Am 28. November bestehen die Liberalen Demokraten 40 Jahre. Zur Erinnerung: Die Par­tei entstand anlässlich der Wende der FDP, als diese im Oktober 1982 (erfolgreich) ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Kanzler Helmut Schmidt unterstützte und Helmut Kohl wählte. Unruhe und Proteste in der Partei hatten Genscher und Lambsdorff nicht von der Wende abhalten können. Ohne Einbindung bzw. Mitwirkung der Partei hatten sie ihre Absicht durchgezogen. Für die Kritiker/innen war das ein Betrug an den Wähler/innen von 1980. Schon Ende Oktober hatte sich daher in Münster eine Liberale Vereinigung als Sammelbecken der unzufriedenen FDP-Mitglieder gebildet mit dem Ziel, auf dem anste­henden Bundesparteitag den neuen Kurs der FDP rückgängig zu machen. Gegebenenfalls sollte der Verein als Vorstufe einer neu zu gründenden linksliberalen Partei dienen.

Nachdem die FDP ihren neuen Kurs besiegelt hatte, wurde zügig die Partei „Liberale De­mokraten“ gegründet. 1100 Mitwirkende trafen sich dazu am 28. November 1982 in Bo­chum, später stieg die Mitgliedschaft auf knapp 4.000. Dem gegenüber standen rund 20.000 Personen, die die FDP verlassen hatten. Die LD sahen sich als Treuhänder libera­ler Grundwerte und wollten dem Liberalismus eine neue Heimat geben. Ähnlich sahen dies die Jungdemokraten (bis dahin Jugendorganisation der FDP), die maßgeblich die Or­ganisation – und wohl auch die Finanzierung – der Gründungsveranstaltung übernahmen. Es war ihr Versuch, sich eine neue Mutterpartei zu schaffen.

Ein Handicap war von vornherein, dass die LD nicht mit Landtags- oder Bundestagsab­geordneten aufwarten konnten. Zwar waren den LD aus SPD-Kreisen drei sichere Wahl­kreise in Aussicht gestellt worden, um sie an der 5%-Klausel vorbei in den Bundestag zu brin­gen, doch sah die Realität anders aus. Die SPD bemühte sich (erfolgreich) um den Über­tritt prominenter FDP-Mitglieder. So blieben die LD letztlich eine Partei der Namenlo­sen, ohne Landtags- oder Bundestagsmandate. Die Gründer/innen ließen sich davon je­doch nicht abhalten; für sie galten eher moralische und prinzipielle als realpolitische Moti­ve. Die große Resonanz bei der Gründung bestärkte sie darin.

In der in Bochum beschlossenen „Geburtsurkunde“ heißt es: „Die neue Partei steht in der Tradition des deutschen Liberalismus. Sie versteht sich als Erbe der bürgerlichen Revo­lutionen und ihrer Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Sie nimmt Partei für Menschenwürde durch Selbstbestimmung, für Fortschritt durch Vernunft, für Demokra­tisierung der Gesellschaft und für Reform des Kapitalismus: Marktwirtschaft und Ei­gentum sind für sie Mittel zum Zweck der Wahrung und Mehrung menschlicher Freiheit, nicht Selbstzweck.“

Theo Schiller, Bundesvorsitzender der Liberalen Vereinigungen, formulierte das Selbstver­ständnis der LD auf dem Gründungsparteitag wie folgt: „Die Wahrung liberaler Kontinui­tät gegen konservative Anpassung und Koalitionsabenteuer, gegen die Aufgabe von Grund­sätzen zugunsten privilegierter Interessen und gegen die Teilhabe an der Regie­rungsmacht um jeden Preis ist das Grundmotiv derer, die mehr als einmal zum Neuaufbau einer Organisation greifen mussten.“

Die neue Partei macht sich die liberalen Grundsätze zu eigen, die in fortschrittlichen Pro­grammen der F.D.P. niedergelegt sind, besonders in den Freiburger Thesen von 1971, den Leitlinien einer liberalen Bildungspolitik von 1972, den Thesen ‘Freie Kirche im freien Staat‘ von 1974 und dem Aktionsprogramm ‘Umweltpolitik für die 80er Jahre’ von 1981. Schon im Januar 1983 wurde ein eigenes Programm erarbeitet. Weitere programmatische Schwerpunkte (Wirtschaft, Umwelt, Energie, Demokratie, Beschäftigung) wurden auf den Bundesparteitagen der Folgejahre verabschiedet.

