Der Militärputsch in Chile 1973

Der 11. September 1973 gehört zu jenen Tagen in meinem Leben, die sich am tiefsten in meinem Bewusstsein verankert haben. An diesem Tag ist eine große politische Hoffnung zerstört worden, nicht nur für Chile selbst, sondern für Lateinamerika, ja die ganze Welt. Chile galt damals international als Vorzeigebeispiel für den friedlichen Weg zum Sozialismus, also eine grundlegende (revolutionäre) Änderung der Gesellschaftsform ohne Anwendung von Gewalt. Und es war auch ein Vorzeigebeispiel für die Zusammenarbeit von Marxisten und Christen.

Nicht zufällig ist im April 1972 in Santiago de Chile die lateinamerikanische Bewegung Christen für den Sozialismus gegründet worden, die dann 1973 auch in mehreren europäischen Ländern Fuß gefasst hat. Der 11. September 1973 hatte für mich aber auch eine persönliche Dimension: mehrere FreundInnen waren damals in Santiago tätig und ich wusste tagelang nichts über ihr Schicksal. Es ist ihnen zum Glück nichts passiert, aber sie konnten ihre Arbeit in Chile, die sie ja als Unterstützung des chilenischen Modells verstanden, nicht fortsetzen und kehrten im Laufe der nächsten Wochen nach Österreich zurück. Sie waren dann hier wichtige Motoren der breiten, Parteien und Ideologien übergreifenden Solidaritätsbewegung für Chile.

Inzwischen ist Chile längst zur lateinamerikanischen Normalität zurückgekehrt. Es wird wieder demokratisch gewählt. Präsidenten und Parlamentsmehrheit wechseln zwischen rechts und links. Wirtschaftlich steht Chile sogar besser da als die meisten anderen lateinamerikanischen Länder, dennoch gehört es zu den Ländern mit der größten Ungleichheit. Und die mehr als 2 Millionen Armen haben nichts davon, wenn das Durchschnittseinkommen in Chile höher ist als in den Nachbarländern. Der Militärputsch ist nun 50 Jahre vorbei und die große Mehrheit der Chilenen kennt ihn nur aus Erzählungen oder Büchern. Bei uns im Westen ist der 11. September außerdem längst überlagert durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York. Vorbei sind aber auch die Hoffnungen, dass Chile einen anderen Weg geht als die anderen Staaten Lateinamerikas.

Der friedliche Weg zum Sozialismus ist Geschichte. Trotz seiner Probleme und Widersprüche ist er nicht gescheitert, sondern er wurde zum Scheitern gebracht, weil er einfach nicht gelingen durfte. Und dies geschah vor allem durch das indirekte und sogar direkte Eingreifen jenes Imperiums, das bis heute von vielen als Garant unserer Freiheit bezeichnet wird. Für uns Zeitzeugen und Aktivisten der Chile-Solidarität bleibt der 11. September 1973 ein bitterer Tag, an dem Hoffnungen zerstört wurden. Und es war auch ein Tag, an dem Begriffe wie Freiheit, westliche Werte etc., die heute wieder in aller Munde sind, desillusioniert und dauerhaft entwertet wurden.

Auszug aus meinem Artikel DER PUTSCH IN CHILE VOR 50 JAHREN, in Kritisches Christentum Nr. 470/471, September/Oktober 2023. Hier übernommen mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Über Adalbert Krims, Wien / Gastautor:

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