Als ich 1988 im estnischen Teil der UdSSR war, war bereits klar erkennbar, dass der hierzulande noch hochverehrte und bejubelte Michail Gorbatschow bei seinen Landsleuten längst unten durch war. Der Mehrheit ging es nicht besser als unter Breschnew (sog. “Stagnationsperiode”), sondern schlechter. 1988 jubelten sie bei einer live im TV übertragenen Parteikonferenz der KPdSU einem gewissen Boris Jelzin als Heilsbringer zu. Sie merkten alle zu spät, was für ein Windbeutel der war, und wie er fast das ganze Land betrunken und falsch beraten ruinierte.
Diese Jelzin-Phase wurde von der Mehrheit der Russ*inn*en als Zerfall wahrgenommen – eines Landes, das unter grössten Opfern den Faschismus 1945 besiegt hatte. Das war ein bis heute wirkendes Trauma, das Wladimir Putin den Weg bereitet hat. An diesem Trauma haben Plünderer und Berater*innen des real existierenden internationalen Kapitalismus nach Kräften mitgewirkt. Sie haben nicht nur sich selbst, sondern auch jede “liberale” Opposition in Russland, die sich nicht rechtzeitig von ihnen distanzierte, auf sehr, sehr lange Zeit desavouiert. Für diesen Effekt bedurfte es keiner putinschen Repressionen. Das haben “unsere” Herrschenden selbst geschafft.
Putin profitierte und profitiert. Wieder merkt die Mehrheit der Russ*inn*en zu spät, was sie sich mit ihm eingehandelt hat. Und ist darum, über Jahrhunderte darin erfahren, lieber vorsichtig, zurückhaltend, und lässt “die da oben” sowieso “machen, was sie wollen”. Das ist “uns” nach meiner persönlichen Wahrnehmung nicht fremd, sondern auch dominierender Teil hiesiger demokratischer Kultur.
Das sind die Umstände, unter denen in diesem Jahr auch in Russland gewählt wird, und die Roland Bathon/telepolis hier näher – und vor allem durch und durch realistisch – erläutert: “Russland: Kann die Antikriegsbewegung Putin bei den Wahlen herausfordern? – Putins einzig echter Gegenkandidat ist Nadeschdin. Er ist gegen den Ukraine-Krieg und verfolgt die Strategie von Alexej Nawalny. Was ist davon zu halten?”
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