Der Plan, sich 1982 in Hamburg an der Bürgerschaftswahl zu beteiligen, scheiterte daran, dass zwei prominente FDP-Politikerinnen schließlich doch nicht kandidierten. Ein Antreten bei der Bundestagswahl im März 1983 trauten sich die Liberalen Demokraten mehrheitlich noch nicht zu, nach heftiger Diskussion wurde der Plan abgelehnt. Erstmals kandidierten sie bei den Landtagswahlen in Hessen und Bremen im Herbst 1983. Gliederungen aus an­deren Bundesländern übernahmen dabei Patenschaften für einzelne Wahlkreise. Das Er­gebnis war enttäuschend, jeweils 0,4 %. Damit blieb auch die erwartete Wahlkampfkos­tenerstattung aus, die bei Landtagswahlen ab 1 % gezahlt wird. Somit entstanden hohe Schul­den.

Kontrovers diskutiert wurde die Frage einer Kandidatur zur Europawahl 1984. Die Befür­worter sahen darin eine gute Chance, weil bei Europawahlen die Parteienbindung weniger ausgeprägt ist und „neue Angebote“ bessere Chancen haben. Die Gegner sprachen sich dafür aus, die Partei erst personell, organisatorisch und finanziell zu stärken. Zunächst war beschlossen worden, teilzunehmen, wenn der Bundesvorstand die finanziellen und organi­satorischen Bedingungen als erfüllt ansieht. Dieser veranlasste eine Urabstimmung, bei der die Kandidatur mit knapper Mehrheit verworfen wurde (18 Stimmen Unterschied bei mehr als 800 Voten).

Danach gab es nur noch einige Einzelkandidaturen zu Landtagswahlen (Berlin und NRW, zuletzt noch 2021), die vor allem dazu dienten, die LD in die Öffentlichkeit zu bringen und den Parteienstatus zu erhalten. Dennoch verweigerte der Bundeswahlausschuss den LD 1990 die Kandidatur zur (ersten gemeinsamen) Bundestagswahl, obwohl sie eine hinrei­chende Zahl von Unterstützungsunterschriften abgegeben hatten. Der Ausschuss meinte, die LD seien keine bundesweit arbeitende Partei mehr. 2021 hat der Bundeswahlaus­schuss die LD wieder als Partei anerkannt.

Anders sah es in einzelnen Kommunen aus. Anfangs traten Ratsmitglieder aus der FDP den Libe­ralen Demokraten bei, in Heidelberg und Kleve sogar die gesamte Fraktion. In Kleve wur­den die LD 1984 wiedergewählt, in Heidelberg waren sie sogar bis 1999 im Stadtrat vertre­ten. Bei der Kommunalwahl 1984 in Bayern erzielten die LD in Bad Wiessee 4,4 %, und in Dachau 2 % (jeweils mehr als die FDP), aber in Augsburg nur 0,5 % und in München und Nürnberg 0,2 %. Andere Bewerbungen, zum Teil auch mit Einzelkandidaten wie in Köln, waren gleichfalls erfolglos. Später gab es einige – zumeist erfolgreiche – Lis­tenverbindungen mit den Grünen oder Kandidaturen auf grün-offenen Listen.

1989 scheiterte die Absicht, zur Europawahl zu kandidieren, an fehlenden Unterstützungs­unterschriften. Daraufhin, aber auch aufgrund rückläufiger Mitgliederzahlen und finanziel­ler Probleme wurde 1989 der Antrag eingebracht, die Partei aufzulösen. Er fand nicht die erforderliche Satzungsmehrheit. Danach gingen viele Mitglieder zu den Grünen (auch der Au­tor), wenige zur SPD, manche in den politischen Ruhestand, und einige Personen und Gliederungen machten weiter. Mit verminderter Intensität, mit weniger Leuten, mit geringer Finanzkraft und ohne parlamentarische Perspektive, aber mit viel persönlichem Engage­ment, regelmäßigen Parteitagen und kontinuierlicher Programmarbeit.

