Sein TIME-Interview

US-Präsident Biden gab TIME ein längeres Interview. Es ging vor allem um die außenpolitische Bilanz seiner ersten Amtszeit. Selbstverständlich war es auch Teil seines Wahlkampfes, das höchste Amt nochmals auszuüben. Das Interview gibt einen recht guten Einblick in einige Grundüberzeugungen des Präsidenten. Es verrät allerdings auch, dass er häufiger den Faden verliert, oder einen Gedanken abbricht. Es gibt ebenfalls Aussagen, die Rätsel aufgeben, vorsichtig ausgedrückt. Befragt, ob mit 85 seinen Job machen könnte, zeigte sich Biden ganz selbstbewusst: Besser, als jeder, den die Reporter kennen. Die schauten offenbar etwas erstaunt, denn Biden fügte hinzu: „You’re looking at me, I can take you too.“

Aus der Art der Befragung ist zu schließen, dass TIME den Präsidenten nicht in die Bredouille bringen wollte durch gezielte Nachfragen. Wenn Biden erklärte, nicht antworten zu wollen, wurde das auch respektiert. Aber TIME legte einen Faktencheck vor. An dem war wiederum interessant, was die TIME für nachprüfungswürdig hielt, bzw. unbesehen durchgehen ließ. Vor allem innenpolitische Sachverhalte wurden nachgeprüft.

Auf die Frage, ob die USA noch in der Lage wären, die Rolle einer Weltmacht zu spielen, wie das im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg der Fall gewesen sei, antwortetet Biden: „Wir planen noch mehr. Wir sind die Weltmacht.“ (kursiv im Interview) Später unterstrich er, dass die USA die stärkste Nation der Welt seien und die stärkste Allianz in der Welt haben. Amerikanische Sicherheit bedeute, die Welt anzuführen.

Er habe beispielsweise die Freigabe der Informationen über die russischen Angriffspläne auf die Ukraine autorisiert, „um die Welt wissen zu lassen, dass wir immer noch das Sagen haben. Wir wissen immer noch, was vor sich geht.”

In einem Teil des Interviews ging es um den indopazifischen Raum und China. Wir sind stärker im pazifischen Raum als jemals zuvor, erläuterte Biden. Das „besorge China“. Der chinesische Präsident habe ihn gefragt, warum die USA all das tun, was sie tun. Biden erklärte den Reportern, was er Xi antwortete: „Ich habe den einfachen Grund genannt, warum ich diese Dinge tue: um sicherzustellen, dass Sie nicht in der Lage sind, den Status quo zu ändern.“ Das spricht für sich selbst.

Zuvor hatte Biden all die militärischen Allianzen aufgezählt, die er im pazifischen Raum neu zusammengeschmiedet hätte, und die Erhöhung der Rüstungsausgaben Japans gelobt.

Dazu gab es zwei Faktenchecks (Biden war etwas ungenau). Biden, der von Admiral Kirby begleitet wurde, kam mit der Rede des russischen Präsidenten Putin vom 22.Februar 2022 in der Tasche zu TIME und zitierte aus ihr. Diese Rede unterstreiche, dass sich Putin nicht um die Bewaffnung der Ukraine sorgte, sondern die russische Invasion in die Ukraine Teil der Wiederherstellung der Sowjetunion sei. Wörtlich sagte Biden über Putins Kriegsgründe:

“Das ist, dass Russland nicht nur nach Moskau, ich meine, dass Russland in die Ukraine geht, um sie davon abzuhalten, Waffen zu besitzen usw… Er (gemeint ist Putin) glaubt, dass dies ein wesentlicher Teil Russlands ist, von Anfang an. Das hat er ganz offen gesagt. Er (gemeint ist wieder Putin) sagte: ,Ich möchte noch einmal betonen, dass die Ukraine kein Nachbarland von uns ist. Sie ist ein unveräußerlicher Teil unserer eigenen Geschichte, unserer Kultur und unseres geistigen Raums… Seit jeher bezeichnen sich die Menschen, die im Südwesten dessen leben, was historisch gesehen Russland, russisches Land war, als Russen und orthodoxe Christen.’ Und er fährt fort. Er hält eine ganze Rede darüber, warum dies ein Teil der Wiederherstellung der Sowjetunion ist.“

