Journalistin Rosenbach lässt gegen Winterhoff nicht locker – ihr Film wirft hochpolitische Fragen auf, deren Beantwortung aussteht

Vor über drei Jahren brachte eine Dokumentation von Nicole Rosenbach das Geschäftsmodell des Dr. Michael Winterhoff und des u.a. in Beuel ansässigen Vereins Kleiner Muck e.V. gewaltig ins Schleudern. Und das war gut so. Selten ist journalistischen Recherchen so viel Wirksamkeit vergönnt, wie hier ausgelöst wurde. Eine Medienlawine brach langsam aber gewaltig los, so dass jetzt die Strafverfolgungsbehörden des Rechtsstaates ihrer Arbeit nachgehen. Vielen betroffenen Kindern – Rosenbach schätzt in ihrem aktuellen Film, Mediathekverfügbarkeit nicht angegeben, eine vierstellige Zahl – hilft das nicht mehr wirklich. Wie konnte es so weit kommen? Und ist das überhaupt ein Einzelfall?

Wer Kinder liebt, sollte sich die drei Teile ansehen. Offenbar wurde von WDR und SWR selbst produziert. Keine outgesourcte Auftragsvergabe. Ich vermute, dass das für die Recherchearbeit erforderlich war, um kein unnötiges Geschwätz auszulösen. Mutige Menschen treten vor Rosenbachs Kamera und sprechen Klartext, auch über sich selbst. Sie sind die eigentliche Gefahr für diejenigen, die derartigen Geschäftsmodellen mit hilfsbedürftigen Kindern und Jugendlichen nachgehen. Es ist nicht nur der eine mächtige Arzt, sondern umfangreiche Netzwerke, die der Film nur mit Indizien andeuten kann. Im Fall eines Kindes ist von einem Umsatz von 300.000€ in sechs Jahren die Rede. Rechnen Sie mal selbst, wie viel das bei einer vierstelligen Zahl von Kindern wird …

Hier stellen sich die Fragen an das deutsche System der Kinder- und Jugendhilfe. Und sowieso an das Gesundheitssystem. Das Vorgehen Winterhoffs war viele Jahre branchenbekannt. Aber nichts geschah. Mann und Frau hackt sich nicht gegenseitig die Augen aus. Eine ehemalige stellvertretende Jugendamtsleiterin aus Siegburg bestätigt vor der Kamera die vielen Mitwisser*innen, von denen aber niemand Courage entwickelte und die Zäng ussenander bekam. Wenn die Menschen in diesem System so werden und sind, dann muss das System geändert werden. Andernfalls werden aus den Kindern – ich weiss, ich wiederhole mich – Würstchen. Wer will das? Offenbar solche, die sich daran bereichern können.

Weitere Fragen richten sich an das real existierende deutsche Mediensystem, das Rosenbach im ersten ihrer drei Teile auch nur andeutungsweise auf die Rolle nimmt. Besonders negativ verhaltensauffällig ein gewisser Lanz – ich kenn’ den nicht, aber Roland Appel sieht den jede Nacht – der dem Dr. Winterhoff entscheidend dabei behilflich war, der Medienstar zu werden, als der ihm erst in dem massenhaften Umfang seine Bereicherung möglich wurde. Und alle machten mit. Immerhin hat als Einziger Reinhold Beckmann die Eier, vor Rosenbachs Kamera zu gestehen, dass seine Redaktion damals nicht die journalistische Arbeit gemacht hat, für die sie von den auftraggebenden Sendern aus unserem Gebührengeld bezahlt wurde.

Sehen Sie sich die drei Teile an, wenn es Ihr Wohlbefinden erlaubt. Im Abspann habe ich nicht entdeckt, wer für die grauselige Musiksauce verantwortlich war. Wenn Sie eine KI im Fernseher haben, die die ausblendet, schalten Sie sie ein. Nicht wenige Szenen wurden – gut gekennzeichnet – nachgestellt und -gespielt. War das dramaturgisch unumgänglich? Vielleicht. Die starke Seite der drei Filme ist der Journalismus dahinter. Den hätte ich auch härter und kälter gerne genommen. Danach ist einem sowieso ziemlich kalt in diesem kalten Land.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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