Es gab damals mehrere liberale oder soziale Kleinparteien mit mehr oder weniger identi­schen Zielen. Daher fanden immer wieder Verhandlungen über gemeinsame Aktionen, Wahlbündnisse oder gar eine Fusion statt. All diese Bemühungen scheiterten jedoch oder verliefen im Sande. Über die Gründe kann man nur spekulieren: Fehlende Kompromissbe­reitschaft, unterschiedlicher politischer Hintergrund, fehlende Entscheidungskompetenz der Vorstände oder Organisationsschwäche.

Seitens der LD scheint die Bereitschaft zu Gemeinsamkeiten vorhanden gewesen zu sein, denn sie bemühten sich immer wieder um Wahlbündnisse und Kooperationen mit an­deren Parteien. So gab es engere Kontakte zur Stattpartei (Ausgründung aus der CDU, zeitwei­se im Hamburger Senat), zur ÖDP, zur Verbraucherschutzpartei (inzwischen aufge­löst), zur Frauenpartei (aufgelöst) und zur Friedensliste (Arbeit eingestellt, Gespräche über eine gemeinsame Kandidatur oder Fusion scheiterten 1984 an der Namensfindung). 2014 gründeten FDP-Mitglieder in Hamburg die Neuen Liberalen, die sich 2016 „Die Soziallibe­ralen“ nannten. Dieses Namenszusatz führten jedoch bereits seit 1991 die LD, so dass es zu Konflikten kam.

Ungeachtet dessen kam es 2017 zur Vereinbarung einer sogenannten ‘Sozialliberalen Erklärung’, die außer von den Liberalen Demokraten und den Neuen Liberalen auch von der Piratenpartei, den Humanisten, einer Gruppierung der Linksjugend und anderen getra­gen wurde. Die Erklärung sollte Anstoß für eine engere Zusammenarbeit sein, doch kam diese nicht zustande. Die möglichen Parteienpartner sprangen ab, um allein anzutreten. Anlässlich der Fusion von Bündnis 90 und Grünen gab es vereinzelte Überlegungen, LD und ÖDP einzubeziehen. Die Idee wurde jedoch nicht vertieft.

So arbeiteten die Liberalen Demokraten als eigenständige Partei weiter. Ab und zu ge­wannen sie sogar Mandatsträger von anderen Parteien. 1984 kam ein Abgeordneter der Alternativen Liste, 1992 ein Abgeordneter vom Neuen Forum Berlin und 2022 ein stellver­tretender Bürgermeister. Anlässlich ihres fünfjährigen Bestehens veröffentlichten die Libe­ralen Demokraten das Buch „Freisinnig wider die Restauration“, in dem etliche Mitglieder in kurzen Aufsätzen auf 200 Seiten die aktuellen inhaltlichen Positionen der Partei be­schrieben. 1) 1991 wurde der Namenszusatz „Die Sozialliberalen“ eingeführt, um die in­haltliche Ausrichtung der Partei zu verdeutlichen. Ergebnis war u.a. ein anspruchsvolles Programm „Arbeit für alle“.

In ihren ersten Jahren präsentierten sich die LD vor allem als Bürgerrechtspartei (Daten­schutz, Volkszählung, Berufsverbot, gläserne Verwaltung), engagierten sich aber auch in der Friedensbewegung. Ein Knüller war 1984 ein Datenscheckheft. Unter dem Motto ‘Glä­serner Staat statt gläserner Mensch’ konnten mit den darin enthaltenen Postkartenvordru­cken Behörden und Institutionen aufgefordert werden, persönliche Daten zu löschen, zu korrigieren oder zumindest offenzulegen. Die LD wollten damit dem gerade vom Bundes­verfassungsgericht verbürgten ‘Recht auf informationelle Selbstbestimmung’ bessere Gel­tung verschaffen.

