In vielen Medien wird der Krisenstab des Auswärtigen Amtes gelobt wegen der Rückführung deutscher Tourist*inn*en. Was nur sehr wenige wissen: den Krisenstab wurde unter Grüner Führung eingerichtet, Ein Textauszug aus dem Buch “Kriegsgeschrei und die Tücken der deutschen Außenpolitik” München Berlin Wien 2013.
von Ludger Volmer
Mein erster Katastropheneinsatz richtete den Blick auch auf die Vorkehrungen im Auswärtigen Amt in Bonn. Ein gründlicher Check war angesagt. Der Arbeitsstab Humanitäre Hilfe arbeitete zusammen mit den Botschaften schnell, unbürokratisch, gut eingespielt mit den Hilfsorganisationen. Doch hier ging es im Prinzip nur um die Zuweisung von Hilfsgeldern. Das war angesichts zunehmender Gefahren zu wenig. Wo war das zentrale Katastrophenzentrum? Wo ein fest installierter Krisenstab? Fehlanzeige. Es gab sie nicht oder nur auf dem Papier. Die Vorgänger im Amt hatten es nicht für nötig gehalten, solche Einrichtungen zu schaffen. Wenn es irgendwo brannte, wurden ad hoc einige Leute zusammengetrommelt, oft genug recht mühsam und langsam, weil auf freiwilliger Basis, und als Krisenstab installiert. Oft argwöhnisch beäugt von anderen Ministerien, die auch die Federführung wollten.
Mit ausschlaggebend für die Einrichtung des ständigen Krisenstabes war ein Entführungsfall gewesen.
…
“Jolo-Geiseln”
Der Fall der „Jolo-Geiseln“ zeigte dramatisch, dass „menschliche Sicherheit“ in Zeiten der Globalisierung eine ernst zu nehmende außenpolitische Aufgabe wurde. So schlug ich Außenminister Fischer vor, ein ständiges Krisenreaktionszentrum einzurichten, ausgestattet mit der besten Kommunikationstechnik, rund um die Uhr besetzt, um jederzeit sofort handlungsfähig zu sein. Beim Umzug von Bonn nach Berlin wurde der Plan realisiert. Unten im Keller, in den Tresorräumen der alten Reichsbank, in denen auch die DDR ihr Gold gehortet hatte, abgeschottet, überflutungssicher, falls jemand Berlin unter Wasser setzten sollte. Auch meinem Vorschlag, einen ständigen Krisenstab einzurichten, den dessen Leiter, ohne lange auf Weisung von oben warten zu müssen, aktivieren konnte, folgte der Minister. Es wurde ein Mechanismus festgelegt, wer wann wo schnellstens zusammen zu kommen habe, sobald eine Katastrophenmeldung eintraf. Auch andere Ressorts waren unter Federführung des AA beteiligt. So konnte effektiv koordiniert und wertvolle Zeit gewonnen werden.
Es ging nicht nur um große Natur-Katastrophen, es ging auch um Unfälle im Ausland, um Geiselnahmen, um Einzelschicksale. Etwa um die Risiken von Touristen im Ausland. Im Prinzip ist auf Reisen jeder für sich selbst verantwortlich; Gefährdungen sind Teil des allgemeinen Lebensrisikos. Doch im Sinne von Sozialstaatlichkeit muss der Staat Vorkehrungen treffen, Hilfen anbieten.
Wer hat verlässliche Informationen?
Menschen wollen z.B. schnell wissen, ob von Unfällen oder Katastrophen eigene Angehörige betroffen sind. An wen sollen sie sich wenden? Wer hat verlässliche Informationen? So ließ ich eine ständige Hotline einrichten, eine feste Telefonnummer, über die Betroffene schnellstens direkt mit dem AA Kontakt aufnehmen können. Zudem veranlasste ich, dass die Informationen des Auswärtigen Amtes über Gefahren im Reiseland systematisch ausgebaut und veröffentlicht wurden. Es gibt nun „Reisehinweise“, die mahnen, in bestimmten Weltgegenden erhöhte Vorsicht walten zu lassen. Die Steigerungsform ist die „Reisewarnung“. Sie rät von Touren in diese Gebiete dringend ab. Dieses Instrument war präzise und vorsichtig anzuwenden. Denn wenn sich ein Tourist auf eine „Warnung“ berufen kann, ist nach der Rechtsprechung ein Reiseveranstalter verpflichtet, die Reise umzubuchen oder den Reisepreis zu erstatten. Wichtiger noch, wenn Reisewarnungen zu Unrecht ausgesprochen werden, belasten sie die Volkswirtschaften der betroffenen Länder, die auf Reisende, insbesondere den Tourismus, oft dringend angewiesen sind. Die Fürsorgepflicht gegenüber den eigenen Bürgern und die Verpflichtung, das friedliche Zusammenleben der Völker zu fördern, müssen immer wieder neu ausbalanciert werden.
Auf der Internationalen Tourismusmesse Berlin 2001 stellte ich diese Neuerungen der Öffentlichkeit und der Reisebranche vor. In fast jedem Reisekatalog findet sich seitdem der Hinweis auf die Hotline und die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes. Zudem lud ich die wichtigsten Unternehmen und Verbände der Tourismusbranche ein, ihre eigenen Krisenstäbe mit dem neu eingerichteten Krisenstab des Auswärtigen Amtes zu vernetzen. Bis dahin wurstelten alle neben einander her. Als besonders knifflig stellten sich Datenschutzfragen heraus. Konnten Reiseunternehmen die Namen von Kunden einfach an das AA weiter geben? Andererseits: wenn etwas passiert war, riefen die Menschen zuerst dort an. Und: wenn der Staat einmal evakuieren müsste, etwa mit Hilfe der Bundesmarine, woher sollte er wissen, wo sich wer als Tourist aufhält? Am runden Tisch wurde schnelle und unbürokratische gegenseitige Information und Hilfe zugesagt.
Wenn bei den Katastrophen und Unfällen der letzten Jahre, bei allem Elend, bei aller Verzweiflung, bei aller Trauer dennoch gesagt werden konnte, dass die deutsche Hilfe funktionierte, so ist dies gewiss auch auf diese Neuerungen im AA zurückzuführen. Die Tsunami-Katastrophe Weihnachten 2004 hat dies deutlich gezeigt. Die Hotline bot vielen Verzweifelten die einzige Möglichkeit, verlässliche Nachrichten von vermissten Angehörigen zu erhalten. Dasselbe galt für die Terroranschläge in den USA, in Madrid, London, Istanbul, Bali, Tunesien… Hier liefen die Drähte zusammen. Von hier wurde die erste Hilfe koordiniert. Auch einige Geiselnahmen, die anfangs hoffnungslos schienen, konnten zum guten Ende gebracht werden.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme (Kurzfassung) aus dem o.g. Buch des Autors. Restexemplare sind für 20,00 € (incl. Versand) erhältlich bei ludger-volmer@web.de.
Letzte Kommentare