Wie lange werden sie – vor allem die Politik-und Medienblase in Mitte – noch brauchen, bis sie merken, dass sie nicht der Nabel oder gar das Zentrum der Republik sind, sondern der Rand. Über die einstige Bundeshauptstadt Bonn wurde zurecht viel gelästert (“Bundesdorf”). Auch in hiesiger Übersichtlichkeit war das Regierungsviertel ein sozialer Mikrokosmos, der allenfalls über Taxifahrten und Inanspruchnahme von Prostitution und anderen gastronomischen Leistungen mit der Gesellschaft hier draussen verbunden war. Damals konnten ca. 40% der gewählten Politiker*innen abends nachhause fahren. Wenn sie es wollten. Das diente ihrer sozialen Erdung. In Berlin sind es weniger als 10%. “Da kannze stundenlang fahrn, un’ triffskein” sagte Jürgen Becker immer über Westfalen. Was soll mann dann zu Brandenburg und Sachsen-Anhalt sagen?
Deutsche jammern gerne. Auf hohem Niveau in der Regel. Der Berliner ramentert. Unüberhörbar. Obwohl: jetzt ist auch mal Zeit für was Positives. Die ICE-Verbindung Berlin-Köln hat Weihnachten funktioniert. Ich habe Zeug*inn*enaussagen. Sogar inklusive Baustellenumleitung um das angebliche Bielefeld drumherum, wahrscheinlich eine Simulation der Deutschen Bahn. Jedenfalls 2 Minuten Verspätung, also keine. Da gucken die in Hamburg dumm aus der Wäsche – deren Strecke wird ständig stillgelegt. Naja, und hinter Köln, also in Bonn, geht ja auch nichts. Derzeit ist Betriebsruhe ab 21 Uhr.
Aber es soll hier gar nicht um die wundersame Bahn gehen. Ich schweife ab. Die FAZ weiss: “Berlin-Tourismus in der Krise: Die Welt fliegt an Berlin vorbei – Nach der Pandemie hat sich der Berlin-Tourismus nicht wieder erholt. Was hat es für Folgen, wenn nun auch noch an der Kultur gespart wird?” (Paywall). Dä. Berliner Lokalmedien melden ebenfalls ständig die Streichung von Flugverbindungen. Endlich tun die da mal was fürs Klima. Und dann soll das auch wieder falsch sein.
Die Kulturpolitik des Berliner CDU/SPD-Senats dürfte beispielgebend für die Republik sein. Ende Februar ist es so weit. Dann werden die ersten beginnen, Claudia Roth noch hinterherzutrauern. Leitmedium für mich ist Jakob Strobel Y Serra/FAZ (mit Firefox war er paywallfrei): “Krise der Sterneküche: Die Rache der Currywurst – Berlins Spitzengastronomie steckt in einer tiefen Krise. Das hat gleich drei Ursachen. Gibt es Hoffnung auf Besserung?” Von 27 (Michelin-)Sternelokalen sollen nur noch 19 übrig sein. Ich weiss, die Mehrheit, auch hier im Westen, interessiert das nicht. Ich selbst esse in solchen Einrichtungen allenfalls ein- bis zweimal im Jahr. Finde dann aber immer, dass es sich gelohnt hat. Nach Berlin muss dafür niemand. Und die Currywurst ist im Ruhrgebiet sowieso besser.
Wäre “die Politik” in Deutschland schlau, würde sie sich schon mal nach einer neuen Hauptstadt umsehen. Aber die Gefahr, dass sie das wird, besteht nicht. Nicht wenige in dieser in demokratischer Vorzeit mal seriösen Branche funktionieren heute kaum weniger medienökonomiegeleitet als: sie.
Im neuen Jahr kann es nur besser werden. Oder ich irre. Nicht zum ersten Mal.
Als Teilzeitberliner sage ich manchmal, Berlin ist eine Bananenrepublik, aber dennoch eine tolle Stadt. Ich fühle mich dort sauwohl. Eine hervorragende Currywurst gibt es bei Konopke an der S-Bahn-Station Eberswalder Straße (die Haltestelle hieß mal Dimitroffstraße, ist lange her), aber noch besser an der S-Bahn-Station Schönhauser Allee, die sogar wahlweise vegan oder zumindest Bio mit Bio-Pommes und Bio-Schranke. Auch sonstige gute (und gleichzeitig preiswerte) Restaurantempfehlungen gebe ich gerne.
