Sachsen, was soll mann dazu sagen? Etwas grösser als Berlin, und damit das grösste/wichtigste (???) Bundesland im deutschen Osten. Dort haben die Grünen Paula Piechotta, gebürtige Thüringerin, als Spitzenkandidatin für die nächste Bundestagswahl nominiert. Formal betrachtet eine Spitzen-Ossi der Grünen. In einem Podcast, also weltweit öffentlich, sagt sie wörtlich: “Alle in der SPD wissen, dass Olaf Scholz ein Arschloch ist.” Der Spiegel zitiert sie mit einem nachträglichen Relativierungsversuch: »an der besagten Stelle nur die Meinung über Olaf Scholz in der SPD reproduziert, wie sie SPDlerInnen immer wieder auch uns gegenüber formulieren«. Das mit dem Konjunktiv sollte Frau Dr. Piechotta dann noch mal üben: “Alle in der SPD meinen zu wissen … Arschloch sei”. Mit 38 Lebensjahren, davon drei im Bundestag, sollte Frau Dr. Piechotta ferner ein paar Grundbegriffe von Medienmechanismen erlernt haben, denen mit solchen Zitaten Zucker gegeben wird.
Ich habe selbst als MdL-Mitarbeiter im NRW-Landtag 1995-2005 für eine Koalition der Grünen mit der SPD gearbeitet. Und Olaf Scholz kenne ich noch länger. Mir sind nicht wenige SPD-Politiker*innen begegnet, die ich für weit grössere Arschlöcher gehalten habe als ihn – und die gabs/gibts auch nicht wenige in meiner eigenen Partei. In dieser Branche gibt es von dieser Sorte eine deutliche Überpopulation. Mir wäre aber nie eingefallen, eine*n von ihnen bei geöffneter Zimmertür mit dieser Verbalinjurie zu belegen. Weil es eine Steilvorlage für taktische Vorteile zugunsten exakt dieser Arschlöcher wäre. Und ich war nur ein unbedeutender MdL-Mitarbeiter. Weit höher qualifiziert (und bezahlt) als ich waren/sind leibhaftige Abgeordnete – und erst recht Spitzenkandidat*inn*en. Wie kann frau in dieser Position so blöd sein? Und die, die sie in diese verantwortungsvolle Position gewählt haben?
An diesen Ausführungen erkennen Sie, dass ich meine Ablösungsprobleme von meiner Partei noch nicht gelöst habe. Aber jetzt mal was Wichtiges.
Fachkräftemangel
In der Spiegel-Paywall gibt es diese Story von Verena Töpper: “Fleischereifachverkäufer aus dem Ausland: Von Brasilien zur Lehre nach Bayern – und schnell wieder zurück – Eine Metzgerei aus Bayern rekrutierte in Brasilien acht Auszubildende. Diese trafen auf einschüchternde Chefs, rassistische Kunden und Frühschichten im Supermarkt. Eine Geschichte über Fachkräftemangel und gescheiterte Integration.”
Während die Tagesschau gestern minutenlang Arbeitgeberpropaganda ohne jede Gegenrecherche oder -meinung millionenfach verbreitete, bringt Frau Töpper die Probleme der gegenwärtigen deutschen Ökonomie zugespitzt und treffend auf den Punkt: Ausbildungsstreik der Arbeitgeber, unqualifizierte Menschenführung, nichtexistente Einwanderungspolitik, Rassismus, Geringschätzung menschlicher Arbeit, Desinteresse.
Zufällig habe ich mich exakt mit dem Thema Fleischereifachverkauf schon als Konsument sorgenvoll beschäftigt. Frau Töppers Reportage aus dem ländlichen Bayern ist nur scheinbar exotisch – sie betrifft die ganze Republik und ihre Infrastruktur.
In dem beschriebenen Fall geht es um den konstruktiven Versuch von Brasilianer*innen deutscher Herkunft, für von Brasilien nach Deutschland einwanderungs- und ausbildungswillige Fachkräfte eine funktionierende Infrastruktur aufzubauen. Dazu zählt die Überwindung der deutschen Visa-Bürokratie, der in den IHKs angesiedelten Ständegesellschaft, die sich mit Hilfe nicht gegebener Anerkennung von Abschlüssen gegen Einwandernde mit Händen und Füssen wehrt, sowie der multikulturell unqualifizierten Einzelhandels-Arbeitgeber*innen, die in ihrem Stress mit der pöbelnden Kundschaft keine Zeit für sozialkompatiblen Umgang mit ihren Beschäftigten finden.
