Ostern steht vor der Tür und damit eine der genialsten Designformen des Universums: das Ei. Schlicht, strömungsgünstig, niedrigster cw (Luftwiderstands-) Wert, aber auch erstaunlich widerstandsfähig auf Druck von außen: tiefsee- und weltraumtauglich! Was für ein Gegensatz das, was seit einigen Jahren die meisten Autokonzerne unter die Menschheit werfen. Vieleckige Panzer, zerquackeltes Design mit Ecken und Kanten, wo keine hingehören. Heckfenster wie Schießscharten, Radläufe wie von Bussen und Treckern, Gesichter wie Hackfressen. Wissen Sie, wer Giorgio Giugiaro, Giovanni Bertone, Luigi Colani, Bruno Sacco, oder Pininfarina waren?
Es waren Ästheten, Designer von Weltruf. Der VW Golf I – der Millionenschlager aus Wolfsburg – wurde von Giugiaro entworfen. Er vereinte Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Gebrauchsfähigkeit mit klaren Linien und gefälligem Äußeren – wandelbar von der Familienkutsche über den Renn-GTI bis zum Cabrio mit dem schönen Spitznamen “Erdbeerkörbchen” – wegen der B-Säule in Form eines Überrollbügels. Die Designstudios von Carrozzeria Bertone – gegründet 1912 – Fiat, Lamborghini, Citroën, Volvo, Lancia, Opel, BMW. Der NSU Sport Prinz, Lamborghini Miura, Fiat X1/9, Citroen XM entstammten den Zeichentischen in Turin. Bruno Sacco war viele Jahre Chefdesigner von Mercedes-Benz. Er lernte bei der Legende Béla Bárèny Schöpfer der “Pagode”, zeichnete den legendären Versuchwagen C 111, den “Baby-Benz”W 201 . Seine Philosophie war, Unverwechselbarkeit bei gleichzeitiger “Familienzugehörigkeit” der Mercedes- Baureihen vom kleinsten Modell über die S-Klasse bis zu Kombis und Sportwagen sichtbar zu machen. Schließlich Pininfarina, Geburtsstätte von Karosserien für Alfa Romeo, Fiat, Jaguar, Lancia, Maserati und natürlich – Ferrari, das Nonplusultra, die “bella macchina”
Kreativität, Phantasie und Weltsicht der Designer
Herausragend vielseitig in ihrer Kunst waren insbesondere F.A.Porsche, Schöpfer der Linie des Porsche 911, Gründer der Porsche Design Studios und Ideengeber für so schlichte, elegante wie zweckmäßige und zeitlose Entwürfe für Alltagsgegenstände vom Korkenzieher bis zur Luxusuhr. Und natürlich Luigi Colani, dessen Kreativität schon bei der Schöpfung seines Künstlernamens “Luigi” statt Lutz begann. Der gebürtige Berliner war ab den 60er und 70er Jahren der Verfechter eines “Biodesign”, wie er es nannte. Er wollte Design als “Nahtstelle zwischen Mensch und Maschine humanisieren”. In Deutschland vielfach nicht verstanden, eröffnete er in Japan und China Designstudios und arbeitete erfolgreich für Canon, Sony und Mazda. In den 90er Jahren wurde es Professor für Design an mehreren chinesischen Hochschulen. Stromlinienformen, exotische, weiche, Menschen ansprechende und angepasste Materialien und eine ebensolche Formensprache, praktizierten, die bei aller Phantasie so etwas wie Menschenfreundlichkeit und Optimismus ausstrahlte.
Unterschwellige Gesten und Körpersprache
Manche Stylingsphilosophien orientierten sich spätestens seit den 90er Jahren an eine Art “Formen- oder Körpersprache”. Viele Hersteller bemühten sich, die Front, manche auch das Heck, einer Kraftfahrzeugsilhouette dem “Smiley” nahe zu bringen. Die Mercedes W 203 oder die Front des Opel Adam sind deutliche Beispiele dafür. Scheinwerfer wie freundlich blickende Augen, darunter oder dazwischen Lüftungseinlässe wie ein breiter lächelnder Mund mit hochgezogenen Mundwinkeln – beim Blick in den Rückspiegel lächelte Dich jemand an. Auch die BMW-“Niere” wurde kleiner und breiter, der Audi schaute so rundgelutscht wie neutral bis freundlich. Der allgemeine Bruch begann etwa Mitte der Nuller-Jahre. Seitdem wächst die BMW-Front vor allem in der Senkrechten, Audi hat dem Kühler, inspiriert von den alten “Auto Union”- Silhouetten der 30er (!) Rennwagen, eine massive Front eingeführt, die – im Rückspiegel – deutlich aggressiv und drohend auftaucht. Audi-Fahrer leben nach Umfragen des Verkehrssicherheitsrats die von den Designern vergebenen Symbole und fahren unter allen Marken auf der Autobahn deutlich dicht auf. Auch der 2003 noch zierliche traditionelle Daimler-Kühler wird seitdem protziger und chromwuchtig, die Sportmodelle tragen böse, heruntergezogene Mundwinkel. Das war jedoch nur ein Vorspiel.
