mit groß gezogen. Von seinen politischen Aktivitäten, beispielsweise im Stammtisch der Beueler Initiative gegen Fremdenhass der 90er Jahre, blieb die Familie zumeist fern. Und sein Stolz war ein altes japanisches Cabrio – eines der ersten Exemplare mit “Schlafaugen” – ich glaube ein Toyota MR2. Schade, dass wir trotz mancher Verabredung, das doch bald mal tun zu wollen, es nie zu einer gemeinsamen Tour mit unseren offenen “Schätzchen” kam. Wie im vergangenen Sommer, als ich ihn und seinen besten Freund Wolfgang Zimmer bei Michael Kleffs 70. Geburtstag in Beuel das letzte Mal sah. Eins hatte er sogar mit Helmut Schmidt gemeinsam. Er hat bis nahe an sein Lebensende nie wirklich das Rauchen aufgegeben. Es ist sehr traurig, und er wird seiner Familie und vielen, die ihn kannten, sehr fehlen. Dieter schien nach monatelanger, schwerer Krankheit auf dem Weg der Besserung und starb völlig überraschend vor wenigen Tagen. Mach et jot, Jung!

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

4 Kommentare

  1. Rainer Bohnet

    Ein sehr schöner und berührender Artikel über Dieter Noth, mit dem ich stets gut lachen und streiten konnte. Immer im positiven Sinne.

  2. Rainer Eikel

    Es ist traurig, das Dieter nicht mehr da ist. Wir werden ihn alle vermissen. Danke für den lesenswerten Artikel – ja so war Dieter. Nur fuhr er keinen Toyota sondern einen Mazda MX2 – er hätte darauf Wert gelegt.

    • Roland Appel

      Zweifellos Danke!

  3. Fabian Noth

    Vielen Dank, lieber Roland, für den schönen Nachruf.

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