Die Interdependenz zwischen der zunehmenden Anwendung digitaler Informationsquellen und der Leistungsfähigkeit von Gedächtnis und Erinnerung der Menschen ist inzwischen unstrittig. Die Digitalisierung beeinträchtigt das Gedächtnis, weil dieses nicht mehr wie bislang gefordert und trainiert wird. (Gedächtnisschwäche. Beueler Extradienst vom 10.6.2024) Zudem gibt es zunehmende Hinweise aus der Wissenschaft, dass es auch eine Interdependenz zwischen dem menschlichen Orientierungssinn und der Nutzung von Navigationsgeräten gibt. Auch hier geht es um die Entlastung des menschlichen Gehirns durch technische Angebote (Orientierungslos. Beueler Extradienst vom 11.9.2024). Angesichts dieser Erkenntnisse drängt sich die Frage auf, welche Verbindung, Abhängigkeit und Konnektivität zwischen der Nutzung der Handschrift und der Verwendung von Tastaturen und Touchpads bestehen. Wie wird die Fähigkeit, handschriftliche Notizen schnell, fehlerfrei und lesbar zu erstellen, durch die zunehmende maschinelle Erstellung der Texte beeinflusst?
Die Erfindung der Schrift, also eines Zeichensystems zur Bewahrung und Wiedergabe sprachlicher Informationen, gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation. Dank der Schrift können Wissen, kulturelle Traditionen und andere Daten zuverlässig über lange Zeit überliefert und die Sprache fixiert werden. Zuvor war nur die mündliche Überlieferung von Wissen, Ritualien oder Legenden möglich, was im Laufe der Zeit zu Sinnentstellungen führen konnte. Alle frühen Hochkulturen (Sumer, Ägypten, Indus, China, Maya, Inka) konnten auf eine Form der Schrift zurückgreifen.
Die Schrift wurde also mehrfach erfunden. Als Kultur, die erstmals die Schrift verwendet hat, gilt Sumer in Mesopotamien. Die damals verwendete Keilschrift wird auf das 4. Jahrtausend vor Christus datiert. Möglicherweise hatten die ersten Symbole, Zeichnungen und Schriftzeichen, die die Menschen seit Jahrtausenden vor allem als Felszeichnungen hinterließen, hatten auch schon das Ziel, Botschaften festzuhalten. Von Schrift kann jedoch nicht gesprochen werden, da kein festes System erkennbar ist.
Lesen und Schreiben war indes in den damaligen Hochkulturen kein Allgemeingut. So gab es den Beruf des Schreibers, der belegt, dass diese Tätigkeit eine besondere Fähigkeit verlangte. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass nur hohe Beamte, Priester, Adelige, Gelehrte und Angehörige einflussreicher Familien das Schreiben beherrschten. Im Römischen Reich war es anders. In den Städten besuchten Jungen und Mädchen im Alter von 7 bis 11 Jahren „Elementarschulen“, wo sie Lesen und Schreiben und die Grundkenntnisse des Rechnens lernten. Im Spätmittelalter konnten Schätzungen zufolge zehn bis 30 Prozent der städtischen Bevölkerung lesen und schreiben. Vor allem der Klerus, Adelskreise, Ratsherren und Kaufleute, zunehmend jedoch auch Handwerker und Gutsbesitzer beherrschten dies.
Die Erfindung des Druckens – 1450 durch Johannes Gutenberg – änderte wenig an der Tatsache, dass im Alltag die Texte per Hand geschrieben wurden. Druckwerke konnten das nicht ersetzen. Den Großteil der gedruckten mittelalterlicher Texte bildeten theologische Schriften und Erbauungsliteratur, die dem religiösen Horizont des Lesepublikums entsprachen. Dazu kamen Fachtexte aus dem Rechtswesen und der Naturlehre sowie sogenannte schöne Literatur, z.B. Reisebeschreibungen.
1713 wurde die erste Schreibmaschine vorgestellt. In der Patentschrift heißt es laut Wikipedia: Es handelt sich um eine Methode, „Buchstaben fortschreitend einen nach dem anderen wie beim Schreiben zu drucken, und zwar so klar und genau, dass man sie vom Buchstabendruck nicht unterscheiden kann.“ Nun konnte theoretisch jeder seine kleine Druckerei als Alternative zur Handschrift haben, auch wenn die Verbreitung der Schreibmaschine noch lange dauerte. Denn erst ab 1800 gab es funktionierende Schreibmaschinen, anfangs vor allem für blinde Personen gedacht. Im Laufe der Jahrzehnte gab es eine Reihe von Fortentwicklungen. 1832 wurden die Typenhebel erfunden, 1843 die Typenstäbe, 1889 das Typenrad und 1961 der Kugelkopf. 1947 wurde ein Modell mit Proportionalschrift angeboten. Elektrische Schreibmaschinen gab es seit 1902.
