Sortieren sie sich nach dem “Sturm aufs Kapitol” neu?
Ich habe ja schon zugegeben, dass es ein bisschen putzig war, sich über ARD und ZDF zu erregen. Sind die (noch) wichtig? Vorübergehend vielleicht Ja. In dieser Zeit des Eingesperrtseins oder des sich-freiwillig-einsperrens mag die Faulheit an der Fernbedienung die Bildschirmarbeit besiegen, spätestens an den langen dunklen Abenden (haben Sies gesehen? Gestern Abend und heute Morgen hatte der Beueler Himmel wenige Minuten eine andere Farbe als dunkelgrau!). Es geht beim globalen Medienmachtkampf um ganz andere Rädergrössen, als die öffentlichen deutschen Anstalten.
“Normal” mag sein, dass das in Deutschland mal wieder keine*r merkt, vor allem nicht in unserer politischen Billigklasse. Darum hier noch mal ein zarter Hinweis. Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo lebt dort nun schon 7 Jahre davon, dass keine*r auf ihn hört. Schon 2014 hat er publikumswirksam beklagt, “das Internet” sei “kaputt”. Ich glaube, weil er seinerzeit ein Buch verkaufen musste. Es gab tatsächlich eine Zeit, als die sog. “Netzgemeinde” resigniert registrieren musste, dass die Kapitalmacht das “Netz” ganz genau so usurpierte und vermachtete, wie die sonstige Warenwelt. Selbst die Grossmächtekonkurrenz wird reproduziert. Es gibt eine machtpolitische Parallelwelt in China. Und die Megamacht Indien studiert sorgfältig und dirigistisch, wen von denen sie lieber nicht reinlassen will, auf ihren Markt mit dem potenziell grössten Wachstum. Die Netzmacht der kalifornischen US-Konzerne mag im verschlafenen Deutschland grenzenlos sein – weltweit ist sie es nicht. Eine gefährliche Spannungs- und Konfliktquelle, die mit Joe Bidens Präsidentschaft erhalten bleiben wird.
Ob Joe Biden die USA überhaupt geordnet zu regieren vermag, ist eine derzeit noch offene Frage. Das hat Simon Hurtz gestern im DLF-Kultur (“Fazit”) gut erläutert. Die beste aktuelle Leitplanken-Definition gab am Wochenende Andreas Wilkens/heise-online: “Missing Link: Freibier für alle – Trump löst mit Linux Weltkrieg aus – Hier gibt es kein Freibier, es fliegen keine Atomraketen. Vom Überschriften-Test oben geht es weiter zu Fragen zum Journalismus, denen wir uns stellen sollten.” – eine Massstäbe setzende Kolumne, die Sie sich nicht entgehen lassen sollten.
Wilkens hält sympathische Illusionen am Leben – ohne sie müssten wir die politische Auseinandersetzung aufgeben. Es stimmt zwar, was die Jungle-World-Autoren Hauer und Hamann über den “Staat in der Pandemie” analysierten. Es wäre naiv, Hoffnung darauf zu setzen, dass er uns von der Übermacht der Digitalmonopole befreit. Er ist ja selbst ihr Gefangener. Aber was ist, muss und soll nicht so bleiben. Das ist der Sinn demokratischen Engagements und Kampfes, demokratischer Politik. Und des Lebens als Mensch.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net