Von Rolf-Henning Hintze
Bayerns Verwaltungsgerichtshof entscheidet in 2. Instanz über kommunale Raumverbote in München
Über einen umstrittenen Stadtratsbeschluß darf seit über zwei Jahren in München nicht mehr in städtischen Räumen diskutiert werden. Ob dies mit den Grundrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit vereinbar ist, wird der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am kommenden Mittwoch in öffentlicher Berufungsverhandlung erörtern. Weit über die Grenzen Bayerns hinaus wird das Urteil mit großer Spannung erwartet, besonders von zivilgesellschaftlichen Gruppen. Wolfgang Killinger vom Vorstand der Humanistischen Union Bayern etwa hofft, dass das Urteil der ersten Instanz korrigiert wird, „damit in städtischen Räumen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wieder beansprucht werden kann, auch dann, wenn es um Israel und Palästina geht.“
Im Dezember 2018 hatte das Verwaltungsgericht München eine Klage gegen eine Raumverweigerung der Stadt abgelehnt. Die Richter urteilten damals, die Stadt habe bei der Raumvergabe einen „weiten Ermessensspielraum“ und hätte zulässig gehandelt. Die Stadt habe auch nicht gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5) verstoßen, da sie „nicht verpflichtet ist, öffentliche Einrichtungen vorzuhalten oder einmal gegebene Möglichkeiten zur Meinungsäußerung beizubehalten, damit ein Einwohner weiterhin seine Meinung auf bestimmte Art äußern kann“.
“Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein?”
Geklagt hatte der Münchner Bürger Klaus R., weil ihm die Veranstaltung einer Diskussion mit dem Titel „Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein? Der Stadtratsbeschluss vom 13.12.2017 und seine Folgen“ im Saal des Münchner Stadtmuseums verwehrt worden war. Das Museum hatte ihm die Absage im April 2018 damit begründet, daß der Stadtratsbeschluß der Veranstaltung entgegenstehe. Weiter schrieb das Museum, es sei davon auszugehen, daß die geplante Diskussion „nicht ohne eine Thematisierung von BDS sowie deren Inhalte, Themen und Ziele auskommt“ . Der Stadtratsbeschluß vom 13.12.2017 untersagt jegliches „Befassen“ mit der gegen die israelische Besatzungspolitik gerichtete Boykottkampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen).
Das Urteil der 1. Instanz verletze die Grundrechtsartikel 5 und 8 (Meinungfreiheit bzw. Versammlungsfreiheit), argumentiert der Münchner Anwalt Tobias Kumpf in der Berufungsklage. Eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Meinungsfreiheit gehöre „zum Kernbegriff unserer Verfassungsordnung“. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sei eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, nach dem „Lüth-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts sei es „schlechthin konstituierend für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung“. Als Träger öffentlicher Gewalt seien Staat und Gemeinden an dieses Grundrecht gebunden. Durch die Raumverweigerung, so der Anwalt, sei rechtswidrig in das Grundrecht der Meinungsfreiheit eingegriffen worden, das Verwaltungsgericht hätte die Stadt zur Raumvermietung verpflichten müssen.
Anwalt Tobias Kumpf: Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) ergibt Rechtsanspruch
Auch nach Art. 8 des Grundgesetzes (Versammlungsfreiheit) habe der Kläger einen Rechtsanspruch auf Saalüberlassung führt Anwalt Kumpf aus. Rechtlich erlaubte Diskussionsveranstaltungen seien vom Versammlungsbegriff erfaßt, „wenn deren Ziel die kollektive Erörterung und die Einflußnahme auf die Öffentlichkeit ist.“ Die geplante Diskussionsveranstaltung stehe demnach als Versammlung unter grundrechtlichem Schutz. Der Klage hätte deshalb stattgegeben werden müssen.
Verletzt werde auch die Bayerische Gemeindeordnung, führt der Anwalt in seiner Klageschrift aus, denn sie berechtige „alle Gemeindeangehörigen, nach den bestehenden allgemeinen Vorschriften die Einrichtungen der Gemeinde zu nutzen.“
Die Auswirkungen des Stadtratsbeschlusses, der sich nicht nur auf städtische, sondern auch auf alle städtisch geförderten Räume erstreckt, sind weitreichend. So wies im vergangenen September Münchens damaliger Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) das EineWeltHaus (EWH) schriftlich an, eine angekündigte Vorführung des palästinensischen Dokumentarfilms „Broken“ samt anschließender Diskussion mit dem Regisseur Mohammed Alatar abzusagen. Thema des Films ist das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, das die von Israel errichtete Mauer zum Westjordanland als unrechtmäßig wertet. Die verunsicherte Geschäftsführung des EHW – das Haus hängt zu rund zwei Dritteln von Zuwendungen der Stadt ab – hatte den Film zunächst angesehen und für problemlos befunden, bevor sie einen Vertrag mit dem Veranstalter, der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe, unterzeichnete. Nach der Anweisung des Kulturreferenten mußte die Dialoggruppe erst ein Gericht bemühen, um die Veranstaltung mit einer Einstweiligen Verfügung zu erzwingen.