Naja, Claudia Roth. Die hat mit Berlin gar nichts zu tun. Ich habe keinerlei Sympathie für die Partei ihrer Vorgängerin, aber kulturpolitisch war die besser und effektiver. Wer Claudia Roth nachtrauert, muss schon ein sehr schlechtes Bild von der Zukunft und der Zeit vor ihrer Zuständigkeit haben. Nicht, dass die Berliner Koalition ein Vorbild wäre, ganz und gar nicht, aber wie ist das eigentlich in Nordrhein-Westfalen? Es gibt ein zahnloses Kulturfördergesetz aus rot-grüner Zeit, einen Aufschwung gab es davor mit Große-Brockhoff als Kulturstaatssekretär unter Rüttgers, danach stagnierte es, und jetzt – so ohne Haushalt im Bund und mit den Kürzungen im Land – werden viele, vor allem kleine Träger, dichtmachen müssen. Um über die Runden zu kommen, müssen manche private Kredite aufnehmen, hoffend, dass die nächste Bundesregierung das tut, was Claudia Roth und ihre Landeskolleg:innen auch nicht getan hat, für eine verlässliche Finanzierung der Kulturarbeit zu sorgen. Gilt auch für Kinder- und Jugendarbeit. Das, was Lisa Paus da angerichtet hat, ist eine Katastrophe (siehe dazu meinen Essay “Reale Basis”: https://demokratischer-salon.de/beitrag/reale-basis/). In der politischen Bildung hat LP keine Freund:innen mehr, wirklich niemanden. Aber das hat alles nichts mit Berlin zu tun, allenfalls dann, wenn LP tatsächlich wie angekündigt Kandidatin der Grünen für das Amt der Regierenden wird. Man kann sich als Partei schon ganz einfach unwählbar machen. Das hat Bettina Jarasch auch geschafft. Ich kenne Leute, die sonst die Linke oder die SPD gewählt haben, jetzt aber CDU, weil sie die Verkehrspolitik von BJ so schrecklich fanden, nur damit BJ nicht wieder Verkehrssenatorin wird.
Ich wünsche jedoch allen, die dies lesen, für das neue Jahr Ruhe und Gelassenheit, Kreativität und Zuversicht. Und vielleicht auch mal einen offenen Blick auf Berlin, das mit seinem Nahverkehr ein gutes Vorbild für Bonn, Köln und das Ruhrgebiet ist, bis in die späte Nacht hinein, und bei Streckensperrungen gibt es immer eine schöne Ausweichstrecke (mit dem Müll in Mitte und der Sicherheit in der U 8 ist das schon eine andere Sache, aber das gibt es in Köln und im Ruhrgebiet auch). Einen solchen Nahverkehr hat das Ruhrgebiet nicht geschafft, Köln auch nicht und Bonn erst recht nicht. Das ist Entwicklungsland für den ÖPNV. Allerdings versucht Bonn, es Berlin ein dieser Hinsicht nachzumachen, allerdings nur bei dem unsinnigen Vorhaben in Berlin (unter der grünen Verkehrssenatorin), die Friedrichstraße autofrei zu machen, wo ohnehin nie jemand flanierte, weil es da auch kaum etwas gibt außer ein paar Cafés der Einsteinkette (Lafayette ist jetzt auch weg, aber es gibt noch das Russische Haus, diese Putin-Enklave in Berlin-Mitte). Die Bonner Verkehrspolitik läuft ähnlich: Fahrradpartei gegen Parkplatzpartei. Aber ein kulturelles Highlight hat Bonn wiederum nicht: Hier hat Bouvier schon lange dicht gemacht, Berlin hat Dussmanns. Das ist eine Perle.
Nur am Rande: Wir fahren von Bonn immer ab Siegburg über Frankfurt nach Berlin. Funktioniert immer und wenn man warten muss, in Frankfurt gibt es am Hauptbahnhof die beste Lounge Deutschlands, auch die am Frankfurter Flughafen ist nicht schlecht. Da lässt es sich aushalten, Kaffee trinken, Zeitung lesen, sehr angenehm. ,
In diesem Sinne: einen guten Rutsch!