Der 22. September war der Aktionstag für Autofreiheit. Verschiedene Organisationen, vor allem Umweltverbände und Kirchen, fordern an diesem Tag eine Verkehrswende und Einschränkungen des Kraftfahrzeugverkehrs. An mir ist dieser Aktionstag weitgehend vorbeigegangen. Ich habe weder Aufrufe, Protestversammlungen, Blockaden, Klebeaktionen, autofreie Zonen noch andere Veranstaltungen bemerkt. Der 22. September war ein normaler Autotag, mit Meldungen über Personalabbau bei VW, Kontroversen um den Weiterbau der Verbrennerautos, sinkende Verkaufszahlen bei Elektroautos oder Streit mit China über Subventionen beim Autoexport.
Haben die Organisationen, die hinter diesem Aktionstag stehen, etwa aufgegeben? Oder nehmen die Medien deren Aktivitäten nicht ernst genug, um darüber zu berichten? Früher gab es an diesem Tag Aktionen wie Gratisfahrten bei Bahnen und Bussen, befristete Straßensperrungen zugunsten von Fahrrädern und Inline-Skatern oder Aufklärungs- und Werbeaktionen. Nur eines gibt es immer wieder und an vielen Orten: Volksbegehren und Volksentscheide zugunsten von Fahrradwegen und Radvorrangrouten. Oftmals sind sie sogar erfolgreich, was entweder auf die große Mobilisierungsfähigkeit der Antragstellenden oder auf eine latente Sympathie für solche Aktionen zurückführbar ist.
In der Vergangenheit hat es richtige autofreie Tage gegeben. Anlass war jedoch nicht ein gesteigertes Umweltbewusstsein, sondern der (befürchtete) Mangel an Treibstoff. In den 1950er und 1970 Jahre wurden deshalb autofreie Tage von den Behörden verfügt. Anlässlich der Suezkrise erließ (nur) die Schweiz 1956 ein Sonntagsfahrverbot für vier Sonntage. Nachdem der ägyptische Präsident Nasser die britisch-französische Suez-Gesellschaft verstaatlicht hatte, griffen Großbritannien, Frankreich und Israel Ägypten militärisch an. Nach Eingreifen der UN (auf Initiative der UdSSR und der USA) zogen sich die Aggressoren zugunsten einer UN-Friedenstruppe zurück.
Während der Ölpreiskrise 1973, die gravierende gesamtwirtschaftliche Auswirkungen hatte, verfügte Deutschland im November/Dezember Tempolimits und vier autofreie Sonntage. Ausnahmen waren gestattet, wegen ihrer Vielzahl war der Verkehr am 4. Sonntag fast normal. Auch in der Schweiz galten an drei Sonntagen Fahrverbote. Im Rahmen einer Volksabstimmung wurde 1978 die Forderung nach zwölf autofreien Sonntagen deutlich abgelehnt. In Österreich durften die Autobesitzer selbstständig entscheiden und dokumentieren, an welchem Wochentag sie auf ihr Auto verzichten wollten. Familien mit zwei Autos waren klar im Vorteil.
Diese folgenreiche Ölpreiskrise wurde durch den Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 zwischen Ägypten, Syrien und anderen arabischen Staaten gegen Israel ausgelöst. Die Organisation der arabischen Erdöl exportierenden Staaten (OAPEC) drosselte bewusst die Fördermengen um etwa 5%, um die westlichen Länder wegen ihrer Unterstützung Israels unter Druck zu setzen. Der Ölpreis stieg von rund 3 US-Dollar/Barrel auf über 5 US-Dollar, was einem Anstieg um etwa 70% entspricht. Im Lauf des nächsten Jahres stieg der Ölpreis weltweit auf über 12 US-Dollar/Barrel.
In den letzten Jahrzehnten gab es in Deutschland, der Schweiz, Italien und Belgien eine Vielzahl von Aktionen, bei denen Städte und Gemeinden ihre Zentren oder Verkehrswege unterschiedlicher Länger für die Dauer eines Tages sperrten und nur Fahrräder und Rollschuhe erlaubten. Manchmal fand dies am 22. September statt, dem „autofreien“ Aktionstag. Bemerkenswert sind Sperrungen entlang von Flusstälern wie „Happy Mosel“ oder „autofreies Rheintal“. 2012 listete das Umwelt- und Prognose-Institut 77 Straßen und Strecken in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf, die einen Tag lang für Autos gesperrt waren. Teilweise finden diese Aktion schon seit mehr als 25 Jahren statt. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (adfc) beschreibt in jedem Jahr jene Aktionen, die sonntags auf autofreien Strecken stattfinden und vom Rhein-Main-Gebiet erreichbar sind. 2024 waren dies vierzehn.
In Italien sind seit 2000 an vier Sonntagen die Zentren von 150 Städten tagsüber vom Autoverkehr befreit. In Paris wird das rechte Seine-Ufer an allen Wochenenden des Jahres für den Autoverkehr gesperrt. In Brüssel wird an einem Sonntag im September das gesamte 160 m² große Gebiet innerhalb des Autobahnrings für den motorisierten Individualverkehr gesperrt. Andere belgische Städte folgten mit vergleichbaren Maßnahmen. Automobil-Clubs und Wirtschaftsverbände kritisieren zumeist solche Aktionen, auch wenn diese auf Sonntage gelegt werden. In Deutschland werden sie vom ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) und vom VCD (Verkehrsclub Deutschland unterstützt.
