1. Kapitel

Wahlkampf ist die schönste Zeit im Leben der Politikerinnen und Politiker: Ständig in einer ekstatisch jubelnden Volksmenge baden, das Schlaraffenland beschwören, sich am eigenen Ego aufrichten, die Konkurrenz begeifern und genussvoll nach unten treten, das macht Laune… Damit auch die Langeweile nicht zu kurz kommt, sind sich die Damen und Herren Wahlkämpfer in fast allem einig, vor allem in der Forderung: Die „Irreguläre Migration“ muss weg. Dadurch, dass Politikerinnen und Politiker ständig von „Irregulärer Migration“ sprechen, suggerieren sie ihren Wählerinnen und Wählern, dass geflüchtete Men­schen Straftäter sind. Viele Leute glauben dann, dass Flücht­lin­ge auf lega­lem Wege nach Deutschland kom­men könn­ten und die „irregulären“ Wege nur nut­zen, weil sie ohne­hin kei­nen Schutz­an­spruch haben. Sym­pa­thien schwin­den, die Akzep­tanz für wei­te­re Ver­schär­fun­gen im Asyl­recht steigt. Und obwohl aktu­ell über 70 Pro­zent der Asyl­an­trä­ge posi­tiv ent­schie­den werden, fordert die SPD : „Wir müssen mehr und schneller abschieben.“ Das heißt: Ausländer Raus! Die CDU fordert, „mehr Menschen außer Landes zu bringen, die in Deutschland keine Perspektive haben“. Das heißt: Ausländer Raus! Die Grünen fordern, „konsequent zu inhaftieren und abzuschieben“. Das heißt: Ausländer Raus! Das BSW fordert, dass es „mehr Abschiebungen“ braucht. Das heißt: Ausländer Raus! Die CSU fordert, „Zurückweisungen an der Binnengrenze auch dann nicht auszuschließen, wenn an der Grenze ein Asylgesuch geäußert wird“. Das heißt: Ausländer Raus! Die FDP fordert, die Länder müssen „mehr Abschiebungen durchführen“. Das heißt: Ausländer Raus!

Vermutlich gibt es gute Gründe dafür, dass kulturell hochstehende und werteorientierte Bannerträger des Humanismus rufen „Ausländer Raus!“ und fordern, Ausländer gar nicht erst reinzulassen, weil diese Schmarotzer aus Wüste oder Dschungel die deutschen Eingeborenen hemmungslos von den Futterkrippen und aus den Wartezimmern der Zahnärzte verdrängen.

Logisch, dass die Innere Sicherheit diese Probleme mit aller Gewalt lösen muss – da ist sich „das politische Berlin“ einig. Und die Medien stehen ihnen hilfreich zur Seite. Das bewirkt dann, dass ein Solingen ausreicht, um alle Ausländer zu kriminalisieren. Somit ist jeder, der nicht Meier, Müller, Lehmann oder Schmidt heißt, ein Verbrecher, dem die Einwanderung in unsere Sozialsysteme verwehrt werden muss. Der Konsens der Parteien in dieser Hinsicht eröffnet die Möglichkeit, statt nächtlicher Abschiebung und teurer Remigration – als gnädigste Form der Fürsorge – Hinrichtungen in Erwägung zu ziehen. Die Versklavung qualifizierter und schlecht bezahlter Migranten ist ja ohnehin schon seit längerem im Blickfeld von Wirtschaft und Politik.

Doch die Migranten sind nicht die einzigen, die im Wahlkampf für Parteien-Einigkeit und sorgen und danach aus dem Land hinaus komplimentiert werden sollen: Die sogenannten Schwächsten in der Gesellschaft fordern trotz härterer Sanktionen, steigender Preise, Nullrunden und öffentlicher Verleumdungen unentwegt eine warme Mahlzeit pro Tag, ein Dach über dem Kopf und eine Krankenversicherung. Was das kostet! Das muss man sich mal vorstellen: In Deutschland existieren 14,2 Millionen Menschen in Armut – das sind fast 17 Prozent der Gesamtbevölkerung. Und sie werden immer mehr und immer ärmer. Hat der Kapitalismus etwa Schuld an diesen Asozialen? Nein, er verkörpert das moderne Christentum und verspricht auch dem Prekariat das Paradies im Diesseits. Er kann ja nichts dafür, dass immer mehr Menschen diese Tatsache einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Und so herrscht auch in der Arm-und-Reich–Problemzone parteiübergreifend bestes Einvernehmen.

