Wundersame Bahn CCXXI

Zunächst die Sensation: einer Freundin gelang gestern eine störungsfreie An- und Abreise von Köln-Deutz nach Beuel und zurück. Bei ihrer Ankunft bewunderten wir das sich bietende Schlachtengemälde der jahrhundertalten S13-Baustelle. Bei der Aussenbesichtigung des sich der Einsturzgefahr nähernden Bahnhofsgebäudes versicherte ich ihr, dass ich das Gebäude persönlich noch in voller Funktion erlebt habe: Fahrkartenschalter, Gepäckservice, Kiosk, Bahnhofsgaststätte, Bahnsteigaufsicht, von echten Menschen individuell gesprochenen Bahnsteigdurchsagen, Wetterschutz – war alles mal da. Nun will die Deutsche Bahn AG noch Geld für die Ruine haben, statt dafür zu bezahlen, wenn jemand doch nur bereit wäre, ihr diese “Last” abzunehmen, die zu tragen sie sich seit mittlerweile ganz schön vielen Jahren als unfähig erwiesen hat.

Ja, es gab sie, die guten Bahnzeiten. Die zeitgenössisch so viel gescholtene “Deutsche Bundesbahn” mit ihrem Heer an Bahnbeamt*inn*en erweist sich in der Rückschau als ein Ausbund an infrastruktureller Zuverlässigkeit und öffentlicher Sicherheit überall dort, wo sie einen Bahnhof betrieb, dem oftmals sowohl ein Postamt als auch ein Bahnhofshotel gegenüberstanden. Die EU war noch gar nicht fertig, da war es – anders als heute – möglich, am Fahrkartenschalter (gekennzeichnet mit “Ausland”) bei echten Menschen Fahrkarten in fast alle Länder zu lösen, die heute EU-Mitglied sind. Von Beuel aus nach Port Bou (Barcelona) über Metz, Lyon und Montpellier, nach Lecce über Milano, Bologna, Ancona, Rimini, Bari, Brindisi oder Athen über München, Ljubljana, Zagreb, Belgrad, Skopje und Saloniki. Gut, dass Jugoslawien zerstört wurde, dafür konnte die Deutsche Bahn nichts, Deutschland aber sehr wohl …

In guter Erinnerung blieb mir eine Heimreise aus Italien mit einem Tageszug inkl. italienischem Speisewagen über den Gotthard. Zweifellos einer der schönsten europäischen Streckenabschnitte (heute: oben rum, nicht durch den Tunnel! den die Schweiz selbstverständlich, anders als hierzulande, teuer aber planmässig fertigstellte).

Der Speisewagen war eine Sensation. Anders als in Deutschland wurde frisch zubereitet, statt Fabrikware in der Mikrowelle zu erhitzen. Es gab auch keine Speisekarte, sondern ein Menü. Reservierung erforderlich. Zu dem 4-Gang-Menü bestellte ich mir eine halbe Flasche Barolo. Links und Rechts Fensterflächen, die das langsame Essen (Slowfood) fabelhaft begünstigten. Unvergesslich. Das Menü war seinen Preis wert (Betrag habe ich vergessen, billig war es selbstverständlich nicht). Aber es war ein fahrplanmässiger Zug zum Regeltarif der beteiligten Bahngesellschaften in Italien, der Schweiz und Deutschland.

Eine Reise von ähnlicher Qualität wird von ebendiesen Bahngesellschaften nicht mehr angeboten. Stattdessen macht sich grosses Kapital breit, und bietet eine vergleichbare Qualität heute für mehrere tausend Euro an. Hier berichtet Micaela Taroni/WAZ: “Ticket kostet 3500 Euro: Neuer Luxuszug fährt durch Italien”. Paywallfrei, womöglich hat der Anbieter dafür bezahlt. Hier können Sie sich das kaufen. Diese Anbieterin ist eine Tochter der … Deutschen Bahn AG. Sic.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net