Größere verkehrspolitische Aktionen sind „Mobil ohne Auto“ (MOA) am dritten Sonntag im Juni und der „Autofreie Hochschultag“ (AfH) am Dienstag danach. Ihr Ziel ist die Werbung für eine Verkehrswende. Zurückführbar sind sie auf die den Aufruf „Mobil ohne Auto“ durch christliche Jugend- und Umweltaktivisten in der DDR, erstmals 1981. Regionale Schwerpunkte bildeten sich in Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin, wo der UN-Umwelttag am 5. Juni als Kristallisationspunkt dient.
In Hamburg trifft man sich zur größten Fahrrad-Sternfahrt, mit Routen aus der niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Umgebung. 2009 nahmen rund 18.000 Radler/innen teil. Erstmals sperrte die Stadt Hamburg auf etlichen Straßen den Autoverkehr, worauf der Tag auch offiziell zum autofreien Tag wurde. Am 9. Juni 2024 fuhren knapp 12.000 Personen mit, eskortiert von Polizisten auf Motorrädern.
Unverändert rege ist der 1998 gegründete Verein „autofrei leben“ in München. Er setzt sich generell für weniger Autos ein, will ‘autofreie Menschen vernetzen’ und ‘der Idee der Autofreiheit eine Stimme geben’. Seine Vereinsmitglieder besitzen oder halten keine PKW oder andere motorisierte Fahrzeuge für den privaten Gebrauch. Ein von 100.000 Unterschriften beantragter Volksentscheid „Radentscheid Bayern“ wurde zwar vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof für nicht zulässig erklärt, veranlasste die Landesregierung jedoch dazu, ein „Radgesetz“ zu beschließen. Es trat am 1.8.2023 in Kraft. Dazu schreibt die Regierung:
„Ziel des Radgesetzes ist die Steigerung des Radverkehrsanteils am Gesamtverkehrsaufkommen. Damit mehr Leute auf das Fahrrad (um-)steigen, ist unter anderem eine gut ausgebaute und sichere Radverkehrsinfrastruktur erforderlich. Der Freistaat will deshalb zusammen mit den Kommunen bis Ende 2030 1.500 km neue Radwege bauen. Um dies zu erreichen, ist ein Zusammenwirken der Staatlichen Bauämter und der Städte, Gemeinden und Landkreise nötig. Der Start im Jahr 2023 verlief erfolgreich: Die Staatlichen Bauämter haben zusammen mit Landes- und Bundesmitteln und den Kommunen mit Unterstützung durch unsere Radwegförderprogramme sowie durch das Sonderprogramm „Stadt und Land“ des Bundes insgesamt rund 245 km Radwege in ganz Bayern neu gebaut.“
Autofreie Städte oder Gebiete im eigentlichen Sinne existieren nicht. Natürlich gibt es überall Straßen und Zonen, in denen Autos nicht oder nur zu bestimmten Zeiten fahren dürfen. Als Sonderfälle für den tatsächlichen Verzicht auf Autos werden gern deutsche Inseln erwähnt, zum Beispiel Hiddensee, Mainau und Helgoland. Auf einigen ostfriesischen Inseln sind entweder gar keine Kraftfahrzeuge oder nur Elektrofahrzeuge zugelassen. Ein Modellprojekt soll in Abu Dhabi verwirklicht werden. Geplant ist eine autofreie Stadt für 50.000 Einwohner/innen, die dort leben und arbeiten. Die Wege sollen mit einem elektrischen automatisierten Kabinensystem zurückgelegt werden.
Die Auffassungen der deutschen Parteien zu autofreien Städten oder Zonen differieren stark. Die CDU will höchstens verkehrsberuhigte Viertel zulassen. Bei der SPD wird die Verantwortung den einzelnen Kommunen überlassen. Nach Ansicht der Grünen und der Linken gehört die Zukunft mittelfristig der autofreien Innenstadt. Die FDP dagegen fordert „Eine Politik für das Auto“ und sogar kostenloses Parken in der Innenstadt. Nur die Klimaliste bezieht eindeutig Position. Sie will u.a. die Zahl der Autos bis 2041 halbieren, generelle Tempolimits einführen und Obergrenzen für Gewicht und Größe von PKW festlegen. Bei Kommunalwahlen gab es schon mal ein Mandat, bei der Europawahl 2024 allerdings nur 0,08 % der Stimmen.
Durch politische Entscheidungen von Parteien oder Koalitionen wird sich also nichts Grundsätzliches ändern. Wir werden uns mit Verkehrsberuhigungen in einzelnen Städten wie Freiburg, Hamburg, Marburg, München und Münster begnügen müssen. Oder mit Alternativen wie Carsharing, Mitfahrgelegenheiten und Fahrgemeinschaften. Auch wenn die Nachteile des Autoverkehrs offenkundig sind: Unfallhäufigkeit, örtliche Schadstoffbelastung, globale Erwärmung durch CO2, Lärmemissionen, Flächenverbrauch, Baukosten, Zeitaufwand durch Stau, Rohstoffverbrauch, Konflikte bei der Erdölversorgung, Werkstattkosten, eingeschränkte Lebensqualität, vor allem in stark befahrenen Straßen.
Die Attraktivität der Erreichbarkeit von Städten durch ein eigenes Auto ist immer noch ungebrochen. Und die Automobilindustrie spricht beim Thema ‘autofrei’ ein gewichtiges Wort mit. Da überrascht es nicht, dass trotz einer großen und vielfältigen Zahl von Aktionen kaum etwas in den Medien erscheint. Wahrscheinlich berichten nur die Lokalmedien, zumal die Aktivitäten stets örtlich begrenzt sind.
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