Und: die Lage im Krieg / Verschwindende Gastlichkeit
Martin Holland/heise hat eine spektakuläre, hoffnungmachende Meldung recht unspektakulär platzieren lassen: “Julian Assange: Wikileaks-Gründer könnte Auslieferung durch Deal noch entgehen – Offenbar wird hinter den Kulissen an einer Einigung zwischen dem Wikileaks-Gründer und der US-Regierung gearbeitet. Es gibt aber eine besonders große Hürde.” Wie immer in solchen Fällen tut sich ein Spannungsfeld auf: politische Strategien vs. wirksame Hilfe für Repressions-Betroffene, öffentliche Transparenz über Mediendurchstiche vs. Vertraulichkeit und Erfolg interner Verhandlungen (früher bekannt als “Diplomatie”).
Davon ist der Ukrainekrieg noch weit entfernt. Die Junge Welt macht mit einer Tatarenmeldung über meine Gewerkschaft ver.di auf: sie sei auf “Kriegskurs”. Belege – oder gar Links zu den Originaltexten – fehlen komplett. Sie sind für mich auch auf der ver.di-Homepage nicht auffindbar. Der Junge-Welt-Autor beklagt den Antrag als “widersprüchliche Aneinanderreihung von Aussagen”. Da entgegne ich: ganz wie die objektive Lage. Das Transportmittel einer Datensammelplattform weckt dagegen keine vergleichbar allergischen Reaktionen. Bei mir kommt das als suchtartiges Bedürfnis nach politischen Niederlagen an, mit denen dann diverse böse Andere “entlarvt” werden sollen.
Da fühle ich mich auf einer diskutierenden – sozialdemokratischen! (nicht alles dort ist schlecht) – Plattform wohler. Im ipg-journal schreibt Helmut W. Ganser: “Bittere Pattsituation – Die ukrainische Gegenoffensive stockt. Statt endlos neue Waffen zu liefern, sollte der Westen an der Vorbereitung von Friedensgesprächen mitarbeiten.”
Verschwindende Gastlichkeit?
Jörn Kabisch ist von Augsteins Freitag nach Franken geflohen, und hat dort mutig einen gastronomischen Betrieb übernommen. Seitdem schreibt er darüber: “Wenn der Gast eine Pizza bestellt: Bitte ganz viel Prozent auf To-go – 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen wird das Gastronomiesterben nicht stoppen. Die Geringschätzung von Gastlichkeit hält keine Subvention auf.”
Kabisch beschreibt symptomatisch richtig, aber es reicht über die Gastronomie hinaus. Eine direkte ideologische Tiefenwirkung des neoliberalen Hauptstroms im Kapitalismus ist die Geringschätzung menschlicher Arbeit. Sie ist ein beim Kapital verhasster Kostenfaktor, der überall, wo das technisch möglich ist und ja auch immer mehr wird, ersetzt wird, um die Herrschaft der Herrschenden zu sichern. Selbstverständlich steht das in direktem Widerspruch zu menschlicher Solidarität, Zuneigung, Wertschätzung, also auch Gastlichkeit.
Ich persönlich hasse Selbstbedienungsrestaurants. Bei einem, dem damaligen “Vapiano” in der ehemaligen SPD-Baracke, war mir ein – Selbstbedienung, also selbstverschuldeter – Unfall an einer unsichtbaren Treppenstufe auf der Aussenterasse passiert. Darum war ich sehr zufrieden damit, dass diese elende Kette pleite gegangen ist.
Wie kontere ich den krankmachenden Neoliberalismus individuell? Statt 14 investiere ich 40% meines Monatsbudgets in gutes Essen und Trinken. Ich habe in Beuel zwei Stammlokale zum Mittagessen (Bistro Odeon und l’Olivo) plus zwei weitere zum Fussballgucken (El Horizonte und Schröders2). Ihren Beschäftigten (wie auch Verkäufer*inne*n beim Bäcker oder im Momo) bringe ich Höflichkeit und Wertschätzung entgegen, und immer auch ein Lob, wenn etwas besonders lecker war. An Trinkgeldern spare ich selbstverständlich nicht. Und siehe: überall werde ich privilegiert behandelt, die Gastgeber*innen freuen sich mich zu sehen. Das Leben wird für beide Seiten schöner und besser. Trotz Kapitalismus und Neoliberalismus, trotz Pandemie und Krieg.
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