Wenn heute das Wort „Menschenhandel“ fällt, denkt man zunächst an historische Zeiten. Zum Beispiel an das Römische Reich oder an die Sklaverei in Amerika. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde dies so verstanden. Leider ist dieses Verbrechen nicht nur Geschichte. Nicht ohne Grund haben die Vereinten Nationen 2004 den ‘Tag gegen den Menschenhandel’ ins Leben gerufen. Jedes Jahr am 30. Juli wird er begangen. 2023 stand er unter dem Motto „Jedes Opfer erreichen, niemanden zurücklassen“. Die Vereinten Nationen riefen dazu auf, Betroffene von Menschenhandel zu identifizieren und zu schützen, Präventionsmaßnahmen auszubauen und die Strafverfolgung zu verschärfen.
Auch in Europa ist das Problem präsent. Hier gibt es seit 2007 sogar einen eigenen Tag gegen Menschenhandel, den 18. Oktober. Im Vorfeld des diesjährigen Gedenktages betonte die zuständige ‘Expertengruppe des Europarats für die Bekämpfung des Menschenhandels’ (GRETA) die Dringlichkeit des Handelns. Der Missbrauch habe sich gewandelt. Die wichtigste Form des Menschenhandels sei heute die sexuelle Ausbeutung und der Zwang zur Hausarbeit und für Zwecke der Schattenwirtschaft. Zudem werde die Ermittlung und Verfolgung von Straftaten durch die zunehmende Rekrutierung über soziale Medien erschwert. Ein wachsendes Problem sei die illegale Migration, die Migranten zu einer leichten Beute für skrupellose Menschenhändler mache.
Es gibt sogar noch einen dritten Gedenktag, den „Internationalen Tag gegen den Menschenhandel“ am 8. Februar. Die katholische Kirche erinnert dann an die Schutzpatronin der Sklaverei, wendet sich mit Gebeten und Aktionen gegen den Menschenhandel und hilft Betroffenen, in diesem Jahr mit dem Einsatz für das Aufenthaltsrecht für Opfer und für sichere Lebensperspektiven. Der Gedenktag stand diesmal unter dem Motto „Unterwegs für die Würde: Zuhören, Träumen, Handeln.“
Die Tatsache, dass es diese Aktionstage gibt, belegt, dass Menschenhandel keineswegs der Vergangenheit angehört. Noch deutlicher wird diese Erkenntnis, wenn man die vielen Konventionen und Aktionen zur Bekämpfung des Menschenhandels betrachtet. Es dürfte in der Tat ein aufwändiges und nicht immer erfolgreiches Unterfangen sein, Menschenhandel aufzuspüren und zu beweisen, und „Betroffene zu identifizieren und zu schützen“.
Unter Menschenhandel wird heute viel mehr verstanden als früher. Der Begriff ist weiter gefasst und meint nicht nur den Handel mit versklavten Menschen. Im Palermo-Protokoll von 2000 „zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels“, einem Zusatz zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, wird Menschenhandel auf den drei Ebenen Handlung, Mittel und Zweck definiert.
Demnach bedeutet Menschenhandel die „Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen“ (Handlung) durch „die Androhung oder Anwendung von Gewalt“, aber auch durch „andere Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung und Machtmissbrauch“ (Mittel). Ziel des Menschenhandels ist es stets, Menschen auszubeuten (Zweck). Formen der Ausbeutung können dabei „sexuelle Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Sklaverei, sklavenähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen“ sein.
Zwei Abgrenzungen sind erforderlich. Während Menschenhandel in der Regel in Ausbeutung mündet, ist Ausbeutung nicht unbedingt gleichzusetzen mit Menschenhandel. Und die Abgrenzung von Menschenhandel und Menschenschmuggel ist kompliziert. Schleusen ist zumeist kein Menschenhandel, denn er erfolgt freiwillig und in gegenseitigem Einvernehmen und endet mit dem Ablauf der vereinbarten Aktion. Wenn jedoch die geschmuggelte Person im Ankunftsland zu Leistungen gezwungen wird, ist der Übergang zum Menschenhandel fließend.
