mir Update 7.12. und 9.12. zum NDR

Der Rentnerkollege Alfons Pieper/”Blog der Republik” (ehem. “Wir in NRW”, mit dem er die CDU-Landesregierung Rüttgers stürzte) kommentiert das Geschehen bei VW. Und ich kann kaum widersprechen. Insbesondere gefällt mir seine Rundfahrtempfehlung im Kern der grössten Grossstadt der Republik: “Wer es nicht glaubt, fahre mal mit dem Auto von Wattenscheid Richtung Schalke, von dort nach Bottrop, Gladbeck, Altenessen, wer Zeit hat, schaue mal in Stoppenberg vorbei, Katernberg, auch Oberhausen lohnt sich, Essen, dann in den feinen Süden der Region Richtung Ruhr-Uni und rein nach Bochum.” Klicksüchtige Medien bezeichnen manche dieser Stadteile diffamierend als “No-Go-Areas”. Das mag für diffamierende Boulevardjournalisten vielleicht zutreffen. Ansonsten ist das frei erfunden.

Freilich versäumt Alfons Pieper ein wichtiges Faktum zu erwähnen, das den Unterschied des einstigen zum heutigen deutschen Kapitalismus markiert. Das Ruhrgebiet hat nicht “gebrannt”, weil die sozialpartnerschaftlich orientierte IG Bergbau für die stillgelegten Bergleute die beste Rente der Welt, die “Knappschaftsrente”, herausholte. Diese Rente, z.B. meines Vaters, ist höher, als was ich jemals mit arbeiten verdient habe. Wer mit so einer Rente mit 52 “gefeuert” wird, bleibt friedlich. Warum auch nicht? Der Arbeitsplatz freilich, der ist dann weg. Das nannten und nennen sie im Ruhrgebiet “Strukturwandel”. Ich z.B. war dann ja auch weg.

Von dieser Lücke abgesehen, sind Piepers parteinehmende Ausführungen komplett zutreffend: “VW-Betriebsratschefin Cavallo fragt nach dem Spar-Beitrag der Familien von Porsche und Piech”.

Und sie werden wie ein Puzzle kongenial durch meinen Freund Andreas von Westphalen/telepolis ergänzt: Geschäftsmodell: Wie Großbritannien und die USA beim Steuerraub mitmischen – Kaputtes System: Jedes Jahr verschwinden fast 500 Milliarden US-Dollar durch Steuerflucht. Besonders acht Länder ermöglichen den Raubzug. Die Wie die UNO nun reagieren will.”

Andreas stützt sich bei seinem Text auf eine Recherche der NGO “Tax Justice Network”.

Womit ich hier zum Thema “NGOs” übergehen kann. Der Kollege Warweg/nachdenkseiten, der zuvor für russische Staatsmedien gearbeitet hat, macht sich über das internationale Investigativnetzwerk OOCRP her, und “entlarvt” dessen Förderung durch die US-Regierung: “NDR zensiert eigene Recherche zu Einflussnahme der US-Regierung auf ‘unabhängige’ Investigativplattform OCCRP”. Auch er übersieht politische Zusammenhänge, die er vielleicht aus seiner Erfahrung bei einem russischen Staatsmedium so nicht kennen kann.

Öffentliche Förderung ist kein Verbrechen. So habe ich es 1973-87 bei den Jungdemokraten gelernt. Anschliessend auch bei der Anti-Apartheid-Bewegung in der BRD uns Westberlin (AAB), die von der Uno, der OAU (heute: AU, Afrikanische Union) sowie von Untergliederungen der deutschen EKD und der Evangelischen Frauenarbeit (unter Vorsitz der Mutter von Andreas Zumach) gefördert wurde. Nicht finanziert wurde die AAB von “Moskau”, wie es die damalige sozialliberale Bundesregierung Schmidt/Genscher als Lüge in der Bundespressekonferenz verbreitete – und dort keinerlei Widerspruch erntete. Ähnlichkeiten (und Unterschiede) zu heutigen Mechanismen sind nicht zufällig. 1987-90 habe ich übrigens für ein Friedenskomitee in Köln gearbeitet, das den grösseren Teil seiner Einnahmen aus Devisenmitteln der DDR bezog. Ich wurde angeworben, um mich um bessere Zusammenarbeit mit den Grünen zu kümmern – ich war dafür, und habe das getan, wissentlich. Michail Sergejewitsch Gorbatschow wäre mutmasslich zufriedener mit mir gewesen, als Erich Honecker. Aber beide wussten nichts davon.

Staatliche und nichtstaatliche Grossorganisationen, das ist für den Genossen Warweg vielleicht eine Neuigkeit, sind komplexe, in ihrem Inneren von fundamentalen Widersprüchen durchzogene Körperschaften. Konfliktreich, und für widerspruchsloses feudalismusähnliches absolutistisches Durchregieren absolut ungeeignet. Den meisten Despot*inn*en dieser Welt in Ost, West, Nord und Süd ist diese Tatsache mit Recht nicht geheuer, sondern ein bekämpfenswertes Gräuel.

Wenn nun das “Organized Crime and Corruption Reporting Project” Förderung von (Teilen) der US-Regierung erhielt und annahm, macht das die Inhalte seiner Arbeit (noch) nicht anrüchig. Das wird es erst durch die von Mediapart (und Warweg) zurecht kritisierte Hosenscheisserei im NDR. Der in der Geschichte erwähnte Kollege John Goetz war auch schon hier im Extradienst vertreten – und vor einem Jahr wurde er von selbigem NDR noch gegen Diffamierungen verteidigt. Zeitenwende.

Update 7.12.

Nicht weniger kritisch, aber sachlicher als der Kollege Warweg, kommentieren das merkwürdige Verhalten des NDR Annika Schneider und Alexander Graf/uebermedien: Der NDR stoppt einen kritischen Beitrag über ein Partnermedium – und will das nicht begründen – NDR-Journalisten recherchieren monatelang zum größten weltweiten Investigativnetzwerk OCCRP und finden interessante Details zu dessen Finanzierung. Veröffentlicht wird die Recherche aber dann von vier anderen Medienhäusern. Sie werfen dem NDR nun ‘Zensur’ vor – und die Verteidigung des Senders überzeugt nicht.” Der Beitrag (ver-)endet nach wenigen Absätzen an einer Paywall, die erst nach einer Woche geöffnet wird. Schade eigentlich.

Update 9.12.

Ausführlicher zitiert wird uebermedien und weitere Andere hier bei Christian Bartels/MDR-Altpapier.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net