Das Entscheidende ist nämlich: Die Vergütungen von Firmenchefinnen und -chefs kletterten im vergangenen Jahr um 16 Prozent auf 3,7 Millionen Euro im Schnitt. Das heißt: Vor allem bei der Vergrößerung der Einkommensungleichheit und der Zunahme von Armut kann das leitende Personal (die „Hochqualifizierten“ im freidemokratischen Jargon, die Kleptokraten in meinem) eine hervorragende Leistung vorweisen. Die Vermögensverhältnisse klaffen scherenmäßig beeindruckend weit auseinander, und die Umverteilung von unten nach oben verläuft erfreulich zukunftsweisend. Das ist doch großartig! Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Dax-Unternehmen insgesamt eher stagnierende Umsätze und Gewinne verzeichnen. Also, das macht der deutschen Wirtschaft und ihrem politischen Arm so schnell niemand nach…

Angesichts dieser Umstände bleibt natürlich die Frage: Wäre es nicht wesentlich lukrativer, statt ganzer Belegschaften die Vorstände der 40 größten Dax-Unternehmen rauszuwerfen? Und da wir gerade beim Feuern sind: Wäre es nicht profitabler und menschenfreundlicher, statt der vielen tausend Arbeitskräfte in der Automobil-Industrie die 9 Figuren im Vorstand der Volkswagen AG, die 20 Personen im Aufsichtsrat des Konzerns, die Management-Persönlichkeiten, die Mitglieder vom Kontrollgremium sowie die parasitären Großaktionäre aus der Erbenfamilie Porsche-Piëch, dem Land Niedersachsen und der Investmentbehörde des Staates Katar an die Tafeln und in die Obdachlosigkeit zu entlassen? Nein! So hat das noch nie funktioniert. Es entspricht guter Konzern-Tradition, dass der CEO eine satte Erhöhung bekommt, wenn seine Firma nur noch Arbeitslose produziert, und dass die Vorstände der DB sich jedes Mal ihre Boni mindestens verdoppeln, sobald die Bahn-Reisenden für immer größere Verspätungen immer höhere Preise bezahlen müssen. Das moderne Credo der kapitalistischen Führungsschicht lautet einvernehmlich: Je mehr Scheiße du baust, desto schneller wächst dein Einkommen.

Wir wollen in diesem Zusammenhang auch nicht die verbindende Kraft der Klimakrise vergessen. Niemand mag sich vorwerfen lassen, nicht an einer Beseitigung der Klimakrise interessiert zu sein, jedenfalls solange die sich finanziell lohnt. Deshalb werden Anschaffung und Betrieb von Diesel-betriebenen Dienstwagen bei uns jährlich mit rund 13,7 Milliarden Euro mittels Vorsteuerabzug, Abschreibungen und Pauschalbesteuerung vom Fiskus unterstützt. Und: Je größer das Fahrzeug, desto angenehmer sind die Steuervorteile. Das heißt: Mit etwa einem Drittel dieser Summe werden SUVs gefördert. Das hat doch Stil… Und als Erkenntnisgewinn fällt für Fahrradfahrer ab: Nichts ist zur Zeit erfolgreicher als Erfolglosigkeit. Eine revolutionäre Situation gibt es erst dann, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen. Oder umgekehrt.

2. Kapitel

Betrachten wir nun mal das politische Personal, das in diesen Wahlkampf zieht: Das verbindende Element in der Parteienvielfalt ist das Bestreben vieler Abgeordneter, den aktuell regierenden Kanzler abzusägen. Niemand weiß deshalb, wie hoch der Mitleidsbonus ausfällt, den er mit seinem Bemühen, Sympathisanten hinter sich zu versammeln, aktivieren kann.

Der schneidige Anführer der Opposition hingegen ist so, wie er in die Kameras schaut, vermutlich magenkrank, ehrgeizig, verbittert, leidet unter saurem Aufstoßen, Sodbrennen, und hinterhältig ist er wahrscheinlich auch… Er vertritt ein trotziges Retro-Konzept, und es ist kein Wunder, dass er’s besonders bei den Mädchen schwer hat: Einst stimmte er im Bundestag gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe, und erst kürzlich wieder erklärte er anlässlich der Diskussion um die „Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen“, das Thema sei wie kein zweites geeignet, „einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen.” Auf diesen enorm maskulinen Typ trifft zu: Zum Regieren im Kapitalismus braucht man keine Intelligenz – es reicht völlig, angeberisch aufzutreten, ein Flugzeug zu pilotieren und das zu tun, was die Finanzwelt will. In seinen Blackrock-Kreisen ist man sich einig: Gemeineigentum ist am besten aufgehoben, wenn es einem gehört. Und wenn so ein Titan von „unserem Land“ spricht, dann meint er das auch so – schließlich ist „unser“ ein besitzanzeigendes Fürwort.

