Seit es sie in deutscher Sprache gibt, profitiere ich von dieser Monatszeitung. Mir war in der Schule Französisch-Unterricht nicht vergönnt, ich wurde stattdessen sinn- und nutzlos mit Latein gequält. So öffnete sich für mich das Fenster zur Welt erst, als die taz begann, die LMd in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Immer am 2. Freitag im Monat. Das ist von Bedeutung, weil sie dann nur 2,50 kostet, als taz-Beilage. Im Einzelverkauf danach ist sie teuerer, und zwar sogar als Download: 4,20.
Warum öffnete sich ein Fenster zur Welt? Während deutsche Medien, wenn sie über Internationales berichten, in der Regel eine Personengeschichte wählen, weil sie meinen, ihr Publikum sei sonst zu doof für solche Themen, hat LMd immer in Systemen gedacht und berichtet. Ökonomie, komplexe gesellschaftliche Strukturen und Bewegungen kommen nie zu kurz, auch und gerade in Reportage-Formaten nicht. Ausserdem kommen Länder vor, von deren Existenz die meisten Deutschen vermutlich gar nicht wissen; ein “Vorteil” der langen französischen Kolonialgeschichte.
Entsprechend hatte ich immer das Gefühl, dass die von LMd Berlin beigesteuerten Texte aus deutscher Herstellung immer ein Stück weit bornierter und in der Blickweise tazartig vernagelter waren, als die übersetzten französischen Stücke.
Die französische Redaktion war sich sogar nicht zu schade für politischen Aktivismus. Sie gehörte zum Gründungskern der internationalen Attac-Bewegung, was ihre Beliebtheit in ihrem Verlag nicht durchgehend steigerte.
Bedauerlich ist die prohibitive Art der Onlinepublikation. In der gedruckten Ausgabe ist alles eng, klein und für ältere sehbehinderte Menschen anstrengend zu lesen. Wenngleich man es, wenn es geschafft ist, aus inhaltlichen Gründen fast nie bereut. Online sind von der aktuellen Ausgabe z.B. nur diese Texte verfügbar:
Polen zuerst – von Agnieszka Pufelska
Die Widersprüche des Justin Trudeau von Jordy Cummings
Mir war so, als wenn ich Ende letzter Woche den in meinen Augen spannendsten Text “Die Bande des Monsieur Macron” irgendwo online gesehen hätte, mit dem die hierzulande vorherrschende Begeisterung für diesen Mann gegen den Strich gebürstet wird, ich habe ihn aber leider nicht wiedergefunden.
Besonders bemerkenswert noch Charlotte Wiedemanns Reportage vom Nouroz-Fest in Teheran. ebenfalls bedauerlicherweise nicht online. Zur Entschädigung immerhin hier ihre Kolumne zur eindimensionalen deutschen Darstellung demokratischer islamischer Bewegungen.
Ich habe mir in den letzten Jahren angewöhnt, die deutschsprachige LMd am ersten Freitag im Monat mangels Zeit immer auf den “Lesen!”-Stapel zu legen, und dann in den Urlaub mitzunehmen. Bei mir hat sich das bewährt. Die meisten Texte werden einfach nicht alt, sie haben beständigen Inhalt. Von welchem deutschen Pressemdium lässt sich das sonst noch behaupten?
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