China und Russland bleiben als Feinde auserwählt
In der Not müssen die zerfledderten Institutionen Nato und EU, sowie die um ihre Führung konkurrierenden Mächte mit ihren immer instabileren Regierungen, sich umso mächtiger aufblasen. Um die schwächlichen Organisationen notdürftig zusammenzuhalten sind äussere Feinde lebensnotwendig. Die immerhin sind gefunden. Und Überraschung: es sind immer noch die von gestern und vorgestern.
China ist keine militärische Bedrohung, dafür ist es nicht doof genug. Sicher, es ist Atommacht. Das genügt als Potenzial. Es ist aber nicht erforderlich alles einem ökonomisch unproduktiven militärisch-industriellen Komplex hinten und vorne reinzuschieben. Ferner achtet die Staatsführung auf staatliche Kontrolle der Volkswirtschaft und der grössten Konzernkonglomerate, damit ihr nicht wie bei der letzten Bankenkrise im Westen, fast der ganze Laden eines Tages um die Ohren fliegt. Die Währung lautet: Vertrauen darin, wer die Macht hat. Die Expansionsgefahr, die von China ausgeht, ist ökonomisch. Und darauf finden weder Nato noch EU bis heute eine adäquate Antwort. Menschen- und Bürgerrechte könnten ein Element der Antwort sein, wenn sie von glaubwürdigen Kräften eingebracht würden – aber schauen Sie sich so ein Nato-Gipfeltreffen an. Finden Sie eine*n?
Bei Russland ist es umgekehrt. Es ist bei der Mehrheit der herrschenden Klasse in Deutschland unten durch, weil es ökonomisch zu unbedeutend geworden und bündnispolitisch in Europa umzingelt ist. Die Strategie lautet: werfen Sie ihre Waffen weg, und kommen Sie mit erhobenen Händen raus! Dass Putin nicht diese Absicht hat – ich weiss nicht, wie es Ihnen geht – verstehen kann ich das durchaus. Russland wendet sich also China zu, 6.000 km Pipeline wurden gerade eingeweiht. China muss Russland nicht mehr fürchten – es ist jetzt “der Stärkere”.
Besonders arm für die deutsche Demokratie finde ich, dass diese Fragen nicht mehr in einem öffentlichen Diskurs erörtert werden, sondern durch geheimdienstlich inspirierte Durchstechereien, bei denen sog. “Rechercheverbünde” bereitwillig den Lautsprecher spielen. Bei Strategiefragen dieser Wichtigkeit ist Streit erforderlich, öffentlich, mit Transparenz der beteiligten Interessen. Es gab mal Bundesregierungen und Aussenminister, es gab sogar mal Parteien, denen das ein Anliegen war. Alles weg? Dass die deutschen Herrschenden das nicht wagen, dass sie uns aufrüstungsunwilligen Beherrschten misstrauen, das mag ich einerseits als gutes Zeichen interpretieren, dass die Öffentlichkeit nicht alles beliebig mit sich machen lässt. Auf Dauer aber wird mit so einer Konstellation die restliche Demokratie unterhöhlt. Wenn sie dann zusammenstürzt, ist es für Reparaturen zu spät. Ein bisschen wie beim Klima.
Update nachmittags: Besonders augenfällig wird die Schwäche des Torsos, der früher “der Westen” genannt wurde, im Iran. Die europäischen Regierungen waren absolut unfähig, dem Iran, der einer terroristischen Strategie des Trump-Regimes ausgesetzt war und ist, ein Angebot zur Einhaltung des lebenswichtigen Atomabkommens zu machen, das er nicht hätte ablehnen können. Die ökonomische Lage hat im Iran nun eine brandgefährliche politische Situation zusammen geschoben, gegen die der Krieg in Syrien inkl. der Einmischung zahlreicher ausländischer Mächte ein laues Lüftchen gewesen sein könnte. Das Trump-Regime will genau das. Aber in wessen Interesse soll das in Europa sein? Die heutige Bundesregierung wird, wenn es zu sozialen, politischen und militärischen Explosionen kommt, schon aus dem Amt geflohen sein. Aber von uns werden es die meisten noch miterleben.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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