Dazu gab es keinen Faktencheck der TIME. Fakt ist: Es gibt keine einzige Aussage von Putin, weder in der erwähnten Rede noch zu irgendeinem Zeitpunkt, die Sowjetunion wiederherstellen zu wollen. Das ausgewählte Zitat zeigt zudem sehr deutlich, dass die Ukraine aus der Sicht Putins kein bloßes Nachbarland ist. Er betrachtet die Ukraine als nicht veräußerlichen Teil der „russischen Welt“. Wie ukrainische Mitglieder der Verhandlungsdelegation öffentlich darlegten, ging es bei den Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland im Frühling 2022 nicht um die Annexion, Unterwerfung oder Vernichtung der Ukraine. Russland wollte die Neutralität und Demilitarisierung der Ukraine im Gegenzug zum militärischen Rückzug aus dem Donbass. Sogar über die Krim sollte gesprochen werden. Der westlichen Öffentlichkeit ist das weitgehend unbekannt. Deshalb kommen alle, die dieses Lügenmärchen erzählen, problemlos durch.

Natoisierung Finnlands – Natoisierung der Ukraine

Präsident Biden eröffnete, Putin hätte ihm während des Treffens in Genf gesagt, er wolle die „Finnlandisierung“ der Nato. Er hätte geantwortet, eher bekomme dieser die „Natoisierung“ Finnlands.

Auf den Pressekonferenzen nach dem Gipfel von Genf 2021 wurde ein solches Ansinnen nicht öffentlich. Also wissen nur Putin und Biden bzw. ihre Delegationen, was tatsächlich besprochen wurde. Was öffentlich ist, sind die russischen Verhandlungsforderungen an die USA und die Nato vom Dezember 2021, und darin geht es um die militärstrategische Positionierung der Nato vor den russischen Grenzen (Rückzug) und um die Forderung, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen. Gefordert wurde keine „Finnlandisierung“ der Nato, sondern eine Veränderung der Sicherheitsarchitektur in Europa, die russischen Sicherheitsinteressen und dem russischen Verständnis von „unteilbarer Sicherheit“ (Sicherheit des Einen nicht zu Lasten des Anderen) entspricht. Die Nato hat Verhandlungen um die Substanz der russischen Vorschläge strikt abgelehnt (12. Januar 2022).

Im Gefolge der russischen Aggression sind Finnland und Schweden Mitglied der Nato geworden. Inzwischen wurde die militärische Kommandostruktur in Russland neu organisiert. Der Ostseeraum ist zu einem Gebiet größerer Spannungen und Ängste geworden.

Auch die „Natoisierung“ der Ukraine spielte eine Rolle. Die Frage lautete, wie das Endspiel in der Ukraine beschrieben werden könne, was Frieden sei. Hierzu erklärte Biden das folgende (wörtliche Übersetzung):

„Frieden bedeutet, dafür zu sorgen, dass Russland die Ukraine nie, nie, nie, nie besetzt. Das ist es, wie Frieden aussieht. Und das bedeutet nicht NATO, sie sind Teil der NATO. Es bedeutet, dass wir mit ihnen eine Beziehung haben, wie wir sie mit anderen Ländern haben, wo wir Waffen liefern, damit sie sich in Zukunft selbst verteidigen können. Aber es ist nicht so, dass ich derjenige war – und Sie haben in der TIME darüber berichtet -, der sagte, dass ich nicht bereit bin, die NATOisierung der Ukraine zu unterstützen.“

Dass weltpolitische Fragen so beantwortet werden, und niemand nachfragt, um das Kauderwelsch zu verstehen, spricht Bände. Biden äußerte sich ebenfalls zu den militärischen Verlusten Russlands in der Ukraine und beklagte, dass die Medien darüber nicht ordentlich berichten würden. Er sagte:

„Und übrigens, ich weiß nicht, warum Sie all das, was in der Zwischenzeit passiert ist, übergehen. Das russische Militär ist dezimiert worden. Darüber schreibt ihr nicht. Es ist verdammt dezimiert worden.“

Dazu gab es einen Faktencheck, der sich auf eine Reuters-Berichterstattung vom Dezember 2023 bezog. Reuters stützte sich damals auf vertrauliche geheimdienstliche Informationen. Die russische Armee hätte beinahe 90% ihrer Kämpfer verloren. Der US-Präsident habe sich korrekt geäußert. Ein missverständlicher Satz wurde gestrichen. Fakt ist, und darauf legte der US-Oberbefehlshaber in Europa, General Cavioli, mehrfach öffentlich Wert, dass der Eindruck falsch ist, dass “das russische Militär“ dezimiert sei. Tatsächlich steigt die Zahl des aktiven russischen Militärs seit 2022.