Beeindruckend das von Frau Töpper beschriebene Thema Bezahlung. Ausbildungsgehalt für einen Fleischereifachverkäufer: 1150 €/Monat. Für Brasilianer*innen (Durchschnittsgehalt: 546 €) sieht das nach viel aus, sehr viel. Die haben sich aber noch nicht mit dem deutschen Wohnungsmarkt beschäftigt. Ihre Miete für ein WG-Zimmer wurde nämlich von 150 auf 300 € verdoppelt. Dä. Und nun versuchen Sie mal, mit so einem Gehalt aus Deutschland noch Hilfe an ihre Familie zu schicken.
In Frau Töppers Reportage reisten die Brasilianer*innen nach einigen Monaten wieder heim, desillusioniert bis hin zu psychisch krank, und nicht bereit, noch mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Die besagte Reportage sende ich Ihnen auf Anfrage gerne zu (nur “zum privaten Gebrauch”!)
Und nun versuchen Sie mal, einen frisch geschnittenen Schinken hier irgendwo in der Nähe zu erwerben. Erfahrungsberichte nehme ich gerne entgegen. Ähnliche Reportagen aus der Alten- und Krankenpflege macht schon niemand mehr – ist ja nichts Neues …
A propos Hirn – ARD
Die ARD sendet in diesen Tagen das massstabsetzende Werk “Der Pate” von Francis Ford Coppola, verfügbar bis 26.1.25. Um unsere Kinder nicht zu verderben, sind der erste und zweite Teil erst nach 22 h verfügbar. Über 16-jährige dürfen es auch vorher sehen, aber nur wenn sie zahlen: mit ihren persönlichen Daten. Zu solcherart Datensammlungen s. VW. Unter 16-jährige werden selbst besser als die ARD oder ihre Eltern wissen, wie sie solchen Unsinn umgehen – denn im Gegensatz zu Eltern und ARD haben sie sich Technikkompetenz verschafft.
Wenn sie die nämlich nicht hätten, wüssten sie bis heute, also bald 2025, nicht, dass dieses Werk nicht nur Kinogeschichte schrieb und Hollywood vor dem ökonomischen Untergang rettete, sondern auch das Selbstbild der Mafiosi in aller Welt formte. Nirgends wurde das besser präsentiert als in den “Sopranos”. Hier versuchte der Mafia-Mittelstand in der Abfallwirtschaft New Jerseys so zu sein, wie Don Vito und Michael Corleone. Diese TV-Serie wurde vom ZDF strategisch planmässig totgesendet, auf dass sie niemand sieht – so, wie sie es noch heute mit “Better Call Saul” machen.
Und warum die ARD den krönenden 3. Teil, den Coppola machen “musste”, weil er das Geld brauchte, nicht anbietet, das fragen Sie am besten sie hier.
Und mal ehrlich: was Grausamkeit, Brutalität, Schmerzfreiheit und moralische Bedenkenlosigkeit betrifft: was unterscheidet den Don Vito Corleone Marlon Brandos von den Aktionär*inn*en des wöchentlich in der ARD-Sportschau präsentierten Grosssponsors der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA, Rheinmetall AG? Fussball also erst nach 22 h, und nur ab 16?
Ob der “Polizeiruf 110” heute um 20.15 h jugendfrei ist? Immerhin geht es um einen Fall in der Pornobranche. Uiuiui. Ich erwähne ihn nur, weil er unter der Regie von Dominik Graf entstanden ist. Könnte also sehenswert sein.
Furchtsame Distanz statt Kommunikation
Der von seinem Ex-Arbeitgeber quasi verfemte Florian Rötzer, der von Kommunikation weit mehr versteht, als die ARD, schreibt in seiner aktuellen Betrachtung “Junge Menschen: Lieber texten als sich real begegnen?” u.a. das: “Vielleicht schützen wir uns zunehmend vor der Grausamkeit der materiellen und körperlichen Welt durch die Auswanderung ins Digitale. Körperliche Nähe wird unheimlich und riskant, in der Blase fühlen wir uns sicherer, schauen in die Welt aus der Beobachterperspektive, ersetzen Sexualität durch Pornografie und ergötzen uns an der realen Gewalt.”
Wer Weihnachten im ÖPNV sass, hat es genau gesehen.
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