Der Europarat übernahm 2005 in seinem Übereinkommen zur Bekämpfung des Menschenhandels die Definition UN. Der sachliche Anwendungsbereich wurde etwas weiter gefasst und widmet sich primär dem Opferschutz. Dazu gibt es einen ausführlichen Maßnahmenkatalog, beginnend bei der Ausstattung der zuständigen Behörden über Entschädigung und Zeugenschutz. Auch die strafrechtlichen Vorgaben sind präziser gefasst. Ein gewiss nicht selbstverständliches Novum ist die Aufforderung an die Unterzeichnerstaaten, Migration auf legalem Wege zu ermöglichen und minderjährigen Betroffenen ein Aufenthaltsrecht zu gewähren, wenn es das Kindeswohl erfordert.
Schon frühzeitig gab es internationale Konventionen, und zwar gegen Mädchen- und Frauenhandel. Zwischen 1904 und 1933 wurden vier Abkommen vereinbart. Während anfangs noch von Sklaverei gesprochen wurde, werden später die Begriffe ‘Frauen- und Kinderhandel’ und ‘erzwungene Prostitution’ verwendet. Die UN-Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution von 1949 kriminalisierte Zuhälter, Kuppler/innen und Menschenhändler, verbot die Diskriminierung von Prostituierten und sah Präventionsprogramme und Rehabilitationsmaßnahmen vor.
Die Europäische Grundrechte-Charta von 2000 fasst Ausbeutung und Missbrauch zusammen. Sie verbietet Sklaverei und Leibeigenschaft, untersagt Zwangs- oder Pflichtarbeit und verurteilt Menschenhandel. 2011 verabschiedete die EU eine Richtlinie, die sich speziell auf die Bekämpfung und Verhütung von Menschenhandel richtete. Darin wurden die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, Gesetze zur Ahndung von Straftaten im Zusammenhang mit Menschenhandel zu erlassen. Darunter fallen laut Richtlinie sexuelle Ausbeutung, Zwangsarbeit, erzwungene Bettelei, Leibeigenschaft und Organentnahme. Die Definition von Menschenhandel ähnelt derjenigen der UN, ist jedoch noch etwas detaillierter.
Deutschland setzte die Richtlinie 2016 in ein nationales Gesetz um und verschärfte das Strafrecht. An der deutschen Gerichtspraxis wird jedoch immer wieder Kritik geübt, da nur 23% der verurteilten Menschenhändler in Haft kamen, während die anderen Bewährungsstrafen erhielten. Gelobt wird dagegen die gestiegene Zahl von Ermittlungen, Anklagen und Verurteilungen. 2017 trat das Prostituiertengesetz in Kraft, das unter anderem eine Anmeldepflicht für Bordelle und eine Anmeldepflicht für Prostituierte vorsieht. Die Gleichsetzung von legaler Prostitution und Menschenhandel ist umstritten.
Die Neufassung von § 232 des deutschen Strafgesetzbuchs bedroht diejenigen mit Strafe, der eine andere Person durch Ausnutzung ihrer Zwangslage, Hilflosigkeit und Schwächesituation oder auch durch List oder Nötigung zur Prostitution, ausbeuterischen Beschäftigung, Ausübung der Bettelei, Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft oder rechtswidriger Organentnahme zwingt. Erfasst ist auch der Antrieb zu Straftaten, z.B. Taschendiebstahl, Drogenhandel, Trickbetrug, Ladendiebstahl oder Einbrüchen. Hier sind erfahrungsgemäß oft Kinder betroffen. Die Abhängigkeitsverhältnisse müssen nicht auf Dauer angelegt sein. Strafbedroht ist auch das Anwerben, Befördern, Weitergeben, Beherbergen oder Aufnehmen der betroffenen Personen. Nebenbei gibt es seit 1895 ein deutsches Gesetz, das die Bestrafung des Sklavenraubes und des Sklavenhandels regelt. Art. 123 des Grundgesetzes stellt klar, dass dieses Gesetz weiterhin gültig ist.
Im September 2023 stellte die Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Bekämpfung des Menschenhandels vor. Er soll vier Handlungsfelder abdecken: Verhütung bzw. Prävention; Schutz, Unterstützung und Entschädigung für Opfer; Strafverfolgung; Kooperation auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand findet Menschenhandel vermehrt in folgenden Sektoren statt: Landwirtschaft, Pflege, Haushalt, Hotels, Reinigung, Gastronomie. Inzwischen gibt es ca. fünfzig Fachberatungsstellen, die den vom Menschenhandel Betroffenen anonym und kostenlos Beratung und Unterstützung bieten. Zeugen kann ein Aufenthaltsrecht gewährt werden.
