Das Wort Grundversorgung ist ein merkwürdiges, aus zwei Teilen bestehendes Wort. „Versorgung“ hat einen beruhigenden Wort-Charakter. Wie ein Versprechen. Das Wort „Grund“ passt nicht dazu. Es lässt sich als Einschränkung interpretieren. Dieses zweiteilige Wort begegnet uns beispielsweise, wenn wir uns mit der Gesundheit, mit Heilung, mit Therapie beschäftigen. Eine medizinische Grundversorgung gilt denjenigen, auf die das Asylbewerber-Leistungsgesetz zutrifft. Die werden wegen akuter Erkrankungen und akuter Schmerzzustände behandelt. Die für viele Millionen geltende gesetzliche Krankenversicherung umfasst sehr viel mehr als Akutbehandlungen. Das volle Leistungsrecht der GKV gilt für Asylbewerberinnen und -Bewerber erst nach 36 Monaten Aufenthalt in der Bundesrepublik. Soweit die „Grundversorgung“ im Bereich Gesundheit. Da leuchtet das Wort „Grund“ ein.
Nun taucht das Wort in einem Schreiben der Leiterin des Bonner Kulturamtes, Susanne König, an die Fraktionen im Stadtrat auf. Sie stellte fest, dass die, wie sie schrieb, „informationelle Grundversorgung“ und zudem die „literarische Grundversorgung“ für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt gegeben seien. Aha. Zu dieser Feststellung sah sich die durchaus hochrangige Repräsentantin der Bonner Stadtverwaltung herausgefordert, weil den kirchlichen Büchereien in der Stadt aus Gründen der Kürzungserfordernisse die Zuschüsse gestrichen werden sollen; und weil diese Büchereien angesichts der Ausstattung der städtischen Büchereien im Grunde genommen sowieso überflüssig seien.
Streichungen zu Lasten von Büchereien? Während meiner Redakteursjahre gab´s einen Erfahrungssatz. Der lautete: Wenn die Verlagsspitze die Zahl der abonnierten Zeitungen und Zeitschriften reduziert, wird es Zeit, sich einen neuen Job zu suchen. An diesen Satz erinnert mich das erwähnte Schreiben.
Mir ging auch durch den Kopf, was einer Kulturamts-Chefin durch den Kopf gegangen sein mag, als sie das aufschrieb beziehungsweise diktierte.
Meine „informationelle Grund- und Vollversorgung” besorge ich mir selber, ohne städtische Hilfe: In Zeitungen, die ich täglich lese, in Blogs, die ich im Reich des Digitalen konsumiere, im Gespräch, im Rundfunk, im Fernsehen. Ich schaue mich unter allerlei Neuerscheinungen um, schreibe Texte unterschiedlicher Länge, ich diskutiere über die Welt in der wie leben, streune durch Buchläden. Schließlich helfe ich Schülerinnen und Schülern, ihre Lesefähigkeiten zu verbessern. Alles im Rahmen der informationellen Grundversorgung.
Ich fürchte, dass die Stadt zum Thema wenig beiträgt. Trotz ihrer Büchereien und der Tätigkeit der tüchtigen Beschäftigten in diesen Büchereien, die hoffentlich ordentlich bezahlt werden – im Unterschied zu den Ehrenamtlichen in den Kirchenbüchereien, die für „Gotteslohn“ arbeiten.
Es kommt etwas hinzu: Ich frage mich, welche Ziele eine informationelle Versorgung durch die Stadt verfolgt. Unterhaltung? Demokratieförderung? Vielfalt? Respekt? Oder geht es einfach um die Schönheit von Sprachen und um den Wohlklang so vieler Worte. Geht es um die Demokratieförderung, dann ist es grottenfalsch, die vielen kirchlichen Büchereien in ihren Existenzen zu gefährden.
Städtische Mitteilungen und Papiere beziehungsweise Dokumente zur Vorbereitung von Entscheidungen, die uns Bürger betreffen, sind oft in einer Art abgefasst, dass sie sich nicht ohne weiteres erschließen. Mir hilft dabei, dass ich Teile meines Berufslebens im öffentlichen Dienst verbracht habe; so dass ich notfalls meinen ganz persönlichen „Übersetzungs-Agenten“ einschalten kann.
