Seit den 50er Jahren pflegten die Jungdemokraten als erste der “Regierungsjugend” Kontakte mit der DDR. Wolfgang Mischnick, Hans-Dietrich Genscher und Wolfgang Schollwer, reisten lange vor den Sozialdemokraten in die DDR. Schollwer, der 2021 99-jährig von der FDP längst vergessen an Covid verstarb, war einer der Architekten der Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition.
In der Tradition dieses Ostdialogs durfte ich 1984 als Delegationsleiter der Jungdemokraten zum “Internationalen Herbstlager der FDJ” reisen. Wegen des Afghanistan-Einmarschs der Sowjets war zwischen FDJ, Jusos und DJD vereinbart, dass es keine Abschlussresolution geben solle. In der täglichen Delegationsleitersitzung schlug der Vorsitzende der “Jungen Europäischen Föderalisten” vor, man könne doch eine solche verabschieden. MSB Spartakus, SHB und SDAJ als DDR-treue und DKP-nahe Anhängsel griffen das dankbar auf und auch die Jusos, deren Delegationsleiter noch nicht erschienen war, stimmten plötzlich zu. Das Kopfschütteln des JD-Delegationsleiters – ich saß Gunter Rettner, dem Sekretär des ZK der FDJ direkt gegenüber – verhinderte am ersten Abend noch jeden Versuch.
Am Folgeabend insistierte die JEF, deren Vertreter, wie sich später herausstellte, Informant des Verfassungsschutzes war, pro Resolution. Ebenso wie die Jusos – “Antirevis” aus dem Kreisverband Köln, die abermals keine Bedenken hatten. “Nu, dann gönnen wir ja morgen mal einen Entwurf vorlegen” kam es von der FDJ.
Brenzlige diplomatische Situation: So raste ich am nächsten Morgen von Potsdam nach Ostberlin, wo man im “Palazzo Prozzo” – Palast der Republik – per Münzfernsprecher in die Bundesrepublik telefonieren konnte. Dass die Stasi auch da mithörte, war unvermeidbar, aber immer noch besser, als peinlich unter den Augen der FDJ zu telefonieren. Ich rief den mir langjährig vertrauten Bundesgeschäftsführer der Jusos, Rudolf Hartung, an, damit er seinen Delegationsleiter umgehend herbeischaffen solle, um seine Leute vor politischen Fehlern zu bewahren. Der kam dann auch innerhalb eines halben Tages in Jeans und den inzwischen bekannt noch langen Haaren um die Ecke geschlappt: Stellv. Bundesvorsitzender der Jusos, Olaf Scholz.
Am Abend war jegliche Abschlusserklärung vom Tisch, weil er der FDJ klargemacht hatte, dass zwischen DJD und Jusos kein Blatt Papier passe – der Rest politischer “Schwergewichte” inklusive ihrer eigenen West-Partnerflöten war in den Augen der FDJ ohnehin politisch irrelevant. Nun stand noch die symbolische Entschädigung für meinen “Tag des Adrenalins” an. Die FDJ hatte zum gemeinsamen Saunabesuch der Delegationsleiter geladen. Ich hasse Sauna und entschuldigte mich. Olaf nahm die realsozialistische Sauna tapfer auf sich, nicht zuletzt, weil zu verhindern war, dass bei solchen Anlässen die “Kommis” sich allein absprechen konnten. Als wir uns 2015 am Rande des Daimler-Nachhaltigkeitsdialogs wieder trafen, hatte er diesen Saunabesuch nicht vergessen. Ich bin deshalb sicher: Olaf Scholz ist gut darin, gerade noch rechtzeitig zu kommen, um Schlimmeres – diesmal Jamaika – zu verhindern.
Nachtrag 28. Januar 2022: Bei der Abfassung dieses Beitrags hat mich meine Erinnerung im Datum getäuscht. Das beschriebene Ereignis fand bereits 1983 am gleichen Ort statt – ich war 1983 und 1984 Delegationsleiter der Jungdemokraten in der DDR. Mein besonderer Dank an Markus Decker vom “Kölner Stadtanzeiger”, der 1983 in unserer Delegation dabei war und dazu beitrug, dass ich alte Dias und Berichte nochmals überprüft und den Irrtum festgestellt habe.
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