In den 80er Jahren endete die Entwicklung der Schreibmaschine. Grundlage war die Kombination mit dem Computer, der 1941 von Konrad Zuse in Berlin erfunden und ab 1946 in den USA zu einem vollelektronischen und digitalen Gerät entwickelt worden war. Die Schreibmaschine wurde mit einem elektronischen Rechner und Textspeicher kombiniert und durch einen Bildschirm ergänzt. Der Text war dadurch sichtbar und konnte korrigiert und verändert werden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verschwand die Schreibmaschine vom Markt, da sie fast vollständig durch computergestützte Drucker verdrängt worden war. Wer heute noch eine mechanische Schreibmaschine benutzt, tut dies zumeist aus nostalgischen Gründen.
Ansonsten wird mit dem PC (Personal Computer) gearbeitet, ein Mehrzweckgerät, das individuell im Alltag genutzt wird. Seine Entwicklung begann 1976. Größe und Technik sind für den persönlichen Gebrauch geeignet, der Preis ist erschwinglich und die Anwendung ist einfach und daher nicht mehr auf Informatiker, Ingenieure und andere Wissenschaftler beschränkt. Der Begriff PC entstand Anfang der 80er Jahre,
Ein PC ist ein Mikrocomputer, und wird vorrangig als Desktop, Laptop, Notebook oder Tablet, also als Mobilgerät genutzt. Inzwischen wird – wie auch am Telefon – als Alternative zur Maus- oder Tastensteuerung das System des Touchpad verwendet. Dabei wird die Position des steuernden Fingers durch elektrische Signale ermittelt. Das Verfahren des Touchpad war 1988 in den USA zum Patent angemeldet worden. Zunehmend wird heute auch Sprachsteuerung verwendet. Damit bezeichnet man die Übermittlung von Befehlen an technische Geräte, die per Stimme erfolgt. Grundsätzlich kann diese Technik bei einer großen Zahl von Gerätetypen zum Einsatz kommen. Jedes neue Smartphone hat heute eine Diktierfunktion und ein Spracherkennungsmodul, so dass man Notizen und Nachrichten einfach einsprechen kann.
Die nächste Technologiestufe waren Diktiergeräte mit Schreibfunktion. Sie bieten nicht nur die Hardware, um das gesprochene Wort aufzunehmen, sondern auch die passende Software, um die Sprache im Anschluss in maschinenlesbaren Text zu wandeln. Integrierte Transskriptionslösungen gibt es offenbar nicht. Man muss also immer zwei Schritte gehen müssen: Aufnahme der Sprachdatei und ihre Transskription in einen Text. Die Nutzung dieser Technik bietet sich z.B. an, wenn man ein Gespräch schnell in Schriftform benötigt, wenn Inhalte einer Diskussion rasch verfügbar und verteilbar sein sollen, wenn man einen Rohentwurf für einen Text benötigt oder wenn man Gesprächsergebnisse effektiv archivieren will. Die Notwendigkeit, handschriftlich Protokoll zu führen, erübrigt sich dadurch.
Die Anwendung der Künstlichen Intelligenz beschleunigt und vereinfacht das Verfahren. Nun sind Techniken verfügbar, die Gespräche, Reden usw. in Echtzeit transskripieren und daraus Protokolle zu erstellen können. Der Einsatz von KI kann nicht nur Zeit sparen, sondern sogar Lösungen zur Verbesserung der Genauigkeit der Mitschrift liefern, die Gespräche analysieren und wichtige Punkte hervorheben, die Informationen in eine logische Reihenfolge bringen und letztlich die Struktur und Klarheit des Protokolls verbessern. Diese Technik verführt jedoch zum gedanklichen Abschweifen und zur Nachlässigkeit beim Zuhören. Fachleute sehen zudem bei der KI-Nutzung eine Anfälligkeit für Fehler und warnen davor, diesem Verfahren blind zu vertrauen.
Jeder dieser Schritte zur optimierten Nutzung der Maschinenschrift mindert die Rolle der Handschrift. Zwangsläufig taucht da die Frage auf, ob die Handschrift noch eine Zukunft und Bedeutung hat. Im Unterricht an weiterführenden Schulen geht es oft nicht mehr um die Frage, welche Schrift die Lernenden pflegen sollten (Blockschrift oder Kursive), sondern ob überhaupt noch per Hand geschrieben werden soll. Die Nutzung einer Tastatur ist mittlerweile die häufigste Art, etwas festzuhalten. Tippen erscheint schneller und praktischer. Allerdings liegt vieles, was „maschinell“ erstellt wird, danach nur in einer Trägerform, die von Menschen nicht unmittelbar gelesen werden kann und dazu einer technischen Hilfe bedarf.
