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Tiefer graben

Kritik zu Regina Schillings “Diese Sendung ist kein Spiel” (ZDF)

Die in Köln 1962 geborene Regisseurin Regina Schilling hat im ZDF eine Dokumentation über die Sendereihe „Aktenzeichen xy… ungelöst“ vorgelegt (verfügbar nur bis 31.8.). Und zwar über die vom verstorbenen Eduard Zimmermann zwischen 1967 und 1997 geleitete Sendereihe. Danach war Zimmermanns Tochter Sabine Zimmermann an der Reihe, ab 2002 moderiert und leitet Rudi Cerne die Sendung. Bis zu fünf Millionen folgen zeitweise abends den Fällen, in denen der oder die Täter ungeklärter Fälle gesucht werden. Am 16. August 2023 hieß es im ZDF „Waschzettel“ zu einem Fall in der aktuellen Sendung: „Am 2. Juni 1997 findet ein Motorradfahrer bei Altena im Märkischen Kreis in Nordrhein-Westfalen die stark verbrannte Leiche einer unbekannten Frau. Die Obduktion offenbart Unfassbares: Das Opfer wurde mutmaßlich von seinem eigenen Vater vergewaltigt und gewürgt. Es war noch am Leben, als es mit Benzin übergossen und angezündet wurde.“

Grausig. Regina Schillings hat sich freilich nicht Cerne vorgenommen, sondern den Erfinder Eduard Zimmermann. Die Doku trägt den Titel: „Diese Sendung ist kein Spiel“. Schillings Dokumentation wurde vielfach lobend besprochen. Bereits der Titel ist problematisch. Denn niemand hat ernsthaft behauptet, dass die jährlich zehn „Aktenzeichen xy…ungelöst“ aus der Zimmermann-Zeit Spiele gewesen seien. Auch notorische Zimmermann Fans haben seine Sendungen keineswegs als Spiele verstanden. Der erzkonservativ bis reaktionäre Eduard Zimmermann hatte absolut kein Spiel im Sinn. Ihm war sein Schaffen bitterer Ernst. So bitter, dass die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen und Juristinnen 1981 intervenierte und verlangte, die Sendung abzusetzen. Denn Aktenzeichen xy setze die Gewaltenteilung aufs Spiel und erziehe die Menschen zur Denunziation.

Die späten sechziger Jahre unterscheiden sich gründlich von unserer heutigen Zeit. Man blieb daheim, machte die Tür hinter sich zu, aß, was auf den Tisch kam und schaute danach der Glotze entgegen. Über die europäischen Länder wölbten sich keine Lichterdome wie heute, die Zeit war dunkler, leiser, auf das Geschehen in den vier eigenen Wänden konzentriert. Bis auf einige sehr große Städte wurde nirgendwo flaniert – höchstens am Sonntag. So wie Väterchen Franz, Franz Josef Degenhardt, es beschrieben hat:

„Da treten sie zum Kirchgang an
Familienleittiere voran –
Hütchen, Schühchen, Täschchen passend.
Ihre Männer unterfassend
Die sie heimlich vorwärts schieben
Weil die gern zu Hause blieben!
Und dann kommen sie zurück
Mit dem gleichen bösen Blick –
Hütchen, Schühchen, Täschchen passend
Ihre Männer unterfassend
Die sie heimlich heimwärts zieh’n
Dass sie nicht in Kneipen flieh’n!“

Schilling ordnet das Jahr 1967 anders ein: Adenauers Tod, Studentenproteste, Vietnamkrieg, Brandt sprach von „mehr Demokratie wagen“ – das war zwar 1969, aber geschenkt. Schillings Blick auf die Zeit ist recht oberflächlich („Sein Mittel ist das Erzeugen von Angst“, Interview in der Zeit vom 17. August. Seite 16).

In meiner Familie wurde Zimmermanns Sendung regelmäßig geschaut. Tanten hingen an Zimmermanns Lippen und konnten nicht genug von seinen Fällen bekommen. Besonders interessiert war man an Fällen aus der heimischen Region. Ich war desinteressiert, damals an Gene Hackmann und French Connection interessiert, sodass ich Zimmermanns Sendung kaum beachtete. Beweggrund der Älteren, Zimmermann zu folgen, war weniger Angst vor Einbrechern oder sonstigen Kriminellen, wie Regisseurin Schilling glaubt feststellen zu können. Wesentlich war das wohlige Gruseln, das Menschen befällt, wenn sie sehen, dass es anderen an den Kragen geht, sie selber aber sicher bei verschlossenen Türen und Fenstern im Warmen sitzen. Vielleicht hätte Schilling beim alten Goethe nachschlagen sollen, um den Osterspaziergang aus Faust I nachzulesen. Ich zitiere den Weimarer:

„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus.“

Sollte der eine oder die andere wegen Erwähnens der Türkei in Verbindung mit Krieg und Draufschlagen Diskriminierung konstatieren, bitte ich darum, sich wegen Beschwerden an das Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar zu wenden oder an die UNESCO zu adressieren, die Goethes Nachlass ins Weltgedächtnis aufgenommen hat.