Jahrelang war das EineWeltHaus in München ein bevorzugter Ort für Vorträge zum Nahost-Konflikt oder zu Antisemitismus gewesen, diese Zeiten sind jedoch vorbei. Es schien von vornherein aussichtslos, für die Vorstellung des neusten Buches des israelischen Historikers Moshe Zuckermann („Der allgegenwärtige Antisemit oder Die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit“) einen Saal im EWH zu bekommen. Deshalb wich die Gruppe SalamSchalom gleich auf ein bekanntes Gasthaus in Schwabing aus. Dieses zog seine Zusage dann allerdings plötzlich aus Furcht vor Protesten wieder zurück. Nur mit viel Mühe wurde ein anderer Saal gefunden.
Als aussichtlos schätzte auch die „Landesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik“ der Linken die Vorstellung eines neuen Buchs zu Palästina im EineWeltHaus ein. Es wurde von Richard Falk, dem US-amerikanische Rechtsprofessor und früheren UN-Sonderberichterstatter für das besetzte Palästina, zusammen mit dem Hamburger Völkerrechtler Norman Paech und Annette Groth, der früheren Bundestagsabgeordneten der Linken, herausgegeben. Das Buch sollte in Anwesenheit Annette Groths vorgestellt werden, die als Befürworterin der Boykottkampagne BDS bekannt ist. Die Veranstalter konnten in diesem Fall einen Saal der Caritas buchen.
Das EineWeltHaus empfindet den Stadtratsbeschluß vom 13.12.2027 selbst als „empfindlichen Eingriff“ in seine Arbeit. Auftrag des Hauses sei „eine durchaus kontroverse, aber sachliche Diskussion auf Grundlage von Menschenrechten und Völkerrecht zu gewährleisten und dadurch öffentliche Meinungsbildung zu ermöglichen – auch zu BDS“, schrieb die Geschäftsführung im Januarprogrammheft 2019 einem Kommentar. Der Stadtratsbeschluß führe zu einem „Demokratiedefizit“, er habe dafür gesorgt, daß ein wichtiges Thema stadtweit vom Diskurs ausgespart bleibe. Der Kommentar endet mit dem Appell an den Stadtrat, den Beschluß zurückzunehmen.
Probleme auch bei privaten Räumen
Auch die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe buchte Monate später im vergangenen Jahr den Saal der Caritas. Christoph Sydow, ein Redakteur des Spiegel sollte einen Vortrag zu einem brisanten Thema halten, über das er zusammen mit fünf weiteren Redakteuren einen detaillierten Artikel veröffentlicht hatte: die Lobbyarbeit pro-israelischer Gruppen gegenüber Abgeordneten des Bundestags. Es dauerte nicht lange, bis Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens, davon erfuhr. Sie verlangte von der Caritas umgehend die Kündigung des Vertrags. Die Caritas gab prompt nach und widerrief ihre Zusage. Erst mit einer gerichtlichen Verfügung konnte sie veranlaßt werden, den Saal zu überlassen. Allerdings kam die Eilentscheidung des Gerichts so spät, daß der Referent nicht mehr rechtzeitig aus Hamburg anreisen konnte.
Selbst wenn es allein um den umstrittenen Stadtratsbeschluß von 2017 geht, ist inzwischen, wie die Humanistische Union erfuhr, auch die Anmietung eines privaten Saales enorm schwierig geworden. Die Bürgerrechtsorganisation wollte es nicht in den Kopf, daß in München keine öffentliche Diskussion über den strittigen Beschluß mehr stattfinden könne, und beschloß, eine qualifizierte Podiumsdiskussion in einen privaten Saal zu verlagern. Sie erlebte, daß Saalvermieter reihenweise absagten, fast immer ohne Begründung. Hätte am Ende nicht überraschend die „Freiheizhalle“ (das ehemalige Heizkraftwerk) eingewilligt, wäre die Diskussion vermutlich ausgefallen.
Nach dem Willen der Veranstalter – neben der Humanistischen Union noch der Freidenkerverband und das Münchner Bündnis für das Recht auf freie Meinungsäußerung – sollte auch ein Stadtrat von CSU, SPD, Grünen oder FDP, die für den Beschluß gestimmt hatten, auf der Bühne sitzen. Da sich kein einziger zu der Diskussion u.a. mit dem Genfer taz-Korrespondenten Andreas Zumach bereitfand, blieb ein Stuhl auf dem Podium den ganzen Abend leer. Immerhin wurden mehrere Zitate aus einem Interview des damaligen CSU-Stadtrats Marian Offman (inzwischen SPD) von einem Schauspieler verlesen, sodaß die Rathausmehrheit indirekt vertreten war (nachzuhören in einer Videoaufzeichnung). In den vier Münchner Tageszeitungen fand die Veranstaltung erwartungsgemäß keine Beachtung, einzig ein Medienblog für Kommunikationswissenschaftler brachte einen sehr informativen Artikel.
Dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird bundesweite Bedeutung zukommen. Es geht um nicht weniger als darum, ob das Grundgesetz weiterhin als oberster rechtlicher Maßstab auch für Kommunen bindend ist.
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