Zu den russischen militärischen Verlusten in der Ukraine gibt es keine verlässlichen Angaben. Laut Kiew seien inzwischen über 500.000 russische Soldaten getötet wurden. Die in den USA zirkulierenden Angaben betrafen getötete und verwundete Soldaten. In einem geheimen Bericht für das US-Hauptquartier wurde Anfang 2023 von einem Opferverhältnis von 7:1 zu Lasten der Ukraine gesprochen. Das wurde von Kiew dementiert. Der russische Generalstab äußert sich nicht zu Opferzahlen.

In sozialen Medien geht man vor allem aufgrund der Ungleichheit bei der Verfügung über Artilleriemunition zu Lasten der Ukraine inzwischen von einer weitaus schlechteren Ratio bei Verwundeten und getöteten Soldaten aus (zwischen 10: 1 und 20:1). Kurzum, genau weiß es keiner. Politisch ist allein die Befriedigung des US-Präsidenten wichtig, dass das russische Militär „verdammt dezimiert“ wurde. Das ist die kühle Logik eines Feldherrn im Krieg.

Präsident Biden äußerte sich ebenfalls zu Israel.

Er wurde gefragt, ob die israelische Armee im Gaza-Streifen Kriegsverbrechen begeht. Die Antwort darauf wäre unklar, erklärte Biden eingangs. Die israelische Armee untersuche das. Den Internationalen Strafgerichtshof erkennen die USA nicht an. Klar sei, dass die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen sehr leide. Aber das hätte auch mit der Hamas zu tun. Die hätte Verbrechen begangen, wie er sie noch nie gesehen hätte. TIME fragte nach und wollte wissen, ob Israel die Bevölkerung gezielt aushungere. Nein, erwiderte Biden, das glaube er nicht. Aber es gäbe „unangemessene“ Aktivitäten. Dann wurde er grundsätzlich. Er legte er Wert auf die Feststellung, dass er abgeraten habe, den gleichen Fehler zu wiederholen, den die USA mit dem Krieg gegen den Terror gemacht hätten. Wörtlich sagte er.

„Als ich unmittelbar nach dem brutalen Angriff der Hamas hinüberging (Anm.: Reise nach Israel am 18.10.2023), sagte ich, und es wurde öffentlich, ich sagte, machen Sie nicht den gleichen Fehler, den wir bei der Jagd auf Bin Laden gemacht haben. Die Idee, Afghanistan zu besetzen, die Idee, dass man im Iran ein Atomwaffenarsenal hat, das, ich meine, im Irak, das erzeugt wird, ist einfach nicht wahr. Und das führte zu endlosen Kriegen. Sie waren nicht wahr. Machen Sie nicht die Fehler, die wir gemacht haben.“

TIME hat auch diese Aussage nicht geprüft. Tatsächlich enthält die Rede von Biden während des Besuches in Israel eine Referenz zur US-Reaktion auf den Anschlag vom 11. September 2001. Er warnte Israel, sich nicht von der Wut auffressen zu lassen. Die USA hätten in ihrer wütenden Reaktion auf den 11. September Gerechtigkeit gesucht und auch gefunden und auch Fehler gemacht.

Die hauptsächliche politische Reaktion des Weißen Hauses bestand eindeutig darin, dass Israel Opfer eines verabscheuungswürdigen Terroranschlages wurde und jedes Recht und auch die Pflicht hat, auf diesen furchtbaren Anschlag zu reagieren. Die USA stehen deshalb fest an Israels Seite und unterstützen Israel mit allen Mitteln, die notwendig sind, sich selbst zu verteidigen, hieß es erklärtermaßen.

Die im Interview von Biden gewählte Akzentverschiebung hat rein innenpolitische Motive. Sein Israel-Kurs ist in der Demokratischen Partei umstritten. Er verliert Wählerstimmen unter der Jugend, aber auch speziell bei Muslimen. Bei öffentlichen Auftritten wird er mit Protest und dem Vorwurf „Genozid-Joe“ konfrontiert.

