Wenn bei irgendwas die “asymmetrische Demobilisierung” funktioniert hat, dann war es schon immer die “Europawahl”, genauer: die Wahl des Parlaments der Europäischen Union (EU). In Deutschland wird sie am 26. Mai darum mit zahlreichen Wahlen terminlich zusammengelegt, für die Ähnliches befürchtet wird (in zehn Bundesländern). Wir dürfen gespannt sein, wer seine Wähler*innen am erfolgreichsten zur Urne bewegt. Die grösste “Fraktion” werden wieder die sein, die nicht hingehen.
In Deutschland bemühen sich die Minister-Versager der CSU nach Kräften, eine ausserparlamentarische Bewegung für den Klimaschutz zu mobilisieren. Ihren Brüdern und Schwestern von der CDU und SPD gelang es dagegen, weite Potenziale dieser Bewegung, zumindest ihrer Repräsentant*inn*en in der “Kohlekommission” zu integrieren, in der Hoffnung, aus der Bewegung ein bisschen Druck rauszunehmen. Aber wer einen Scheuer hat, der*die braucht keine Gegner*innen mehr.
Von denen haben die SPD-Ladies Nahles und Schulze dennoch reichlich, vor allem im eigenen Laden. Sie kriegen die Umfragewerte nicht hoch und intern wird längst an ihnen gesägt. Selbstbeschäftigung. Schulze scheint mir entschlossen dicke Bretter zu bohren. Ihre Weigerung, einem CDU-nahen ZDF-Journalisten eine binäre Frage zu beantworten, hat viel Wind in Medienkreisen verursacht, keinen guten. Ich sehe das anders: es zeugt davon, dass sie eine eigene Agenda zielstrebig verfolgt, statt sich von was-mit-Medien-Leuten durch die Arena ziehen und treiben zu lassen. Doch Svenja allein wird die SPD nicht retten können. Forsa sieht sie in Bayern bereits nah an der 5%-Hürde, oje, oje …
Das spektakuläre Bayern-Umfragematerial zeigt eine Polarisierung zwischen CSU und Grünen. Die gibt es im Klimadiskurs offensichtlich, und sie könnte die Auseinandersetzung bestimmen. Strategisch wäre das tödlich für die SPD, aber ein Fenster der Gelegenheit für entschlossene Grüne. Ich frage mich nur, ob Die Grünen als Kleinpartei, die sie nicht in Umfragen aber organisatorisch geblieben sind, das intellektuelle strategische Potenzial und die Org-Kraft haben, mit dieser Polarisierung umzugehen. Können sie Mobilisieren?
Hans Hütt/FAZ, beruflich gezwungen sich dauerhaft deutschen Talkshow-Trash reinzuziehen, nutzt diese Quälerei zu scharfen Analysen, wer auf welche Weise einen tragfähigen Europa-Diskurs absichtsvoll sabotiert.
Steffen Vogel/Blätter gibt einen informativen Überblick über die europaweiten Kräfteverhältnisse. Seine Schluss-Sequenz ist liebenswert naiv. Die Chancen für die Euro-Linke sind gross wie nie, ihr Versagen durch Selbstspaltung aber auch. Ich erwähnte bereits den “Caudillismo” – in Europa: Melenchon, Lafontaine, Varoufakis. Die Egos werden stärker, die Parteien umgekehrt proportional.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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