“The Next Level”, verfügbar ein Jahr – Drehbuch von Alexander Osang. Das schürte bei mir Erwartungen. Osang als gebürtiger Ossi arbeitete vor und nach der Wende für die Berliner Zeitung, als die noch wie die Washington Post werden wollte. Ob es gut oder schlecht ist, dass sie diesem Ziel nie gerecht werden konnte – das überlasse ich Ihnen. Osang ging später, 1999, für ein mutmassliches Traumgehalt als Starreporter zum Spiegel. Angela Merkel ehrte ihn mit ihrem ersten Live-Interview nach ihrer Kanzlerinnenschaft. Ob das objektiv eine Ehre für einen Journalisten ist – auch das sollten Sie selbst entscheiden.
Produziert wurde die Serie für die ARD-Degeto von den Firmen Letterbox und RealFilm. Dass beide in Berlin ansässig sind – wie Drehbuchautor Osang – ist wohl verantwortlich für das zerdehnte Berlin-Gedöns dieser Produktion. Vielleicht ist es auch den fördernden Anstalten geschuldet. Offenbar hat aber auch die “Dramaturgische Überarbeitung” (Ipek Zübert, Thomas Gerhold) nicht ausreichend was zu sagen gehabt.
Die Story war offenbar stark autobiografisch von Osang inspiriert. Zugunsten der Verfilmung hätte eine dramaturgische Straffung der Sache gutgetan. Statt 6 Teilen in 4,5 Stunden hätte es auch eine normale Spielfilmlänge getan, die gleiche Geschichte zu erzählen und von überflüssigem Klimbim zu befreien. Der Konflikt zwischen Katholizismus und Judentum, der in einer US-amerikanische Familiengeschichte angesiedelt wurde, zählte nicht zu diesem Klimbim, hätte aber auch in Deutschland statt in New York angesiedelt werden können. Der ganze New Yorker Handlungsstrang hatte offenbar vor allem den Sinn, der Berliner Piefigkeit der Erzählung eine Weltläufigkeit zu verleihen. Und Osangs spiegeltypischer Filosofenkitsch in der Schlussfolge – den hätten ihm starke Produzent*inn*en niemals durchgehen lassen dürfen.
Ensembleleistung (Jens Harzer gegen eine starke Damenriege; für ihn aus meiner Sicht ein ehrenvolles Unentschieden) und Regie würde ich von diesem Tadel freisprechen. Die wehren sich selbstverständlich weder gegen Ausdehnung der Story noch gegen Drehtage und Dienstreisen zu bildattraktiven Destinationen.
Welch ein Kontrast in Bonn-Beuel
Hier führte Jürgen Becker schon im Dezember im “Pantheon” sein neues Programm auf: “Deine Disco – Geschichte in Scheiben – Wie Musik Politik macht”. Und WDR5 verwöhnte seine Hörer*innen gestern mit einem knapp zweistündigen Ausschnitt, verfügbar 2 Jahre.
Ich bin Becker-Fan, und will nicht zu viele Worte machen. Stattdessen hier, was der Künstler selbst zu seinem Programm hat schreiben lassen:
“Ohne die bahnbrechende Erfindung der E-Gitarre wäre die Geschichte anders verlaufen. Die 1968er, Jimi Hendrix, die Hippies, Janis Joplin und Woodstock hätten ohne die Erfindung der E-Gitarre nicht so stattgefunden, wie wir sie kennen.
Es sind der Soundtrack und seine Resonanzen in der Gesellschaft, die eine Bewegung erfolgreich machen. So hatten die Hausbesetzer Ton Steine Scherben und die Friedensbewegung hatte Bots & BAP. Die Frauenbewegung hatte Ina Deter, die Punker hatten Patti Smith. Die Klimabewegung steht heute ohne eigenen Sound da und droht zu verlieren: Die Erde wird unaufhörlich heißer. Eine Katastrophe, die Jürgen Becker mit ‘Deine Disco’ perfekt analysiert.
‘Deine Disco’ ist ein Kabarettprogramm, wie es noch keines gab: Politik, Platten, Protest und Pointen werden als mitreißende Radioshow auf der Bühne live gemischt. Man taucht satirisch tief in die Soundfiles der bewegten Jugend ein und rettet damit am Ende sogar die Zukunft: Follow the Science.
Doch vergesst die Emotionen nicht! Nicht umsonst antwortete Joseph Beuys auf die Frage, ob man mit Kunst die Welt verändern könne: ‘Nur mit Kunst!'”
Ich versichere Ihnen: wenn Sie sich das anhören – danach geht es Ihnen besser!
Allerdings einen inhaltlichen Kritikpunkt habe ich doch. In der Radioaufzeichnung aus dem Pantheon (in Beuel!) spricht der Künstler von der “Hofgarten-Demo 1982” (der Friedensbewegung). Das ist falsch. Die erste Hofgarten-Demo mit 300.000 Menschen war am 10.10.1981. 1982 demonstrierten 500.000 am 10.6. anlässlich des Staatsbesuches von US-Präsident Reagan gegenüber dem Bundestag in der Rheinaue in Beuel. Ich habe bei beiden Veranstaltungen, und auch im Herbst 1983 (da wieder im Hofgarten u.a. mit dem Gastredner Willy Brandt), in der Pressebetreuung hinter der Bühne gearbeitet. Das Musikprogramm, um das es Jürgen in seinem Programm geht, gestaltete 1982 in vorderster Linie Dieter Dehm, späterer MdB und Wagenknecht-Fan, der seinerzeit das “Musikant”-Label unter dem Dach des in Köln ansässigen Musikkonzerns EMI-Electrola betrieb. Thorn-EMI übrigens war immer auch in Rüstungsgeschäften aktiv. Aber ich schweife ab.
Die Schlusskundgebung in der Rheinaue, seinerzeit von meinem besten, längst verstorbenen, Friedensfreund Klaus Mannhardt moderiert, war in der Tat der Durchbruch für eine ganze Menge der von Dehm betreuten Bands, u.a. BAP, die trotz Sprachbarriere danach ertragreicher Rock-Mainstream waren, und aus gutem Grund extra für diesen Karrierehöhepunkt ein eigenes Lied “10. Juni” komponiert hatten. Alles Beuel, nicht Hofgarten, lieber Jürgen.
Nächste Termine im Pantheon: 3. und 13. Juni – also nah am Jahrestag der Beueler Rheinauendemo mit dem Smash-Hit von Joseph Beuys “Sonne statt Reagan” – aber singen konnte der nicht …
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