Das Bitterste an der ganzen Sache jedoch ist, dass die erste Reaktion des State Department auf den Terroranschlag der Hamas darin bestand, Israel aufzufordern, nicht militärisch zu vergelten. Das geht aus einer sehr scharf geführten Auseinandersetzung zwischen Senator Cruz (Republikaner) und dem US-Außenminister Blinken hervor. Cruz beschuldigte die Biden-Administration der Schwäche und erhob präzise Vorwürfe. Ab Minute 5:06. Er hielt er Blinken zwei Tweets vom 7. bzw. 8. Oktober 2023 vor, die nur aufgrund seiner Intervention wieder gelöscht worden wären. Diese Tweets enthielten die Aufforderung an Israel, den Terroranschlag NICHT militärisch zu vergelten. Blinken widersprach Cruz in diesem Punkt nicht.

Wussten Sie das? Da fragt man sich, was passiert wäre, wenn die EU einen vergleichbaren Instinkt gehabt und ihm auch noch nachgegeben hätte.

TIME wollte ebenfalls wissen, ob Netanyahu den Krieg bewusst verlängere, um Ministerpräsident zu bleiben. Das wollte Biden nicht kommentieren, kommentierte aber dennoch, beginnend mit der Bemerkung: „Die Menschen haben allen Grund, diese Schlussfolgerung zu ziehen.“ Israel schlug umgehend hart zurück und erklärte, dass die Aussage von Biden „sich außerhalb der diplomatischen Normen jedes rechtschaffenen Landes bewegten.“ Biden korrigierte sich daraufhin und erklärte, dass er nicht glaube, dass dem so wäre.

Telefonat von Biden und Kissinger

Befragt zu den außenpolitischen Prioritäten seiner zweiten Amtszeit antworte Biden zunächst mit der Erinnerung an einen Anruf von Kissinger vor seinem Tod. Im Original lautet die Antwort wie folgt:

„To finish what I started in the first term. To continue to make sure that the European continent—I’ll tell you, I got a call from Kissinger about 10 days before he died. And he used the following comment. He said that not since Napoleon has Europe not looked over their shoulder at dread with what Europe—what Russia may do, until now. Until now, you can’t let that change.“

Ich bin außerstande, diese Antwort von Biden zu verstehen. Es ging offenbar nicht nur mir so. Offenbar war es auch nicht das erste Mal, dass Biden auf ein Gespräch mit Kissinger Bezug nahm. In einem Substack-Blog, der in Englisch verfasst ist, wurde auf Sinnsuche gegangen. Meinte Biden möglicherweise, dass sich Europa zum ersten Mal seit Napoleon nicht vor Russland fürchten müsste? Auch das wäre abstrus. Der spätere Gesprächsverlauf machte klar: Nato-Verbund stärken. Nato-EU aufrüsten.

Biden sprach auch über den indopazifischen Raum als Priorität einer zweiten Amtsperiode. Seine Bemerkungen über China in diesem Zusammenhang sind von äußerster Geringschätzung. Wer würde schon gerne in der Haut von Xi stecken, fragte Biden. Das sei kein Scherz. “Sie haben eine Bevölkerung, die wesentlich älter ist als die große Mehrheit der Jugend in Europa, die zu alt ist, um zu arbeiten. Und sie sind fremdenfeindlich. Woher kommt das? Wo soll sie wachsen? Sie haben dort eine Wirtschaft, die am Abgrund steht. Die Vorstellung, dass ihre Wirtschaft boomt? Das ist doch lächerlich.”

(Anmerkung: Ende Mai korrigierte der IWF die chinesische Wachstumsprognose für 2024 nach oben, nunmehr auf 5 Prozent. Aber was sind schon lächerliche 5% Wachstum!)

An anderer Stelle erklärte Biden:

„Ich meine, die Vorstellung, dass China jeden verarschen will, ist eine andere Sache. Übrigens, die Kosten für den Aufbau des chinesischen Militärs belaufen sich auf mehrere Milliarden Dollar. Und raten Sie mal, was sie… wie nennen sie es? Um die Welt gehen? Die ‘Belt and Road’-Initiative? Es ist eine lästige Friedhofsinitiative geworden. Ich meine es ernst. Denken Sie darüber nach. Ich sage das seit drei Jahren, und ihr schreibt: ‘Nein, China ist auf dem richtigen Weg – China wird durchbrechen.’ Wo sind sie, wo brechen sie durch?”