Strafrechtlich ist die Schwelle zum Menschenhandel zwecks Arbeitsausbeutung in Deutschland dann überschritten, „wenn Personen mittels Täuschung, Zwang, Drohungen oder Gewaltanwendung zur Aufnahme und Fortsetzung von Dienstleistungen und Tätigkeiten gebracht oder gezwungen werden, die ausbeuterisch oder sklavenähnlich sind.“ Diese Form des Menschenhandels setzt kein grenzüberschreitendes Vorgehen voraus und erfasst sowohl die Ausnutzung der Hilflosigkeit von Migranten wie die der persönlichen und wirtschaftlichen Notlage von Deutschen.
Schon 2010 hatte die EU das Amt eines Anti-Menschenhandels-Koordinators geschaffen. Dieses Amt ist zuständig für die Kontaktpflege und Abstimmung zwischen den EU-Institutionen, den Mitgliedstaaten und den internationalen Akteuren sowie für die Wirksamkeitskontrolle und Weiterentwicklung der EU-Strategien zur Bekämpfung des Menschenhandels. Letztere Aufgabe ist von hoher Bedeutung, da die Zahl der registrierten Fälle von Menschenhandel nahezu kontinuierlich steigt.
Im Januar 2024 gab es Neuerungen auf der europäischen Ebene. Die Menschenhandelsrichtlinie wurde aktualisiert und ergänzt. Nunmehr gelten auch illegale Adoptionen, Zwangsehen und Leihmutterschaften als Ausbeutungsformen. Die Sanktionsmöglichkeiten gegen Personen, die Dienstleistungen bezahlen im Wissen, dass damit Opfer von Menschenhandel ausgebeutet werden, wurden verschärft.
Durch Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde 2010 geklärt, dass Menschenhandel, wie er im Palermo-Protokoll definiert ist, unter die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 fällt, auch wenn der Begriff dort nicht wörtlich erwähnt ist und nur das Verbot der Sklaverei geregelt ist. Bereits seit 2002 bestand internationales Einvernehmen, dass sich das traditionelle Konzept der Sklaverei weiterentwickelt habe und dass verschiedene Ausbeutungsformen mit dem für Sklaverei typischen Eigentumsrecht an anderen Menschen entstanden seien.
Absolute Zahlen zum Ausmaß des Menschenhandels gibt es nicht. Die Dunkelziffer ist hoch, wie bei vielen Arten der organisierten Kriminalität. Zudem erschweren schwierig anzuwendende Straftatbestände die Verfolgung. Das zuständige Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) veröffentlichte vor einigen Jahren Zahlen zum Anstieg des Menschenhandels. Während 2003 rund 7.600 Fälle festgestellt wurden, waren es 2016 bereits 25.000. Dies lag allerdings nicht nur an einer höheren Opferzahl, sondern auch daran, dass 97 statt 39 Länder erfasst wurden und dass die Verfahren zur Identifizierung von Opfern verbessert wurden. Die meisten Fälle betrafen sexuelle Ausbeutung und Zwangsarbeit.
Die Vereinten Nationen dokumentierten 2014 weltweit 40.200 Fälle von Menschenhandel aus 157 Ländern. Ein Drittel der Opfer waren minderjährig, mehr als zwei Drittel Frauen. Die Opfer stammten vor allem aus Afrika, Süd- und Ostasien sowie Osteuropa und werden nach Westeuropa, Nordamerika und auf die arabische Halbinsel gebracht. In Indien gibt es immer noch die Schuldknechtschaft, die sich über mehrere Generationen vererben kann. In China werden jährlich rund 3.000 Personen Opfer von Menschenhändlern, etwa zur Hälfte Kinder. Die meisten landen als Arbeitskräfte in Industriebetrieben und Bergwerken. Manchmal werden entführte Frauen und Mädchen von Eltern als Braut für ihren Sohn gekauft. Ein Kind zu kaufen, ist in China nicht strafbar, nur der Verkauf wird bestraft.
Die EU nannte für 2016 eine Zahl von rund 11.300 registrierten Opfern von Menschenhandel innerhalb der EU. Hierbei wurden 2.837 Anklagen erhoben und 1.345 Urteile gefällt. 56%, also mehr als die Hälfte der Fälle, betraf sexuelle Ausbeutung. 25% entfielen auf Arbeitsausbeutung. Zumeist waren es Männer, die im Baugewerbe und in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. In Großbritannien waren dies sogar zwei Drittel. Das deutsche Bundeskriminalamt erfasst jedes Jahr zwischen 600 und 800 Frauen in der Zwangsprostitution.
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