Handschrift ist dagegen unabhängig von Geräten und dadurch sozial gerechter. Und sie hat eine Reihe weiterer Vorteile, konkreter und ideeller Art: Sie ist archivierbar und beständiger als digitale Schrift. Sie spiegelt eine jahrtausendealte Schriftkultur. Sie ist Ausdruck der schreibenden Persönlichkeit. Sie verrät Gefühle und macht Gedanken sichtbar. Sie kann ein Zeichen von persönlicher Wertschätzung sein. Sie unterstützt das unabhängige Denken. Sie ermöglicht Spontaneität und Einsatz zu jeder Zeit und an jedem Ort. Sie fördert das Strukturieren von Texten. Sie hilft dabei, sich die Schreibung eines Wortes einzuprägen. Sie schult die Sensibilität für Fehler im eigenen Schriftbild. Sie nutzt der Konzentration beim Schreiben. Sie wird in Prüfungen verlangt. Sie schafft Einzigartiges. Kalligrafie ist die Kunst des schönen Schreibens.
Die eigene Handschrift begleitet uns ein Leben lang. Sie entwickelt sich schon im Kindesalter. Die Fähigkeit automatisiert sich dann mit etwa 16 Jahren. Von da an ist eine Handschrift mit einem Fingerabdruck vergleichbar. Die meisten Menschen können später mit geschlossenen Augen schreiben. Neurowissenschaftliche Studien belegen, dass Kinder durch das Handschreiben besser lesen lernen. Sie können sich Faktenwissen besser merken und Inhalte besser verstehen und durchdringen.
Um diese Vorteile zu nutzen, ist es nicht notwendig, schön zu schreiben, sondern flüssig und lesbar. Man muss den richtigen Rhythmus finden. Dann bleibt mehr Platz für Kreativität und Rechtschreibung
Unschlagbare Vorteile hat die Handschrift, wenn es um Darstellungen geht, die sich nicht auf eine Buchstabenreihenfolge beschränken, zum Beispiel mathematische Formeln und Gleichungen, Zeichnungen, Unterschriften und fremde Schriftsysteme (griechische Buchstaben). Wegen der rechtlichen Bindung ist Maschinenschrift beim Abfassen von Testamenten unzulässig. Dieses muss vollständig vom Erblasser selbst geschrieben und unterschrieben sein, falls es nicht gegenüber einem Notar erklärt oder abgegeben wird.
Natürlich hat die Handschrift auch ihre Nachteile gegenüber der Maschinenschrift: Vielfach muss sie noch in eine digitale Form überführt werden und bedarf dazu der Nachbereitung. Texte sind möglicherweise schlechter lesbar. Sie erlaubt ein Zurückverfolgen anonymisierter Daten. Eine nachträgliche Korrektur und Ergänzung ist ebenso wenig möglich wie eine Umstrukturierung durch Verschieben von Textteilen. Es gibt kein automatisches Korrekturprogramm, das Übertragungs- und Flüchtigkeitsfehler beseitigt. Handschriftliches lässt sich nicht so leicht vervielfältigen und verbreiten wie mit der Maschine Geschriebenes.
Handschrift begünstigt sowohl das Kurzzeit- wie das Langzeitgedächtnis, weil man dabei seine eigenen Worte und seine eigene Schriftweise benutzt. Tippen fördert eher das wortwörtliche Notieren von Texten, ohne viel darüber nachzudenken. Beim Schreiben mit der Hand wird daher das kritische Denken stärker gefördert. da man sich gründlicher mit dem Text befassen muss. Man aktiviert Gehirnteile, die für das Erinnerungsvermögen und die Handhabung von Informationen zuständig sind. Da Schreiben mit der Hand in der Regel langsamer und aufwendiger ist, müssen sie zunächst verarbeitet und zusammengefasst werden.
Eine norwegische Studie belegt, dass Handschreiben das Gehirn stärker vernetzt und die Lernfähigkeit verbessert. Zwölf Hirnarreale werden beim Schreiben aktiviert. Insbesondere Rechtschreibfähigkeit und Erinnerungsvermögen zeigen bessere Resultate als beim Maschinenschreiben. Konnektivität des Gehirns (Vernetzungsfähigkeit) für die Gedächtnisbildung und die Codierung neuer Informationen ist „beim Schreiben mit der Hand weitaus ausgeprägter als beim Tippen auf einer Tastatur.“ Man merkt sich das, was man mit der Hand schreibt, einfach besser als das, was man tippt. Die Forscher vermuten, dass dies an den präzisen kontrollierten Handbewegungen beim Schreiben mit einem Stift liegt. Das wiederholte Drücken von Tasten sei weniger anregend für das Gehirn.