Die „literarische Grundversorgung“: Da habe ich mir den Kopf gekratzt, weil ich nicht verstehe, was Frau König meint. Woher kennt sie meine Vorstellungen von Literatur? Die der Nachbarn und Freunde? Woher weiß sie, was für mich Bestand hat? Mit was oder wem versorgt uns Literatur? Und falls Literatur nicht versorgt, sondern lediglich sorgt: Wer oder was sorgt? Sorgt der Wilhelm Tell sich um mich? Oder um Frau König?
Ich habe mich im „Treibhaus“ nicht zuhause gefühlt und Frau König gehörte nicht zu den „Frauen am Flussufer“ (ich nehme das jedenfalls an). „Eine kleine Stadt in Deutschland“ ist Bonn nicht mehr und „Todfreunde“, wie sie Wolfgang Kaes beschrieb, habe ich hoffentlich nicht. Die Behauptung, die öffentlichen Büchereien stellten die „literarische Grundversorgung“ sicher, die ist summa summarum ziemlich anmaßend, arrogant.
Also, also, also; um was geht es da wirklich? Die Stadt Bonn mit Rat und Verwaltung steht vor gravierenden Haushaltsproblemen. Die wachsende Verschuldung der Stadt steigt derart rasant an, dass an vielen Stellen auf die Ausgabenbremse getreten werden muss. Das ist unaufschiebbar. In solchen Situationen passiert folgendes: Alle ausgabennahen Teile der Verwaltung, alle Dezernate werden aufgefordert, ihre Einsparvorstellungen zu sammeln und zu dokumentieren, damit das städtische Parlament, der Rat am Ende entscheiden kann, wo die Bremsen wirken sollen.
Man reagiert in solchen Situationen so: Gestrichen wird, wo erfahrungsgemäß bei Kürzungen wenig Gegenwind zu erwarten ist, wo es bisher keinen Protest gab. Demokratieförderung auf der Grundlage des Lesen-könnens und möglichst vielfältiger Literatur – so etwas hat keine lautstarke Unterstützung. Solche Kürzungsvorschläge werden mit wohlfeilen Begründungen versehen. Denn gäbe es solche Begründungen nicht, würden jeder und jede nach der Sinnhaftigkeit beziehungsweise Notwendigkeit einer Förderung/Bezuschussung überhaupt fragen.
Kürzungsvorschläge gegen die sich kaum jemand wehrt, die sind aus Gründen der Arbeitsökonomie verständlich. Politisch und langfristig aber bereiten sie den Selbstmord der Demokratie vor.
Sollte nicht aus den Kirchensteuereinnahmen und dem Immobilienvermögen
https://de.wikipedia.org/wiki/Aachener_Grund
noch etwas für den Erhalt der Büchereinen übrig sein? Zumal, wenn die dort Arbeitenden schon für “Gotteslohn” arbeiten?
Die Grundfinanzierung erfolgt ja bereits durch die Kirchen. Sie stellen die Räume zur Verfügung, tragen die Nebenkosten, finanzieren die PCs, die Drucker, die speziellen Ausleihprogramme, bilden die ehrenamtlich Tätigen durch angestellte Bibliothekare aus und weiter, tragen die Lizenzgebühren bei Veranstaltungen, z.B. das Bilderbuchkino, und steuern auch ihren Beitrag zu der Anschaffung von Medien bei. Der Zuschuss der Stadt für die Anschaffung von Büchern ist letztlich auch eine Unterstützung des Ehrenamts und eine wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung, insbesondere von Familien und Senioren. Das kann von den wenigen Städtischen Büchereistandorten garnicht geleistet werden. Welche Eltern recherchieren im Internet, um die „literarische Grundversorgung“ ihrer Kleinkinder durch Bilderbücher in der städtischen Bibliothek zu decken und mehrere Kilometer zu fahren? Welche Kita und welche Grundschule hat dann noch Gelegenheit in direkter Nachbarschaft Büchereien zu besuchen und die Kinder ans Lesen heranzuführen? Wie kommen Senioren, die beispielsweise nicht mehr so mobil sind und nicht mehr den ÖPNV nutzen können, an ihre Bücher? Hat man im Alter kein Recht mehr auf Kultur? Bitte sparen mit Augenmaß und nicht nur bei der „freien Kultur“. Ich warte auf den Tag, wo man für eine Opern- oder Konzertkarte der „Hochkultur“ einen kostendeckenden Preis zahlt. Hier wären sicherlich noch große Einnahmepotentiale vorhanden.