… ist keine, und wird es absehbar auch nicht: Indien
Olaf Scholz ist definitiv mehr Realo, als seine wolkenschiebende Aussenministerin. Für diese These kenne ich ihn gut genug. Dass das diese Woche in China mitreisenden oder ansässigen deutschen Medienberichterstatter*inn*en nicht oder nur begrenzt gefällt, spricht mehr für als gegen ihn. Es spricht dafür, dass er von dieser Problematik weiss: Hans Kundnani/IPG-Journal: “Der Berliner Blob – Einseitigkeit und Gruppendenken kennzeichnen oft die außenpolitische Sicherheitsblase. In Deutschland ist dies besonders stark ausgeprägt.”
Berlin ist eine Insel in Randlage, nur 70 km vor der Ostgrenze. Drumherum ist ein grosses Nichts. Die Mehrheit der Republik wohnt hier im Westen an Ruhr und Rhein, wo folgerichtig einst die BRD-Hauptstadt platziert war. Mehr als ein Drittel der MdBs konnte abends zur Erdung nachhause fahren – heute sind das weniger als 10%. Sie schaffen es nur am Wochenende. Was daraus wird, das wusste schon “Der schöne Leo”.
Die heimatlosen berlinmittigen Politiker*innen sind auf einer einsamen fernen Burg eingesperrt. Den Wassergraben markiert die Beratungsindustrie – der o.g. Blob. So ist die Politik dann auch geworden. Die FG Wahlen/ZDF hat ermittelt (Forsa kommt zur Bundestagswahl zu ähnlichen Zahlen), dass bei der EU-Wahl 20% “Sonstige” (Inkl. Linke und BSW) wählen wollen. Zusammen mit den Nichtwähler*inne*n hat die Hauptstadtpolitik also die Mehrheit der Bevölkerung längst verloren. Die Demokratiekrise ist da.
Geht es also schlicht um die Konservierung bestehender Herrschaft? Einerseits Ja. Andererseits ist aber auch dafür ein Minimum an strategischer Intelligenz erforderlich. Aber wo mag sie sein? In Berlin und Brüssel kaum. Das analysiert beklemmend schlüssig Tim Krüger/Junge Welt: “Auf der Antiseidenstraße – Mit dem »India Middle East Europe Economic Corridor« setzen EU und USA auf neue Handelsrouten im Nahen Osten. Der Umsetzung stehen aber zahlreiche Schwierigkeiten im Weg”. Lesen Sie das schnell, denn in wenigen Tagen wird der Text im Paywallarchivkeller der Jungen Welt verschwinden. Was angeblich linksradikale Medienstrategie ist, ist in Wahrheit auch nur banaler Medienkapitalismus.
Ergänzend zu Krüger können Sie sich aktuell noch Florian Rötzers/overton auf Seymour Hersh gestützte Spekulation zur Eskalation im Nahen Osten zuführen: “Iranischer Angriff: vom Pentagon inszeniertes Theater zur Kriegsvermeidung? – Der ‘Vergeltungsschlag’ war abgesprochen, um die Folgen zu minimieren, das war klar. Seymour Hersh berichtet, nicht die Regierung, sondern das Pentagon habe die militärische Inszenierung geleitet.” Das wäre dann Blob in seiner reinsten, aber immerhin abgedreht-intelligenten Form. Im Englischen heissen die Geheimdienste ja auch “Intelligence” – in Deutsch komplett unpraktikabel.
Nun zur “Alternative” Indien
Krüger unterstellt in seinem konzisen Text, dass USA, EU und BRD auf Indien setzen, um der ökonomischen Abhängigkeit von China zu entgehen. Was dagegen spricht, sind: die Fakten.
Ramachandra Guha/Blätter: “Modis neues Indien: Von der weltgrößten Demokratie zum Hindu-Reich”. Narendra Modi praktiziert auf bedauerlich erfolgreiche Weise den Faschismus, von dem Donald Trump noch träumt.
Wenn Sie das nicht glauben wollen, nehmen Sie sich Zeit für dieses DLF-Feature von Alfred Meyer: “Ist Indiens Demokratie am Ende? Jagen, einschüchtern, einsperren – Wo steht die indische Demokratie zehn Jahre nach dem Machtantritt des umstrittenen Premierministers Narendra Modi? Und warum hört man von westlichen Staaten kaum Kritik an den massiven Menschenrechtsverletzungen im Land?” (Audio 53 min)
Bleibt nur noch einzuwenden: schlimmer als Mohammed Bin Salman ist das auch nicht. Nur grösser.
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Danke für den Hinweis auf die jüngsten Eskapaden der “wolkenschiebenden Außenministerin” und das mediale Umfeld, in dem sie sich bewegt.
Es gibt sicherlich jeden Tag eine Vielzahl von Ereignissen, über die man/frau sich mächtig aufregen könnte bzw. die eine entschiedene Stellungnahme erfordern. Wie kommt es aber nur, dass die Auftritte der amtierenden deutschen Außenministerin mich regelmäßig auf 180 bringen? Wenn dann auch noch der Berliner Journalismus die törichten Ergüsse der Annalena Baerbock zu Diplomatie umlügt, dann ist der Tag für mich gelaufen.
Warum aber sollte Politik auch dazu da sein, dass ich entspannt und gut gelaunt den neuen Tag begrüße?
Ich rate dafür zu ausgewählter persönlicher Gesellschaft, verbunden mit gutem Essen und Trinken – und von allem nicht zu wenig.
Mann, Martin, man kann sich nicht den ganzen Tag besaufen, das macht meine Leber jedenfalls nicht mit. Satt bin ich auch irgendwann und kann mir nicht leisten alle meine Hosen wegzuwerfen.
Tja und das mit den Freunden und guter Unterhaltung….mein pers. olivversifftes Millieu ..omg
Von besaufen war und ist bei mir nicht die Rede. Es kommt auf die Qualität an, nicht die Quantität. Das gilt übrigens auch für das politische Denken und Handeln.