Andere Untersuchungen der Norweger ergaben, dass Studierende mehr lernen und sich besser erinnern, wenn sie handschriftliche Vorlesungsnotizen machen. Diese erfordern mehr Sorgfalt und fördern daher das Erinnerungsvermögen. Bei Tests schnitten Handschreibende insbesondere bei Verständnisfragen besser ab. Tipper neigen wohl dazu, wortwörtlich mitzuschreiben. Die Informationen werden dann im Gehirn weniger gut verarbeitet, was den Lernprozess behindert. Bei Verwendung eines Laptops ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass viele Notizen gedankenlos und wahllos gemacht werden.
Bei den meisten Menschen dürfte das digitale Schreiben die Handschrift allerdings mengenmäßig überholt haben. Das ist nicht weiter nachteilig, sofern man beide Schreibarten beherrscht. Allerdings gibt es schon Menschen, die Probleme beim Unterscheiden von spiegelbildlichen Buchstaben wie b und d haben, weil sie Schreiben an einer Tastatur gelernt und die Buchstaben nicht selbst erzeugt haben. Aufgrund dieser und ähnlicher Erkenntnisse ist in vielen US-Bundesstaaten das bereits abgeschaffte Training der Handschrift wieder eingeführt worden.
Interessant ist die Frage, welche Schreibweise schneller ist. Laut Wikipedia liegt der Weltrekord beim Tastaturtippen bei 821 Anschlägen je Minute, während die beste handschriftliche Leistung (Steno) 1454 Anschlägen aufwies. Da sind 75% mehr. (ZWIL) Stenografie zum Vergleich heranzuziehen erscheint gerechtfertigt, weil die Deutsche Einheits-Kurzschrift eine Weiterentwicklung der lateinischen Schrift ist. Natürlich muss man Stenografie lernen und üben, vor allem, wenn man schnell werden will. Das gilt jedoch genauso für das Maschineschreiben, auch wenn man sich dort dank häufiger Nutzung unbewusst verbessert. Der Schriftverkehr wurde durch Computer zwar schneller, doch gilt dies offenbar nicht für das Aufschreiben selbst. – Eine Handschriftenerkennung für Stenographie gibt es offenbar noch nicht.
Die Digitalisierung ist also nicht unbedingt eine Bedrohung für die individuelle Handschrift. Die Medien ändern sich, aber die Handschrift bleibt. Durch die Verknüpfung von Handschrift und interaktiven (Geräten) bietet sich neues Potenzial für die Handschrift. Daher wird es die Kunst und Kultur des Schreibens auch in Zukunft geben. Menschen sind gern kreativ und machen gern selbst etwas,was sie schön finden.
In den USA wird seit 1977 am 23. Januar auf Initiative der US Writing Instrument Manufacturers Association der nationale Tag der Handschrift begangen. Es soll daran erinnert werden, dass ein von Hand geschriebener Brief viel persönlicher und herzlicher ist als eine Email- oder Handy-Nachricht. Der 23.1. wurde gewählt, weil dies der Geburtstag von John Hancock ist (geboren 1737), der 1776 als Präsident des US-Kongresses als erster die amerikanische Unabhängigkeitserklärung unterzeichnete, mit einer großen schwungvollen Schrift.
Es gibt zum Thema eine umfassende und in jeder Hinsicht erhellende Dissertation: Adolf Jaeger, “Stellung und Tätigkeit der Schreib- und Rechenmeister (Modisten) in Nürnberg im ausgehenden Mittelalter und zur Zeit der Renaissance: ein Beitrag zur Geschichte eines ringenden und strebenden Mittelstandes aus der Zeit der Blüte und des beginnenden Verfalls der Reichsstadt”, Erlangen 1925. Leider ist das Werk nur in einer schlecht erhaltenen Kopie der Universitätsbibliothek Erlangen erhalten, aus der wir in einem Kurs an der Hochschule für Gestaltung 2002 eine Abschrift online gestellt haben – die dann irgendwann dort wieder von der Homepage heruntergenommen wurde. Das Werk behandelt vor allem die Organisation des Schulwesens und beschreibt genau, wer Schreiber wurde: Alle die, die nicht zum Wehrdienst taugten – Hinkende, Bucklige etc. Lehrerinnen wurden erwähnt, Schülerinnen nicht…