E-Mobilität, SUV-Protz und pure Aggression
Mit dem Umbruch zur E-Mobilität scheinen die Designer und ihre Chefs in den Konzernetagen völlig orientierungslos geworden zu sein, was Stil, Design und Ausstrahlung ihrer Produkte angeht. Außer einem gemeinsamen Nenner: Gewalt, Gewicht, Wucht und Häßlichkeit scheinen die überwiegenden Zeichen zu sein, die von der neuen Formensprache etwa seit 2020 ausgehen. BMW begann mit dem X6 ein Ungetüm auf die Straße zu schicken, das als Panzer und Coupé gleichzeitig daherkommt, Daimler konterte mit dem GLE fast genau so häßlich. Es folgte der iX von BMW, der wohl so viele Sicken, Hohlräume und Luftschlitze hat, damit die Besitzer bei der Fahrt nach Liechtenstein das Schwarzgeld erfolgreich verstecken können. Immer höhere, senkrecht liniendominierte, drohende Frontpartien, verschachtelte, eckige Karosserien, die bereit sind, jeden Luftwiderstand mit vierstelligen PS-Zahlen der Elektromotoren niederzuringen, Lüftungsschächte, Hutzen und Sicken ohne jede Funktion, Gefährlichkeit signalisierend, Drohung, jedes kleinere Fahrzeug mit ihren drei und mehr Tonnen zu überrollen und farbliche Eintönigkeit in allen Grautönen. Matt- und Schwarzschattierungen dominieren die Parkplätze, Schulwege und Anwohnerparkzonen. Die meisten dieser Alltagsschlachtschiffe beanspruchen 1,2 bis 1, 5 Parkplatzbreiten, Kommunen prüfen zurecht erhöhte Parkgebühren.
Die Verkehrswende frißt sich selbst
Ist das die Antwort der Autoindustrie auf verkehrsberuhigte Zonen, Tempo 30, Fahrradstraßen, Verringerung der Fahrstreifen und mehr ÖPNV? Oder ist das eine Kriegserklärung? Oder ist es die Design gewordene Brutalisierung, Konfrontation und Spaltung der Gesellschaft, wie sie gleichzeitig auf (a)sozialen Netzwerken explodiert? Jedenfalls ist die Autoproduktion in gewisser Weise ein Spiegel der gesellschaftlichen Prozesse. Aggressionen und Häßlichkeit bis zum Abwinken und Protzmobile für Superreiche, mit denen sich die meist männliche Kundschaft für überlegen halten kann, wie den 1.800 PS-Koenigsegg Regara. Die Autoindustrie, bemängelt der Verkehrsexperte Dr. Axel Friedrich, hat nichts gelernt. Wer 1100 PS- Monster mit fast vier Tonnen Gewicht meint, in 2,7 Sekunden von 0-100 beschleunigen und abbremsen zu müssen, emittiert trotz E-Antrieb mehr Feinstaub durch Bremsen- und Reifenabrieb, als ein 90er Jahre Oberklasse-Diesel oder 70er Jahre Benziner ohne KAT. So ist die aktuelle Lage. Die E-Modelle von VW, sind Ladenhüter, weil sie viel zu groß und teuer sind. Statt des häßlichen ID 3 sollten sie mal darüber nachdenken, einen Audi A2 mit Elektroantrieb zu bauen. Und Mercedes und BMW werden in ihrem Wahn, nur noch große Autos zu bauen und auf 1er Baureihe und A-Klasse zu verzichten, ganze junge Generationen von Kund*innen verlieren. Bei den Sauriern bedurfte es eines Meteoriten, um auszusterben. Die Autoindistrie schafft das auch so.
Zum Besichtigen alter Auto-Designs empfehle ich aktuell “UFOs” (Frankreich, 70er)
https://www.ardmediathek.de/serie/ufos/staffel-1/Y3JpZDovL3dkci5kZS9vbmUvdWZvcw/1
oder noch älter mit besonders liebevoller Ausstattung “Foley’s War” (England im 2. Weltkrieg)
https://www.ardmediathek.de/serie/inspector-foyle/staffel-1/Y3JpZDovL3dkci5kZS9vbmUvaW5zcGVjdG9yZm95bGU/1
Hübsche Auto-Design-Geschichte: Die ultimative Werbung hat Paul Wolman mit Charles Wilp im Jahr 1962 hingelegt: der Käfer als Ei (https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/50-Jahre-Volkswagen-Werbung-es-gibt-Formen-die-man-nicht-verbessern-kann-Stern-spezial/id/A02BA2vD01ZZs ). Ansonsten hat das Ganze ein melancholisches Ende (auch für mich nach einer Ausstellung und drei Büchern zu Pininfarina und Ferrari): Wir haben um 2014 in Saarbrücken aufgegeben, Automobil-Design zu lehren – die Studios der einschlägigen Automobil-Unternehmen sind komplett beratungsresistent. So sehen die Autos nun auch aus….
Es gibt SUV-Coupés, die wie Pitbulls aussehen. Gedrungene, wie zum Sprung ansetzende Kampfhunde. Einfach widerlich. Es mag einfacher und bequemer sein, in dieser erhöhten Sitzposition ein-und auszusteigen als bei Wagentypen die normale Maße haben, für ältere Herrschaften sicherlich, aber dafür gibt es doch sicher eine andere technische Lösung oder?
Perfekt beobachtet und beschrieben, lieber Roland. Das aktuelle Autodesign spiegelt unsere zunehmend aggressive und zerrissene Gesellschaft erschreckend gut wider.