Zuspruch, öffentliche Wirkung und Wahlergebnisse blieben bescheiden. Letztlich schei­terten die Liberalen Demokraten nicht an ihren Inhalten und Werten oder an Einsatz und Überzeugung, sondern an anderen Faktoren: die Tatsache, dass nicht alle Gegner des FDP-Kurswechsels mitzogen; die erfolgreiche Abwerbung prominenter FDP-Mitglieder durch die SPD; eine geringe Beachtung in den Medien; der Aufstieg der Grünen, die ein ähnliches Wählerpotential ansprachen; taktisches Verhalten der Wähler/innen, z.B. die Be­fürchtung, die Grünen unter 5 % zu drücken. Einfluss hatten gewiss auch die Entscheidun­gen, nicht zur Bundestagswahl im Frühjahr 1983 direkt nach der Wende und zur Europa­wahl 1984 anzutreten. Sofern die Liberalen Demokraten öffentlich wahrgenommen wur­den, galt das weniger ihrem programmatischen Angebot, sondern der „linken Abspaltung von der FDP“.

Nun bestehen die Liberalen Demokraten bereits ununterbrochen 40 Jahre Damit gehö­ren sie zu den langlebigsten Kleinparteien. Ungeachtet aller Rückschläge und Enttäu­schungen sind sie ihren liberalen und sozialen Grundsätzen treu geblieben. Auch gibt es immer wie­der Beitritte, der Mitgliederbestand liegt derzeit bei etwa 80. Funktionsfähige Landesver­bände gibt es in Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen und Nord­rhein-Westfalen; Bayern und Hessen sollen in Kürze folgen. Dieses Stehvermögen und Selbst-ver­trauen erstaunen, ver­dienen aber auch Anerkennung und Aufmunterung.

In Aachen, wo der Kreisverband sich 1987 aufgelöst hatte, besteht wieder eine Gliede­rung. Hier traten die LD bei der Landtagswahl 2022 mit einem Einzelbewerber an und er­reichten 0,4 % (wie 1983 in Hessen und Bremen). Der Kandidat ist Stadtverbandsvorsit­zender in Aa­chen und zugleich Landesvorsitzender in NRW. Die gleichen Positionen hatte der Autor 1983 inne. Die beabsichtigte Kandidatur mit einer Landesliste scheiterte, weil die Partei nicht die dafür erforderlichen 1000 Unterstützungsunterschriften beibringen konnte. Eine dagegen eingelegte Klage beim Verfassungsgericht war erfolglos. Die LD hatten ar­gumentiert, dass wegen der Corona-Pandemie zwar bei der Kommunalwahl 2020 und bei der Bundes­tagswahl 2021 die Mindestzahl an Unterschriften reduziert worden war, nicht je­doch bei der Landtagswahl.

Ausführliche Informationen über die Liberalen Demokraten findet man im Internet bei Burk­hard Gutleben: „25 Jahre Liberale Demokraten (1982 – 2007)“ und bei Wikipedia „Li­berale Demokraten“ sowie natürlich auf der Internetseite der Liberalen Demokraten.

1) Ralf Bartz, Hanno Jochimsen und Hans-Herbert Wilhelmi: Freisinnig wider die Restau­ration – Werte und Weg radikaldemokratischer Politik. Bonn 1988

Anm. d. Red. zum Weiterlesen: Markus Metz/Georg Sesslen: “Zur Verteidigung der Demokratie: Die Neuentdeckung des Liberalismus – Der Liberalismus als politische Idee ist in Verruf geraten. Dabei wäre es an der Zeit, ihn in einer Welt von Populismus, Turbokapitalismus und autokratischen Regimes als politische Kraft neu zu entdecken und neu zu interpretieren.” In diesem ansonsten lesenswerten (oder hörenswerten) Text wird erneut, wie schon vor Jahren in einer 3sat-Dokumentation aus der Produktion unseres Freundes Friedrich Küppersbusch, die Legende verbreitet: “die FDP löste sich von der eigenen, tendenziell linksliberalen Jugendorganisation”. Diese Feststellung ist falsch. Es war umgekehrt. Ich war 1982 dabei.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.