Gut im Rennen liegt auch die Pro-Patria-Mori-Fraktion: Sie wird angeführt von einem gusseisernen Hindenburg-Verschnitt, sturmfest und erdverwachsen, dessen lateinischer Name ihn als Bäckerburschen ausweist. Dieser Feldherr in spe hat sich bei seinem Marsch über potentielle Schlachtfelder mit der Forderung nach immer mehr Rüstung, nach Kriegstüchtigkeit und Militarisierung von Schule und Bildung, ja der gesamten Gesellschaft, zum beliebtesten Politiker des Landes hochgearbeitet. Er tut wirklich alles, damit endlich Schluss ist mit dem Primat der Politik und es wieder zum Primat der Militärs kommt. Noch sagt er es nicht, aber er meint es schon: Kanonen statt Butter!

Des Kriegsministers wichtigste Kameraden sind zwei prominente Taurus-Anbeter: Erstens jene Wehrkraftlobbyistin aus Düsseldorf, die für die deutsche Rüstungscommunity in Brüssel tätig ist, die Panzer-Oma mit der silbernen Haubitzenfrisur und dem aus dem Haarspray herausgemeißelten Kanonenprofil, wahrlich eine Mathilde Ludendorff der Liberalen, sowie zweitens jener ländlich-sittlich frisierte Landmann, der die wenigen ihm noch verbliebenen Friedensfreunde seiner ehemaligen Antiparteien-Partei mit knallharter Russophobie züchtigt und es nie verwunden hat, dass nicht er statt der Trampolin-Grazie als Außenministerin in Stöckelschuhen durch den Matsch von Kiew waten darf… Diese beiden Follower tragen zweifellos tief in sich eine Sehnsucht nach einer Rache für Stalingrad…The Germans to the front!

Und dann dümpelt da – mitten in absoluter Belanglosigkeit im Dunstkreis der Konservativen – noch ein kleiner Verein für’s Pfründen-Leasing, der seit den Zeiten des Brillantine-Models Erich Mende als die Umfaller-Partei in Erscheinung tritt. Diese Liberallala-Organisation will für mehr Organspenden sorgen und die Entnahme von Lebern und Nieren schon nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand ermöglichen. Na gut, für diese Leute mit dem Magerquark im Kopf mag das angemessen sein: Wo kein Hirn ist, muss man auch keinen entsprechenden Stillstand suchen. Diese Leute können wir vergessen.

Deutschlands gesamte politische Klasse beschäftigt sich gemeinsam ausschließlich – und das belegen die Schlagzeilen in den Medien – mit Warnen! Fordern! Drohen! Aber reicht das, um die Welt in eine friedliche, demokratische, soziale und ökologische Richtung zu lenken? Mag sein, dass Wählerinnen und Wähler sich damit zufrieden geben. Der Trumpismus hat ja in aller Welt Hochkonjunktur, und rechtsradikale (nationalistische, antisemitische) Vollidioten nicht zu verbieten und einzusperren sowie Vollpfosten auf der Karriereleiter hoch zu pushen, das ist ein europäisches Erfolgsmodell.

3. Kapitel

Aber Menschen, die allergisch auf jeden Machtanspruch reagieren und die von niemandem regiert werden wollen, die werden sich angesichts all dieser doch sehr schlichten Methoden der sogenannten Volksvertreter beleidigt abwenden. Sie können sich vorstellen, dass die letzten Demokraten eines Tages, wenn es so weiter geht, nicht mal mehr die Wahl haben werden zwischen einem sibirischen Gulag, einem karibischen Guantanamo und einem asiatischen Laogai – Arbeitslager… Ihnen ist dieses ungereimte Zeug gewidmet:

Ich kann wählen, wen ich will,

und werde in diesem Land nichts verändern.

Ich habe keinen Einfluss: null Komma null!

Wäre ich aber Hauptaktionär von Rheinmetall,

könnte ich mit Geldscheinen winken,

und die Politiker würden spuren.

Doch ich habe nichts, womit ich winken kann.

Sie sind stärker … sie sind reich …

Sie haben Bewaffnete und Überfallwagen …

Wir sind geschlagen,

Sie haben gesiegt …

Was tun!?

Ihre Diener sitzen zu Gericht,

Ihr Personal lümmelt im Parlament,

Ihre Beauftragten verschieben die Euros.

Sie haben Kontaktsperren errichtet.

Klar: Wir sind eben zwei Sorten Mensch.

Ich möchte nicht mit denen tauschen.

Und die auch nicht mit mir…

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog des Autors, mit seiner freundlichen Genehmigung.

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