Peking wird das alles mit größtem Interesse zur Kenntnis genommen haben, aber nicht nur Peking. Der US-Präsident ist verlässlich in seiner abschätzigen Haltung gegenüber China. Xi zählt für ihn zu den „bösen Buben“.

Woran sich Biden über Scholz erinnert

Kanzler Scholz spielte im Interview ebenfalls eine Rolle, die ihn allerdings überrascht haben dürfte. Biden erinnerte sich an das erste G7-Treffen nach seinem Amtsantritt im Jahr 2021. Dort ging es um die Ausschreitungen am 6. Januar 2021 (Erstürmung des Capitols) und um die US-Führungsrolle. Auf Bidens Aussage, die USA „seien zurück“ hätte Macron gefragt: Für wie lange? Scholz (im Original zunächst Schultz) hätte mit Referenz auf den 6. Januar etwas gesagt, was ihm, Biden, die Schwere des Vorfalls des 6. Januar 2021 und der Verfehlungen von Trump (Name wird nicht genannt) klargemacht hätte. Scholz soll das Folgende geäußert haben:

„Was würden Sie sagen, Herr Präsident, wenn Sie morgen die Londoner Times in die Hand nähmen und herausfänden, dass Tausende von Menschen das britische Parlament stürmten, die Türen aufbrachen und zwei Polizisten töteten, um die Vereidigung eines Premierministers, die Wahl eines Premierministers, zu verhindern?” TIME korrigierte nachträglich die Namensschreibung des Bundeskanzlers.

Das erwähnte G 7 fand 2021 unter britischem Vorsitz statt. Die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, nahm teil. Dass die wiederum dort Biden mit britischer Zeitungslektüre und der Vorstellung der Erstürmung des britischen Parlaments konfrontierte, ist, um einen Lieblingsausdruck von Joe Biden zu zitieren, schlicht lächerlich. Dass ein Regierungschef überhaupt auf die Idee käme, einen solchen Vorfall erst aus der Zeitung zu erfahren, ebenfalls.

Politisch geradezu absurd dagegen ist die Behauptung, Biden hätte durch das G7-Treffen die Dimension des Geschehens in Washington begriffen. Biden hielt umgehend, noch am 6.01. 2021, eine flammende Rede. Er sprach von einem beispiellosen Anschlag auf die amerikanische Demokratie. Er sprach von „Aufruhr“, der an Umsturz, wenn nicht gar „Abspaltung“ grenze. Das Land müsse sich versöhnen. Die USA wären besser als das. Es kann gut sein, dass Biden das alles vergessen hat. Es kann auch sein, dass er in die politische Trickkiste griff, um die Amerikaner erneut an den 6. Januar 2021 zu erinnern.

Namen oder Amtszeiten von deutschen Bundeskanzlern spielen in Washington offenbar keine große Rolle. Die Schlamperei, nach dem Interview noch nicht einmal zu prüfen, wer die Bundesrepublik damals auf dem Gipfel repräsentierte, grenzt schon an Beleidigung. Das Weiße Haus korrigierte nicht oder dachte vielleicht, es geht so durch. Es wird sich schon niemand beschweren. An so etwas kann man ablesen, wie unser Land tatsächlich betrachtet wird.

Man könnte dem natürlich entgegenhalten, dass Olaf Scholz schon so tief im Kopf des amerikanischen Präsidenten wohnt, dass der nun Boris Johnson und Olaf Scholz für eineiige Zwillinge hält, die besten Partner, die die USA je hatten und Biden auch helfen, politische Probleme klar zu sehen. Allerdings nähern wir uns in dem Fall gefährlich der Realsatire.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung.

Über Petra Erler / Gastautorin:

Petra Erler: "Ostdeutsche, nationale, europäische und internationale Politikerfahrungen, publizistisch tätig, mehrsprachig, faktenorientiert, unvoreingenommen." Ihren Blog "Nachrichten einer Leuchtturmwärterin" finden sie bei Substack. Ihre Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit ihrer freundlichen Genehmigung.