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Zumutung

“Es tötete nur, wer töten musste” – Naziverbrecher um Ausreden nie verlegen – TV-Anstalten trauen sich nicht, das dem Publikum zuzumuten

Es geht mir um Die Ermittlung – Die Adaption von Peter Weiss’ Theaterstück ‘Die Ermittlung’ bringt ein erschütterndes Kapitel der deutschen Geschichte auf die Leinwand. Er folgt den Spuren des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Das Ergebnis ist ein Film, der nicht nur Mahnung gegen das Vergessen ist, sondern auch den Appell ‘Nie wieder!’ zur Botschaft hat.” Zu Arte abgeschoben, und auch dort trauten sie sich nur zu einem Start des vierstündigen Stückes um 21.45 h. Die Sonntagsreden zu Auschwitz sind gehalten, verfügbar nur noch bis 25.2.

Deutschlands öffentlich-rechtliche Anstalten, ihre Intendanzen und Programmdirektionen sollten sich in die Ecke stellen und schämen gehen.

In Deutschland herrscht die Unsitte, Fremde zu testen, ob sie auch in der Lage sind, gute Deutsche zu werden. Diesen Spiess neige ich umzudrehen. Deutsche, die ein öffentliches Amt anstreben, sollten verpflichtet werden, vor dem Amtsantritt diese hochwertige theatralisch inszenierte TV-Arbeit von der ersten bis zur letzten Minute (4 Stunden) auszuhalten. In ein ausliegendes Poesiealbum sollten sie ihre eigenen Gedanken dazu niederschreiben. Wer unter solchen Voraussetzungen lieber auf ein öffentliches Amt verzichtet, leistet der Demokratie des postfaschistischen Deutschland einen grossen Dienst.

Informativ auch der Wikipedia-Eintrag. Hier ist zu erfahren, dass die betagte Verlagsmilliardärin Friede Springer (82) koproduziert habe. Was will sie der Öffentlichkeit damit mitteilen? Wenn sie mit dem Treiben der Herren Döpfner und Musk nicht einverstanden ist – warum sagt sie es ihnen nicht direkt in ihre hochnäsige Visage?

Kein grosses Aufsehen macht die Inszenierung um einen weit grösseren Helden unserer Demokratie: Fritz Bauer. Ohne den politischen und juristischen Kampf dieses zutiefst demokratischen Staatsanwalts wäre der Frankfurter Auschwitzprozess vielleicht gar nicht zustande gekommen. Nennen Sie mir einen, der sich mehr um die politische Hygiene dieser Republik verdient gemacht hat.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Ruhrwellenreiter

    Aus dem Reflex heraus würde ich dem Autor zustimmen. Ein Stück, das über 4 Stunden, bis 1:45 am nächsten Morgen geht, erst um viertel vor Zehn am Abend beginnen zu lassen, bedeutet für den/die durchschnittliche:n Arbeitnehmer:in, das Ende schon nicht mehr wach (oder bei Bewusstsein) zu erleben.

    Andererseits denke ich aber, dass gerade für Inhalte wie diesen, deshalb eine angemessene Online-Aufbereitung Pflicht für die Sender ist. Eben um es auch Zielgruppen zu erschließen, die keine 4 Stunden vor dem Fernseher sitzen können – egal um welche Uhrzeit.

    Und da haben sich ARTE und BR eigentlich gut ergänzt. Denn sie haben das Stück nicht nur als Film bei ARTE in der Mediathek verfügbar gemacht, sondern auch als Mehrteiler in der ARD-Mediathek.

    Gerade der Mehrteiler (ich weigere mich einfach hier den Terminus “Serie” zu benutzen) bietet sich förmlich an, ihn auch im Rahmen des Unterrichts an Schulen zu zeigen. Die Länge der einzelnen Kapitel passt perfekt in eine Schulstunde und kann auch sehr gut einzeln vor- und nachbereitet werden. Für engagierte Lehrer:innen ist das eigentlich ein Geschenk!

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