Angst vor Verbrechen und Gewalttaten? Die Ungeheuerlichkeit der Nazizeit saß in Millionen Familien wie ein ungebetener Gast immer mit am Tisch. Wie ein Monstrum, von dem jeder und jede wusste, das aber ignoriert wurde, das freilich den Degenhardtschen „bösen Blick“ hervorbrechen ließ. Der „böse Mann“, der hinter dem Haus lauerte, bis die Lichter erloschen waren, vor dem man sich im Wald in Acht nehmen musste, der löste doch keine hunderttausendfache Angst aus. Es war die Furcht, das „kleine Glück“ wieder zu verlieren nach den Wachstumsjahren der fünfziger und sechziger Jahre. Es war die Furcht, das jemand die „Decke wegziehen“ könnte: Wenn dann rauskommt, was wir damals getan haben…..

Andere Ängste? Die R+V-Studien, beginnend 1992 und bis heute reichend, belegen: „Einbruch, Diebstahl, Körperverletzung oder Betrug: Bei mehr als fünf Millionen Straftaten pro Jahr ist die Wahrscheinlichkeit hoch, in den eigenen vier Wänden bestohlen zu werden oder Betrügerinnen und Betrügern in die Hände zu fallen. Das spiegelt sich jedoch nicht in den Ängsten der Deutschen wider. Noch nicht einmal jeder Fünfte fürchtet sich davor, Opfer einer Straftat zu werden. Mit 19 Prozent rangiert die Sorge am Ende der Ängste-Skala.“

Regina Schilling bedient sich gegenüber der Person Zimmermann einer merkwürdigen, in tiefes Ressentiment führenden Sprache. Der Zeit sagte sie unaufgefordert auf eine eher nebensächliche Bemerkung, sie wolle nicht die Psychologin spielen, „aber natürlich ist in diesem Zusammenhang seine eigene Biografie interessant: Er war ein uneheliches Kind. Seine Mutter arbeitete in einer Kneipe, ein Stammgast schwängerte sie. Sie war 17 Jahre alt…..“. Das ist Ressentiment und Dünkel. Zeilen später kommt die Zeit darauf zu sprechen, dass Zimmermann wegen angeblicher Spionage vier Jahre in Bautzen gesessen habe. Schillings darauf: „Er hat mit seiner Vergangenheit immer ein bisschen kokettiert….“

Mit der Vergangenheit in Bautzen kokettiert? Was heißt das in diesem Zusammenhang? Was maßt sich die Filmemacherin Schillings an? Ich nenne das Versuch der Denunziation. Bautzen war das Speziallager Nr. 4 der sowjetischen Militäradministration. Ein Ort völliger Rechtlosigkeit. Bis zu 7000 Menschen waren darin eingeschlossen, es wurde gefoltert. 3000 starben bis 1956 (Susanne Hattig, Silke Klewin, Cornelia Liebold, Jörg Morré: Geschichte des Speziallagers Bautzen. 1945–1956).

Zimmermanns Verbrecherjagden mit ihrer fürchterlichen Gewohnheit, Frauen stets als Objekte zu sehen waren gewiss keine Spiele. Wenn man dieser Sendung ernsthaft nachgehen will, muss allerdings tiefer graben als Schillings.

Über Klaus Vater / Gastautor:

Klaus Vater, geboren 1946 in Mechernich, Abitur in Euskirchen, Studium der Politikwissenschaft, arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur und war von 1990 bis 1999 Referent der SPD-Bundestagsfraktion. Später wurde er stellvertretender Sprecher der deutschen Bundesregierung. Vater war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit unter Ulla Schmidt, Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, Agentur-, Tageszeitungs- und Vorwärts-Redakteur. Mehr über den Autor auf seiner Webseite.

2 Kommentare

  1. Martin Böttger

    “Diese Sendung ist kein Spiel” als Titel ist nach meiner Erinnerung ein Zimmermann-Zitat. Oder?
    Ich habe den Film nicht so negativ gesehen, er wurde mir nur irgendwann ermüdend, anders als sein Vorgänger “Kulenkampffs Schuhe”.
    https://extradienst.net/2018/08/12/kulenkampffs-schuhe/

  2. Der Maschinist

    Ich habe mich an anderer Stelle (https://extradienst.net/2023/08/13/xy-infotainment-moerderpornos/) schon zum Film von Frau Schilling verewigt und kann sowohl die inhaltliche Kritik von Klaus Vater zum großen Teil teilen, als auch die “persönliche” Perspektive von Frau Schilling auf Zimmermann verteidigen. Denn wenn – und weil – es “persönlich” ist, gibt es kein objektives “richtig oder falsch”. Es ist immer unvollständig, dafür aber authentisch. Ich war Anfang der Siebziger noch zu klein für Gene Hackman, hab mich aber vor Zimmermann gegruselt als ich das denn dann sehen durfte. In soweit teile ich die Perspektive und (Selbst-)Analyse der Autorin.

    Wie ich das im Abstand von 50 Jahren nun politisch, soziologisch oder historisch einordne, ändert ja nichts an meinem (unserem) Empfinden damals. Und dieses Empfinden (soweit es bei Schilling und mir ein “kollektives” gewesen ist) hat uns geprägt – und eben auch Spuren und Prägungen hinterlassen, die uns heute (noch) als Akteure definieren… sei es als Filmemacherin oder als Kommentator. Natürlich verstehe ich heute mehr und besser. Natürlich habe ich aber auch das erst später gelernt…

    PS.: Martin hat Recht. “Diese Sendung ist kein Spiel.” ist tätsächlich ein Zitat aus der Einleitung von Zimmermann zu einer (der ersten?) Ausgabe der Sendung, im Film bei 00:17:52.

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